Italien: Warum der "Wissenschaftlerappell" unerhört verhallte (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 08.01.2024, 14:25 (vor 127 Tagen) @ H. Lamarr

Am 12. August 2023 wünschte der Verein Diagnose-Funk in Gestalt von Peter Hensinger dem "lieben Herrn Imbesi" von der Verbraucherzentrale Südtirol noch weiterhin viel Erfolg bei der Abwehr der Versuche zur Grenzwerterhöhung in Italien. Der Stuttgarter war in diesem Fall schneller als der Schall, denn angeblich scheiterte in bella Italia ein nicht näher benannter Versuch, den Vorsorgegrenzwert zu lockern, erst am 7. August 2023. Tja, was soll ich sagen, da muss Hensingers Wunschbrunnen wohl nicht funktioniert haben. Warten wir gespannt, wann der Verein seine Leser über den jetzt amtlichen Misserfolg des Herrn Imbesi in Kenntnis setzt. Erfahrungsgemäß verzögern sich betrübliche Meldungen bei dem Verein merklich länger als fünf Tage, wenn sie denn überhaupt veröffentlicht werden :-).

Unter obigem Link hätschelt Diagnose-Funk hingebungsvoll den Protestappell von 52 "Wissenschaftlern", die sich partout nicht für die Lockerung der italienischen Vorsorgegrenzwerte erwärmen konnten und nun, wie wir inzwischen wissen, mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen. Über die fachlichen Qualitäten des Appells wurde im August 2023 hier berichtet. Anschließend dazu noch ein paar Anmerkungen:

Wo bleibt Belpoggi ...?

Fiorella Belpoggi, Speerspitze des italienischen Protests gegen Grenzwertlockerungen aller Art hat den Appell zum Entsetzen der weltweiten Anti-Mobilfunk-Szene nicht unterschrieben. Da sie sonst über viele Jahre hinweg nahezu jeden Anti-Mobilfunk-Appell aus aller Welt unterschrieben hat, ist dies besorgniserregend. Wahrscheinlich geht es Belpoggi gesundheitlich schlecht. Klaus Scheidsteger besuchte sie im März 2023 für seinen neuen Märchenfilm "Das digitale Dilemma". Gewohnt dramatisch berichtete er tief betroffen von seiner Begegnung mit der betagten Dame:

[...] Während meines ersten Besuchs, am 9. März 2023, wurde ich Zeuge einer bewegenden Situation. Fiorella Belpoggi kam erstmalig nach einer dreizehnmonatigen krankheitsbedingten Abwesenheit für unserer Vorgespräch zurück an ihre alte Wirkungsstätte. Und kaum hatten wir in ihrem Büro Platz genommen, tauchten nach und nach kleine Delegationen von 4, 5 oder 6 Mitarbeiterinnen auf, die jeweils sehr berührt angesichts dieser Rückkehr, mit Tränen in den Augen ihre wunderbare Chefin herzten.

Monatelang hatte Fiorella Belpoggi auf der Intensivstation gelegen, schwebte zwischen Leben und Tod. „Ein Wunder, dass mein Kopf wieder wie vorher funktioniert, Gott sei Dank kann ich wieder am Leben und bald auch wieder an der Forschung teilnehmen“, so erzählte sie mir. Ein großes Privileg meiner filmischen Arbeit war es immer, derart wundervolle Menschen kennenlernen zu dürfen. [...]

Das Kokettieren mit EMF-Wissenschaftlerappellen

Seit Menschengedenken versucht die Anti-Mobilfunk-Szene uns immer wieder neu weiszumachen, zahllose Wissenschaftler hätten substanzielle Bedenken, die geltenden Grenzwerte könnten Menschen vor schädlichen Einflüssen einer EMF-Exposition nicht ausreichend schützen. Wenn es drauf ankommt, bleiben von den zahllosen aus aller Welt jedoch nur wenige übrig, genauer gesagt etwa 50. Das sind die restlos überzeugten Superspreader der Szene, sozusagen der "wissenschaftliche" Stammtisch der Mobilfunkgegner, der sich personell kaum verändert. Mit den Anführungszeichen will ich signalisieren, dass sich unter den 50 auch beträchtlich viele Pseudowissenschaftler tummeln dürfen, da die übrigen nicht den Arsch in der Hose haben, sich von den Blindgängern zu distanzieren.

Die Anzahl von nur etwa 50 zieht sich wie ein roter Faden durch die Appelle der Szene. Anno 2014 waren es in Kanada wie jetzt in Italien genau 52 Wissenschaftler und "Wissenschaftler", die protestierten, und 2017 habe ich mir einmal die Mühe gemacht, aus den damals bekannten sechs EMF-Wissenschaftlerappellen seit 2002 die Gelegenheitsteilnehmer (Eintagsfliegen) heraus zu rechnen und bin auf eine Restmenge von 40 bis 55 Unentwegte gekommen, die hartnäckig auf ihrer Sichtweise des HF-EMF-Risikos bestehen. Inklusive der Eintagsfliegen stellten die USA und Italien mit Abstand die meisten Bedenkenträger, Deutschland landete im Mittelfeld.

Ja aber ... die großen EMF-Wissenschaftlerappelle?!

Unbestritten gibt es HF-EMF-Wissenschaftlerappelle mit weitaus mehr als etwa 50 Teilnehmern. Wie kommt das? Ganz einfach: Diese Appelle spiegeln keine gezielt abgefragte momentane Meinungsbekundung im Sinne einer Blitzlichtaufnahme wieder, sondern haben Laufzeiten ohne Enddatum. Über viele Jahre hinweg kumuliert sich so die Anzahl der Teilnehmer allmählich auf hohe Werte. Da auch hier keine Prüfung stattfindet, tummeln sich in diesen Becken neben echten Wissenschaftlern auch Pseudowissenschaftler, Scharlatane oder einfach nur besorgte fachfremde Akademiker, die UMTS für ein chinesisches Reisgericht halten. Will heißen: Ernst nehmen kann man keinen dieser Appelle, solange die Verantwortlichen nur darauf erpicht sind, möglichst viel Masse statt Klasse vorweisen zu können. Die weniger hellen Kerzen auf der Torte der Mobilfunkgegner differenzieren so nicht, sie präsentieren unreflektiert die hohen Zahlen, nur um andere, die noch ahnungsloser sind, damit zu beeindrucken.

Zum Dessert noch ein Kuriosum

Der koreanische Wissenschaftler Young Hwan Ahn, er arbeitet momentan an einer Replikation der bekannten NTP-Studie, unterzeichnete irgendwann vor 2014 den Anti-5G-Appell von Hardell & Nyberg. Auf den ersten Blick stempelt das den Mann zum Mobilfunkkritiker ab. Auf den zweiten Blick aber tritt er im Juli 2024 seine Tätigkeit in der Icnirp-Kommission an. Die Membran zwischen Icnirp und Mobilfunkkritikern ist auch in der Gegenrichtung durchlässig. Der Amerikaner James Lin saß viele Jahre in der Icnirp-Kommission. Nach seinem Ausscheiden dort wechselte er die Seiten und wird heute von organisierten Mobilfunkgegnern ausgiebig gefeiert. Ahn wird nicht gefeiert. Ahn und Lin sind mMn keine Überläufer, sie machen lediglich von ihrem Menschenrecht Gebrauch, eine einmal gefasste EMF-Risikoeinschätzung nicht mit ins Grab zu nehmen, sondern so frei zu sein, ihre Meinung auch mal zu ändern.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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