Havanna-Syndrom & kein Ende: Mikrowellen erneut unter Verdacht (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 12.12.2020, 03:53 (vor 1249 Tagen) @ H. Lamarr

Die NZZ berichtete am 6. Dezember 2020 (Auszug):

[...] Um endlich Klarheit zu erhalten, hatte das amerikanische Aussenministerium die Nationale Akademie der Wissenschaften beauftragt, dem Havanna-Syndrom nachzugehen. In ihrem Bericht, den die angesehene Institution am Samstagabend veröffentlichte, kommt sie zum Schluss, dass eine Attacke mit zielgerichteter gepulster Radiofrequenzenergie die wahrscheinlichste Ursache ist. In anderen Worten: eine elektromagnetische Strahlung, zu der auch Mikrowellen gehören. Die Frage, ob das absichtlich geschah, zum Beispiel mit dem Einsatz einer neuartigen Waffe, bleibt aber ohne Antwort. [...]

Kommentar: Bevor Mobilfunkgegner sich jetzt irrtümlich in die Arme fallen vorsichtshalber der Hinweis: Nein, der Bericht redet nicht von Mobilfunk oder 5G, sondern nur von Mikrowellen und gepulsten Hochfrequenzsignalen. Die Autoren benennen zahllose Studien, die sie offenbar gesichtet haben, Expositionswerte aber sind schwierig zu finden. Auf Seite 19 habe ich dann aber doch in einem Abschnitt über den Frey-Effekt (Mikrowellenhören, 1961 entdeckt) den Zahlenwerte 267 mW/cm² (peak) gefunden. Dies entspricht einer Exposition mit 2670 W/m², was ersichtlich weit über den beim Mobilfunk zulässigen Spitzenwerten ist, auch wenn der RMS-Wert wegen kurzer Pulse und langer Pausen mit nur 0,4 mW/cm² angegeben wird (entspricht 4 W/m²). Möglicherweise steckt aber in dem 77-Seitigen Dokument, das neben gepulster HF z.B. auch chemische und psychische Faktoren geprüft hat, bei gründlicherer Betrachtung noch mehr drin.

Wegen der diffusen Ausdrucksweise in der Zusammenfassung des Berichts, in der keine Zahlenwerte genannt werden, sondern nur von gepulsten HF-Signalen die Rede ist, sehe ich ein beträchtliches Risiko, dass an der Verbreitung alternativer Fakten interessierte Außenseiter der Anti-Mobilfunk-Szene den Bericht gezielt als Beleg für eine "biologische Gefährlichkeit gepulster Mikrowellen" missbrauchen werden, um die Mühlen technisch ahnungsloser 5G-Gegner mit dem üblichen Schmutzwasser in Bewegung zu halten. Die NZZ macht sich ungewollt zum Komplizen, das sie, mit der Terminologie nicht vertraut, fälschlich übersetzt von "gepulster Radiofrequenzenergie" redet und damit unbedarfte Leser auf eine falsche Fährte führt.

Interessant: Weder bei den beiden Autoren noch bei den zehn Reviewern des Dokuments konnte ich einen der üblichen Verdächtigen der US-amerikanischen Anti-Mobilfunk-Szene ausfindig machen. Dies ist ein Indiz für eine unaufgeregt verfasste wissenschaftlich korrekte Arbeit der Nationale Akademie der Wissenschaften.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Mikrowellen, Kuba, Kristallkugel, Havanna-Syndrom


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