Frankreich: ANFR ertappt Gigaset
bei Überschreitung des SAR-Grenzwerts

von Stephan Schall, IZgMF

In Frankreich ist die Marktüberwachung von Mobiltelefonen auf Einhaltung der Strahlungsgrenzwerte transparenter als in Deutschland. So listet die französische Vollzugsbehörde auf einer Website akribisch alle seit 2012 geprüften 648 Mobiltelefone einschließlich der Messwerte auf (Stand 29. August 2020) und benennt die bislang entdeckten 28 schwarzen Schafe beim Namen. Vergangenes Jahr ging den Franzosen mit Gigaset auch der letzte in Deutschland produzierende europäische Hersteller von Mobiltelefonen ins Netz (08.11.2020).

Die Marktüberwachung auf Einhaltung der Strahlungsgrenzwerte von Mobiltelefonen ist in Deutschland Aufgabe der Bundesnetzagentur (BNetzA), die jedoch eigenen Angaben zufolge nur gelegentlich Stichproben nimmt. In Frankreich betreibt die Funknetzagentur ANFR die Marktüberwachung intensiver. Allein 2019 ließ die ANFR 74 unterschiedliche Mobiltelefone von 28 Herstellern in akkreditierten Messlabors auf Einhaltung der Grenzwerte prüfen.

anfr

Die nationale französische Funknetzagentur wurde 1997 gegründet und hat ihren Sitz in Maisons-Alfort, einem Vorort von Paris. (Bild: ANFR)

Diskrete SAR-Grenzwertsenkung im April 2016

Bis April 2016 konnte die ANFR in vier Jahren bei keinem einzigen Prüfmuster eine Grenzwertüberschreitung bemängeln, sämtliche bislang gefundenen 28 Sünder fanden die Prüfer erst nach diesem Datum. Der Grund dafür ist eine von der EU-Kommission verordnete und zum 25. April 2016 gültig gewordene Verschärfung der Prüfbedingungen, die faktisch eine von der Öffentlichkeit unbemerkte indirekte Grenzwertsenkung von erheblichem Ausmaß ist. Mehr dazu weiter unten. Das sprunghafte Einsetzen der Grenzwertüberschreitungen nach dem Stichtag macht deutlich, die Gerätehersteller, darunter auch namhafte, haben mit den strengeren Prüfbedingungen zuweilen ihre liebe Not, die richtige Balance zu finden zwischen der Funkreichweite ihrer Mobiltelefone und der Einhaltung aller vorgeschriebenen Strahlungsgrenzwerte.

Firmwareupdates können aus schwarzen Schafen weiße machen

Acht der zuletzt von der ANFR geprüften 74 Mobiltelefone überschritten den zulässigen SAR-Grenzwert von 2 W/kg, der bei der Gebrauchssituation “Tragen am Körper” mit 5 mm Abstand zwischen Gerät und Körperoberfläche gemessen wird. Die übrigen 66 Prüfmuster hielten die Grenzwerte ein. Das Gerät mit der geringsten Grenzwertüberschreitung (Nokia 5) ergab 2,24 W/kg, das Gerät mit der größten (Allview X4 Soul Mini S) kam auf beachtliche 4,6 W/kg.

Fünf der beanstandeten acht Mobiltelefone konnten mit Firmwareupdates durch die Hersteller die Grenzwertkonformität nachträglich doch noch erreichen. Das Update drosselt die maximale Sendeleistung gezielt in dem Frequenzband, das für die Grenzwertüberschreitung maßgebend ist, und reduziert damit zugleich den SAR-Wert. Zwei weitere Modelle mussten nach einem Ministerialerlass von den Herstellern rückgerufen und vom Markt genommen werden. Bei dem verbleibenden achten Modell versuchte der Hersteller vergeblich mit einem Firmwareupdate die Einhaltung des Grenzwerts zu erzielen. Als dies bei einer von der ANFR veranlassten Nachprüfung deutlich wurde, rief auch dieser Hersteller sein Gerät freiwillig vom Markt zurück, musste jedoch eine Verwaltungsstrafe in Höhe von 7500 Euro hinnehmen.

