Testballon der Mobilfunkindustrie:
3-Tasten-Handy für Kindergartenkinder

Ab Ende Juli 2003 will Online-Handyhändler Semec in Deutschland ein Handy speziell für Kindergartenkinder zum Preis von 119 Euro verkaufen. Das “Hi Phone” ist ein Dualbandgerät (GSM 900/1800) ohne Display und mit nur drei Tasten für die kinderleichte Bedienung. Produziert wird es von Eastcom, Chinas größtem Handyhersteller. Vergleichbare Handys für Kindergartenkinder waren bislang in Deutschland tabu, keiner der Branchengrößen hat ein solches Gerät im Programm. Unsere Anfrage, ob derartiges in Planung sei, wurde allerdings von keinem einzigen der Hersteller Nokia, Motorola, Samsung und Siemens klar verneint. Ausweichend auch Semec-Geschäftsführer Sven Damm: Er wies darauf hin, dass das Hi Phone in Notsituationen nützlich sei und es wegen der Rufbegrenzung auf fünf fest gespeicherte Nummern sowie wegen der fehlenden SMS-Funktion nicht zur 0190-er-Kostenfalle werden könnte. Unsere Fragen nach dem SAR-Wert aber ließ er ebenso offen wie die nach einer möglichen Gesundheitsgefährdung der Kinder. IZgMF-Interpretation der dünnen Nachrichtenlage: Semec testet die Marktreaktion. Verlaufen die Geschäfte gut und die Proteste der Mobilfunkgegner im Sand, holen sich über kurz oder lang auch die andern ihr Stück vom Kuchen. Die Telekom jedenfalls ließ schon mal darüber abstimmen, wie gut Handys für Kindergartenkinder ankommen. Endstand: etwa 53 % sind dafür, 40 % sind dagegen, wobei anzumerken ist, dass der Anteil der Befürworter über die Dauer der Umfrage hinweg beständig schrumpfte (14.6.03-ll).

Nachtrag vom 7. September 2003

Warum Kinder stärker gefährdet sind

Für eine größere Vorsicht und Zurückhaltung bei der Verwendung von Handys durch Kinder und Jugendliche sprechen folgende Punkte (Stand: Januar 2006):

  1. Sollte es ein erhöhtes Risiko für chronische Erkrankungen durch Handygebrauch geben, dann kann man annehmen, dass ein früher Beginn gravierendere Auswirkungen hat.
  2. Der kindliche Organismus ist in Entwicklung begriffen, und die Auswirkungen von Schadfaktoren sind in dieser Phase oft stärker.
  3. Der Schädel – insbesondere von kleinen Kindern – ist wegen des anderen Aufbaus und Stärke der Kalotte im Vergleich zu Erwachsenen gefährdeter gegenüber negativen Einflüssen der Strahlung.
  4. Die Mikrowellen dringen vermutlich tiefer in den kindlichen Schädel ein (d.h. genauer: die Eindringtiefe ist in etwa gleich der bei einem Erwachsenen, aber wegen des kleineren Schädeldurchmessers werden tiefer liegende Areale erreicht).

Quelle: Medizinische Fachinformationen für Schulärztinnen und Schulärzte (AUT)

Auf der Website von Semec noch immer keine Spur vom SAR-Wert des Handys. Auch die inzwischen eigens fürs Hi Phone eingerichtete Website schweigt sich dazu aus, bietet aber immerhin die Bedienungsanleitung des Geräts zum Download an. Wir laden, lesen und stellen fest: Offensichtlich kümmert es Semec nicht die Bohne, was der Präsident des Bundesamts für Strahlenschutz an Vorsorgemaßnahmen speziell für Kinder empfiehlt. Mit keinem Sterbenswörtchen macht die stellenweise grottenschlecht übersetzte Bedienungsanleitung auf Gesundheitsrisiken aufmerksam, die für Kinder aus dem Gebrauch des Handys resultieren können. Auch den SAR-Wert des Geräts sucht man hier vergeblich. Stattdessen werden Absurditäten wie diese serviert: “Legen Sie Handset ... an einen Platz, der für Kinder nicht erreichbar ist.” Im Klartext: Achten Sie darauf, dass Ihr Kind das Kinderhandy nicht zu fassen kriegt! Oder wie gefällt Ihnen diese Stilblüte hier: “Alle möglichen Teile des Hi Phones sind verboten, das es Kinder in den Mund nehmen.” Noch deutlich brillanter formuliert ist der Haftungsausschluss: “Unser Ausgleich für jeden möglichen Verlust und irgendeinen Anspruch jeder möglichen Art oder Eigenschaft resultierend aus irgendeiner Ursache während des Erwerbs, oder Betriebs des Handsets, wird bis zum Kaufpreis des ursprünglichen Produktes begrenzt.” Dechiffriert soll das wohl heißen: Schadenersatzforderungen sind aus Sicht des Herstellers auf müde 119 Euro begrenzt! Wir meinen, Semec signalisiert mit dieser Bedienungsanleitung vor allem eines: Ein erschreckend ausgeprägtes Defizit im angemessenen Umgang mit der Kundschaft. Wer sich das gefallen lässt und dennoch zugreift, ist selber schuld.