Gigaset patzte mit dem Modell GS 370Plus

Gigaset GS370

Präsentation des Gigaset GS 370 auf der Website inside-digital (Bild: inside-digital)

Mit der Gigaset Communications GmbH, Bocholt, erwischte es auch den letzten europäischen Hersteller, der in Deutschland Android-Mobiltelefone produziert. Den Testkäufern der ANFR ging am 1. Juli 2019 das Modell Gigaset GS 370Plus ins Netz. Statt der maximal zulässigen SAR von 2 W/kg bewirkte das Mobiltelefon beim Tragen am Körper 2,37 W/kg. Die Funknetzagentur forderte daraufhin Gigaset auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Grenzwertkonformität des Android-Smartphones auch rückwirkend für alle verkauften Geräte zu gewährleisten.

Gigaset analysierte das Problem und entschied sich für den gängigen Weg des Firmwareupdates. Das Firmwareupdate wird automatisch in die betroffenen Modelle eingespielt, sobald sich diese an ein Mobilfunk- oder W-Lan-Netz anmelden.

Ende Mai 2020 unterzog die ANFR das Gigaset GS 370Plus einer Nachprüfung, die das Smartphone bestand. Die SAR erreichte nur noch einen Wert von maximal 0,898 W/kg, gemessen in der Betriebsart LTE im Frequenzband 1800 MHz. Die Annahme, dass in der Betriebsart GSM auf 900 MHz wegen der dort zulässigen hohen Sendeleistung von maximal 2 W (Peak) auch der SAR-Wert am höchsten ist, bestätigt das Gigaset GS 370Plus nicht. Wie dem Messprotokoll zu entnehmen ist, bewirkt das Gerät im GSM900-Modus nur eine geringe spezifische Leistungsaufnahme von höchstens 0,424 W/kg.

Nachgefragt: Wie konnte Gigaset das passieren?

Da Gigaset mit rd. 220 Millionen verkauften DECT-Schnurlostelefonen ein weltbekannter Hersteller ist, der seine Erfolgsgeschichte eng mit dem Qualitätssiegel “Made in Germany” verbindet, erfragten wir bei der Muttergesellschaft Gigaset AG unter anderem, wie es zu dem Ausrutscher kommen konnte und welche Auswirkungen der Vorfall für das erfolgsverwöhnte Unternehmen hat.

IZgMF: Ist von dem Firmwareupdate auch das HF-technisch baugleiche Modell GS 370 betroffen?

Gigaset: Auch das Modell GS 370 hat vorsorglich das entsprechende Firmwareupdate erhalten.

Wie viele GS 370/GS 370Plus-Smartphones sind weltweit von dem Firmware-Update betroffen?

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir aus Wettbewerbsgründen generell keine Mengenangaben öffentlich machen.

Warum wurde durch das Firmwareupdate der SAR-Wert auf weniger als 50 Prozent des zulässigen Werts reduziert? Schießt Gigaset damit nicht weit über das Ziel hinaus und nimmt in Kauf, dass Besitzer der betroffenen Modelle (plötzlich)  unnötig starke Einbußen in der Verbindungsqualität hinnehmen müssen?

Es ist wichtig zu verstehen, dass wir die Verbesserungen dadurch erreicht haben, indem die Leistung nur im betroffenen Frequenzband angepasst wurde. Da es immer Messtoleranzen gibt, haben wir die Werte in diesem Bereich bewusst so angelegt, dass sie sicher den Schwellenwert unterschreiten. Wir haben vor der Freigabe des Firmwareupdates durch Tests sichergestellt, dass sich diese Anpassungen unter Alltagsbedingungen nicht auswirken.

Wurden die betroffenen Gigaset-Smartphones in Bocholt entwickelt und produziert oder wurden diese (komplett oder in Baugruppen)  aus Asien importiert?

Das damalige Modell wurde noch von unseren Partnern in Asien gefertigt.

Wurden vor dem Marktstart die SAR-Werte der betroffenen Gigaset-Smartphones durch ein akkreditiertes Messlabor in Deutschland gemessen oder war dies ein Labor im Ausland?

Die Prüfung wurde durch ein akkreditiertes Labor im Ausland durchgeführt. Der uns damals vorgelegte CE-Report wies keinerlei Mängel oder Auffälligkeiten auf.

Sieht Gigaset Chancen, erfolgreich Haftungsansprüche gegen das Messlabor geltend zu machen?

Gigaset liegen derzeit keine Anhaltspunkte dafür vor, dass Ansprüche gegen das Messlabor bestehen und erfolgreich durchgesetzt werden könnten.

Welchen zulässigen Messtoleranzen unterliegen die SAR-Werte von Smartphones (Gebrauch am Kopf, Tragen am Körper in 5 mm Abstand) anlässlich der zum rechtskonformen lnverkehrbringen erforderlichen Grenzwertkontrolle in einem akkreditierten Messlabor? Und welche Norm ist dafür maßgebend?

Die wichtigsten Normen in diesem Kontext sind EN 50360, EN 50566, EN 62209-1, EN 62209-2 und EN 62479. Die Messtoleranzen liegen in Asien wie in Deutschland bei ca. 18 Prozent bis 20 Prozent.

Wie erklärt sich Gigaset die Diskrepanz zwischen dem initial anlässlich des lnverkehrbringens gemessenen SAR-Wert und der Nachmessung im Auftrag der ANFR durch ein anderes Messlabor?

Es könnte an einer technischen Abweichung der Prüfmuster gegenüber der Serienfertigung liegen. Gigaset verpflichtet jeden seiner Zulieferer zu engmaschigen Qualitätskontrollen als Teil der Qualitätsvereinbarungen. Auch die ANFR hat – ebenso wie Gigaset – nach dem Firmwareupdate eine erneute Prüfung in Auftrag gegeben. Diese Prüfungen der akkreditierten Prüflabore haben ergeben, dass der SAR-Grenzwert auch im beanstandeten Frequenzband mit dem Firmwareupdate klar eingehalten wird.

Hat die in Frankreich befundene Grenzwertüberschreitung für Gigaset rechtliche Sanktionen nach sich gezogen, z.B. in Form einer Strafzahlung?

Nein. Gigaset ist in dieser Angelegenheit nichts vorzuwerfen. Gigaset hat die erforderlichen Prüfungen sichergestellt, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet und nach dem Hinweis der ANFR unverzüglich – und aus unserer Sicht vorbildlich – die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, die dazu führen, dass alle, auch die bereits im Markt befindlichen Geräte den Anforderungen vollständig entsprechen. Mangels vorwerfbarem Verhalten würde eine Sanktion jeder Grundlage entbehren und wäre vollkommen unangemessen.

Ist Gigaset verpflichtet, die in Frankreich befundene Grenzwertüberschreitung der in Deutschland für die Marktüberwachung zuständigen BNetzA zu melden?

Sobald eine europäische Marktüberwachungsbehörde, wie die ANFR in Frankreich Nichtkonformitäten feststellt, sind diese auch für alle Staaten der Europäischen Gemeinschaft zu regeln. Dies ist vorliegend auch geschehen und wurde auch von der ANFR eingefordert. Eine gesonderte Meldung an die Bundesnetzagentur ist daher nicht erforderlich. Die Firmwareupdates wurden weltweit zur Verfügung gestellt, so dass alle Kunden von Gigaset von der damit verbundenen Verringerung des SAR-Wertes in dem beanstandeten Frequenzband profitieren.

Welche Schritte beabsichtigt Gigaset zu unternehmen, um künftig Grenzwertüberschreitungen seiner Produkte zuverlässiger auszuschließen?

Gigaset hat hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards, die teilweise auch über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen und so zuverlässig sicherstellen, dass Gigaset die im Verkehr erforderlichen Sorgfaltsanforderungen einhält. Das belegt aus unser Sicht beispielhaft der Umgang mit der oben genannten Beanstandung, die zur Zufriedenheit unserer Kunden und in enger Abstimmung mit der zuständigen Behörde erfolgte.

Erlauben Sie uns in diesem Kontext den Hinweis: Gigaset ist stolz darauf, dass wir z.B. mit der Eco-DECT-Technologie im Kerngeschäft für Schnurlostelefone Wegbereiter für die Verbesserung von Strahlungsgrenzwerten sind. Der deutlich verbesserte Standard wurde durch die Standardisierung in Gigaset-Produkten in die Weit gebracht und die "Strahlung" der Geräte damit nachhaltig gesenkt.

Dessen ungeachtet beabsichtigen wir künftig u.a. noch stärkere Kontrollen im Rahmen unsere Qualitätsmanagements, vor allem, dass ab dem Zeitpunkt der Serienfertigung zusätzliche, zufallsbasierte Nachmessungen der Serienprodukte durchgeführt werden.