Wer Dampf ablassen möchte: Auf der Hi Phone-Website gibt’s dazu ein Forum...

Nachtrag vom 2. April 2005

Handyhändler Semec mit Sitz in Zwickau ist pleite, seine Webseiten sind verwaist. Das 2002 gegründete Unternehmen beantragte am 18. Oktober 2004 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Noch im dritten Quartal 2003 wollte Semec einen großen Coup landen und startete mit massiver Werbeunterstützung den deutschen Exklusivimport des in China von Eastcom produzierten 3-Tasten-Kinderhandys Hi Phone. Das Aus für Semec bedeutet allerdings nicht, dass das Hi Phone-Handy hierzulande vom Markt verschwunden ist. Im Gegenteil. Im Internet und bei eBay finden sich etliche Händler, die das Handy in Deutschland unter Hi Phone oder unter der englischen Bezeichnung MyMo anbieten.

Ganz anders die Situation in England. Hier nahm Importeur Commun8 Ltd. das MyMo-Handy im Januar 2005 vom Markt, unmittelbar nachdem die Britische Strahlenschutzkommission eine Warnung aussprach, der zufolge Kinder unter acht Jahren keine Handys benutzen sollten. Begründet wird die Warnung mit dem Risiko, dass die Kinder Hirn- und Hörnervtumoren bekommen könnten.

Warnung und MyMo-Verkaufsstopp ließen weltweit aufhochen, sogar im fernen Vietnam wurde über den Vorfall berichtet. Und in Frankreich starteten zwei mobilfunkkritische Organisationen eine Kampagne gegen das Hi Phone-Handy. Kürzlich gewannen sie einer Meldung von Elektrosmoginfo zufolge sogar eine gerichtliche Auseinandersetzung, die vom monegassischen Handy-Importeur angestrengt wurde. Der autorisierte Importeur für Belgien und Luxemburg ist Gilles Capelluto. Er schreibt in einem Diskussionsforum, dass das MyMo-Handy demnächst mit neuen Schutzfunktionen ausgestattet werde, nämlich mit einem Timer, der die maximale Verbindungsdauer auf 3 Minuten begrenzt, und mit einem Aufkleber auf der Rückseite, der offensichtlich die elektromagnetischen Felder vom Kopf fernhalten soll. Die Ausführungen des Belgiers sind zwar, was den Aufkleber anbelangt, reichlich fragwürdig, aber immerhin ist in seinem Diskussionsbeitrag das Bemühen zu erkennen, das Risiko für die Kinder zu verringern.

Von alledem unberührt geht in Deutschland der Abverkauf des Kinderhandys munter weiter. Keine einzige der von uns besuchten größeren deutschsprachigen Websites zu Hi Phone/MyMo (1, 2, 3, 4) gab zum Recherchezeitpunkt (1. April 2005) einen geeigneten Hinweis auf mögliche Elektrosmogrisiken. Stattdessen werden lediglich einige technische Daten und Grenzwerte genannt, aus deren Interpretation der Leser offensichtlich den Eindruck gewinnen soll, die Nutzung des Handys wäre für Kinder risikolos.

Was sind diese Händler nur für Leute? Wir riefen kurzerhand bei einem an, der das Hi Phone auf einer eigens dafür eingerichteten Website massiv bewarb. Heraus kam: Der 75-jährige Geschäftsinhaber Günter M. in München verkauft das Kinderhandy seit rd. einem Jahr ausschließlich übers Internet. Von den Vorgängen in England wusste er nichts und er sah spontan auch keinen Anlass, es Commun8 gleichzutun. M. verwies vielmehr auf die mitgelieferte Freisprecheinrichtung sowie auf die Europanorm- und TÜV-Konformität des Handys. Wichtig sei seiner Meinung nach die Sicherheit, die das Handy Kind und Eltern gebe. Über Elektrosmog und seine Risiken wisse er wenig. Auf diesem Gebiet sei er kein Fachmann, sagte M., der auch von keinerlei persönlichen Bedrohungen durch aufgebrachte Mobilfunkgegner zu berichten wußte. Seine Kunden kämen aus ganz Deutschland, der Großteil der Ware ginge jedoch in die östlichen Bundesländer. Stückzahlen wollte der Handyhändler nicht nennen, Internetquellen berichten jedoch unter Berufung auf einen Sprecher von Commun8, dass vergangenes Jahr (2004) in Europa etwa 40 000 Exemplare des Kinderhandys verkauft wurden. In jüngerer Zeit, so M., habe das Kinderhandy viel Anklang gefunden bei Behinderten- und Rehabilitationseinrichtungen, was auf die simple Gerätebedienung zurückzuführen sei. Das Telefonat zwischen dem IZgMF und dem Händler fand Ende Februar 2005 statt. Heute ist seine Website – warum auch immer – im Internet nicht mehr vertreten (-ll).

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