Frankreich drängte auf neue SAR-Messvorschrift

Seit 2016 gilt in Europa eine strengere Vorschrift für die Spezifische Absorptionsrate (SAR), wenn der maximale Eintrag von Sendeleistung eines Mobiltelefons ins Körpergewebe des Rumpfes gemessen wird. Anders als bei der SAR-Messung am Kopf, bei der die Rückseite eines Mobiltelefons – dort sind die Antennen – gemäß üblicher Gebrauchshaltung vom Kopf abgewendet ist, verlangt die SAR-Messung am Rumpf, dass die Geräterückseite dem Körper zugewendet ist. Die Messvorschrift deckt so den ungünstigeren von zwei Fällen ab, denn wer sein Mobiltelefon in die Hosentasche steckt, will nicht darüber nachdenken müssen, ob er dies so oder anders herum tun soll.

Damit ist die Messung am Rumpf bedeutsamer, im Vergleich zur Messung am Kopf führt sie gewöhnlich zu deutlich höheren SAR-Werten. Denn jeder Millimeter weniger Abstand zwischen den Antennen eines Mobiltelefons und der Körperoberfläche des Benutzers wirkt sich auf den gemessenen SAR-Wert aus. Bei Messungen am Kopf wirkt das Ohr als ein natürlicher Abstandhalter zum Kopf, der bei Messungen am Rumpf fehlt.

Je kleiner ein SAR-Wert ist, desto weniger Sendeleistung entzieht ein Benutzer mit seinem Körpergewebe dem Funkfeld, das die Antennen umgibt. Aus Sicht der Gesundheitsvorsorge sind deshalb möglichst niedrige SAR-Werte anzustreben. Beliebig niedrig dürfen die SAR-Werte jedoch auch nicht sein, denn je kleiner diese Werte ausfallen, desto anfälliger werden Mobiltelefone, unter schwierigen Empfangsbedingungen (z.B. Tiefgarage) noch zuverlässig die Funkverbindung zur nächstgelegenen Mobilfunk-Basisstation aufzubauen. Die SAR ist deshalb immer ein Kompromiss zwischen maximaler Gesundheitsvorsorge und noch akzeptabler Verbindungsqualität.

Auf Drängen Frankreichs hat die EU-Kommission mit ihrem Durchführungsbeschluss vom 5. April 2016 den bis dahin zulässigen Messabstand von bis zu 25 mm bei SAR-Messungen am Rumpf auf strenge 5 mm verringert. Verbindlich gültig für die EU wurde dieser Beschluss am 25. April 2016. Alle Mobiltelefone, die nach diesem Stichtag in der EU in den Handel kamen, müssen dieser faktischen Verschärfung des SAR-Grenzwerts genügen, gültig fürs Tragen eines Mobiltelefons am Körper.

Hinweis: Der nahe liegende Gedanke, ein kleinerer Messabstand würde ausnahmslos zu steigenden SAR-Messwerten führen ist zwar häufig richtig, aber nicht immer. Denn bei kleinen Messabständen unter 5 mm kann es vorkommen, dass der SAR-Wert bei einer weiteren Abstandsreduzierung nicht weiter zunimmt, sondern aufgrund einer bauartbedingten technischen Rückwirkung der Fußpunktimpedanz der Antenne auf die Senderendstufe eines Mobiltelefons wieder kleiner wird! Doch dies ist eine andere Geschichte, um die es hier und jetzt nicht geht.

Grenzwertverschärfung an der richtigen Stelle

Fordern Mobilfunkgegner oder Politiker Grenzwertsenkungen, sind so gut wie immer Sendemasten gemeint. Nachvollziehbar ist dies nicht, denn wenn von Mobilfunk überhaupt ein Risiko ausgeht, dann nicht von den Sendemasten, sondern von körpernah betriebenen Emissionsquellen wie Smartphones. Darin ist sich die Wissenschaft von den unvermeidbaren Ausnahmen abgesehen einig. Wenn also die Reduzierung des zulässigen Messabstandes von 25 mm auf 5 mm einer indirekten Verschärfung des Grenzwerts für Mobiltelefone gleichkommt, dann hat die EU im April 2016 an genau der richtigen Stellschraube gedreht, ohne dass Mobilfunkgegner und die Bevölkerung Notiz davon genommen haben. Nominell ist der Grenzwert von 2 W/kg zwar gleich geblieben, da der maximal zulässige Messabstand aber auf 1/5 des zuvor zulässigen Werts reduziert wurde, ist die Einhaltung des Grenzwerts für die Gerätehersteller merklich schwieriger geworden. Um wie viel schwieriger? Das habe ich mit Bordmitteln nachvollziehbar ausgerechnet – und bin dabei doch aufs Glatteis geraten. Bin üblicherweise ich es, der selbsternannten Experten der Anti-Mobilfunk-Szene ihre fachlichen Defizite entgegen hält, wies diesmal mir ein Wissenschaftler meine Grenzen auf. Und das kam so ...

Faktisch 25-Mal strengerer Grenzwert: wirklich?

Die folgende SAR-Formel aus dem Wikipedia-Eintrag über die Spezifische Absorptionsrate gibt einen versteckten Hinweis, wie stark sich der reduzierte Messabstand auf den gemessenen SAR-Wert auswirkt:

 

sarformel

 

Abgesehen von der elektrischen Feldstärke E prägen nur zwei gewebetypische Größen den SAR-Wert, die eine ist die Leitfähigkeit σ des betrachteten Gewebes, die andere die Gewebedichte ρ. Zur Feldstärke E ist noch anzumerken, diese ist nicht die mühelos messbare Feldstärke außerhalb eines Körpers, sondern die Feldstärke im betrachteten Gewebe. Deren Messung ist äußerst schwierig. Es gibt aber gute Gründe für die Annahme, die Feldstärke im Gewebe ändert sich proportional mit der von außen einwirkenden Feldstärke.

Der Messabstand r versteckt sich in der elektrischen Feldstärke E, deren Wert umgekehrt proportional zum Messabstand r ist (E ~ 1/r). Ergo bedeutet eine Reduzierung des Messabstands r um Faktor 5 eine Zunahme der Feldstärke um denselben Faktor. Da aber gemäß Formel der Betrag von E sich quadratisch auf die SAR auswirkt, verschärft der geschrumpfte Messabstand den zulässigen SAR-Grenzwert nicht um Faktor 5, sondern um 5 x 5 = Faktor 25. Mathematisch beschrieben ist dieser Sachverhalt mit SAR ~ 1/r².

Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur du denkst

SAR-Abstandsverlauf

Gemessener und gerechneter Abstandsverlauf der SAR eines Mobiltelefons. (Bild: IZgMF)

Eine indirekte Grenzwertverschärfung um den Faktor 25 wäre drastisch. Doch stimmt meine Abschätzung überhaupt? Da mir die drastische Verschärfung selbst nicht geheuer war, bat ich Dr.-Ing. Christian Bornkessel um kritische Prüfung. Bornkessel ist wissenschaftlicher Assistent an der TU Ilmenau, Fachgebiet Hochfrequenz- und Mikrowellentechnik, zur Zeit forscht er an der elektromagnetischen Modellierung von Mikrowellen-Absorbern.

In einer ersten Reaktion verwies mich der Wissenschaftler auf das PDF Systematische Erfassung der HF-Gesamtimmission in typischen Alltagssituationen. Dort zeigt Seite 11 einen messtechnisch ermittelten SAR-Verlauf abhängig vom Abstand, den ein Smartphone (Motorola Moto A953) von der Oberfläche eines SAR-Messkopfes hatte. Diese Grafik (Bild) bestätigt in guter Näherung den Zusammenhang SAR ~ 1/r².

Ein paar Tage sonnte ich mich in der Gewissheit, mit meinem Faktor 25 nicht völlig neben der Spur zu liegen, dann machte Bornkessel ernst: Die lineare Abhängigkeit der Feldstärke von der Entfernung gelte streng genommen nur für Freiraumausbreitung im Fernfeld, schrieb er. Und dies sei mit der Gebrauchssituation Handy am Kopf/Körper ganz gewiss nicht gegeben. Der Kopf/Körper befänden sich im Nahfeld des Mobiltelefons, konkret sogar im reaktiven Nahfeld. Hinzu käme, auch Freiraumausbreitung sei nicht gewährleistet, da der Kopf/Körper mit dem Telefon in Wechselwirkung stünde.

Wie aber ist der Abstandsverlauf von E im Nahfeld?, fragte Bornkessel, und beantworte sich seine Frage gleich selbst: “Dieser ist von der Art der Antenne abhängig: Bei punktförmig angenommenen Antennen (der beliebte Hertzsche Dipol) kommen zu E ~ 1/r Terme mit 1/r², 1/r³ hinzu; bei räumlich ausgedehnten Antennen (Aperturantennen) ist durch konstruktive und destruktive Interferenz a) teilweise sogar eine mit der Entfernung oszillierende Wirkung zu beobachten, aber b) generell eine Abhängigkeit, die “kleiner” 1/r ist (also z.B. 1/√r).” Nächste Frage: Was für eine Antenne liegt in einem Handy vor und wie ist die zugrunde liegende Stromverteilung? “Das ist gemeinerweise von der Frequenz abhängig: Bei 800 MHz und 900 MHz schwingt eher das gesamte Chassis (Aperturantenne), bei höheren Frequenzen dann tatsächlich nur die Antenne oder sogar nur Teile der Antenne. Insofern steht zu vermuten, dass für unterschiedliche Betriebsfrequenzen sich auch unterschiedliche SAR-Abstandsverläufe einstellen.”

Eine weitere Komplexität kommt gemäß Bornkessel dadurch zustande, dass der ausgewiesene Teilkörper-SAR-Wert ja kein “Lokal-Peak“-Wert ist, sondern immer über 10 g (kubisch) gemittelt wird. Hier könnte er sich bei unterschiedlichen Abständen des Handys vom Körper auch die örtliche Intensitätsverteilung der Felder im Gewebe unterschiedlich vorstellen. “Das müsste man mal simulieren”, meint der Wissenschaftler lakonisch. Wahrscheinlich werde durch die 10-g-Mittelung der tatsächliche Abstandsverlauf verzerrt.

Nach all den Gegenargumenten fällt Bornkessels Fazit seiner komplizierten Ausführungen nicht ganz so vernichtend aus wie befürchtet: Die von mir festgestellte 1/r²-Abhängigkeit der SAR möge für einzelne Kombinationen von Handy und Frequenz mehr oder weniger zufällig zutreffen, allgemeingültig oder einer Gesetzmäßigkeit folgend sei sie hingegen nicht.

Faktische Grenzwertverschärfung für Smartphones pauschal nicht bezifferbar

Mein Versuch, die 2016 von der EU-Kommission verfügte faktische Grenzwertverschärfung für Mobiltelefone zu quantifizieren, ist damit gescheitert. Eine pauschale Benennung der Verschärfung, gültig für alle Mobiltelefone, kann es aufgrund obiger Ausführungen per se nicht geben. Eine individuelle Benennung wäre aufwendig wohl machbar, jedoch ohne nennenswerten Mehrwert für Hersteller und Nutzer. Mutmaßlich sind dies Gründe dafür, dass die faktische Grenzwertverschärfung, die modellabhängig durchaus beträchtlich ausgefallen sein könnte, 2016 so unauffällig vollzogen wurde. Ein weiterer Grund für die Diskretion dürfte die Überlegung gewesen sein, in der Bevölkerung keine schlafenden Hunde zu wecken. Wie dem auch sei: Wer in der EU ein nach dem 25. April 2016 erworbenes Smartphone sein eigen nennt lebt mit Blick auf das hypothetische Risiko Mobilfunk ein Stückchen sicherer. Und wer noch stolz darauf ist, ein Handy aus der Steinzeit des Mobilfunks zu benutzen, der sollte überlegen, ob er vorsorglich nicht besser auf ein jüngeres Modell umsteigt. Gelegenheitstelefonierer können diesen Tipp getrost in den Wind schlagen.

Weiterführende Links

SAR-Datenbank der ANFR

Spezifische Absorptionsraten (SAR) von Handys (BfS)

Wikipediaeintrag zur SAR

Frankreich: keine Strahlungsminimierung auf 1 V/m

Frankreich: Der "Phonegate-Skandal"

Frankreich: 5G-Exposition der Bevölkerung, erste Messwerte

SAR-Sensoren: Automatische SAR-Reduzierung bei Körperkontakt

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