Jean-Yves Cendrey: Schproum - Bekenntnisse eines EHS (Elektrosensibilität)

Kuddel, Sonntag, 20.10.2013, 16:25 (vor 3844 Tagen) @ Kucksdu
bearbeitet von Kuddel, Sonntag, 20.10.2013, 18:05

Elektrosensibilität ist meiner Meinung nach eine "Erfindung" von Rutengängern und Heilpraktikern, die sich auf dem Gebiet der so geannnten "Elektrobiologie" betätigen, verstärkt durch Vermarktungsaktivitäten "Elektrosmog-Meßgeräte"-Hersteller, welche sich in ihren Werbebroschüren wiederum auf die "Erfahrungen" (Evidenz-Medizin, anekdotische Fallberichte) von Heilpraktikern und Rutengängern berufen.

Rutengänger haben früher schon bei Menschen ominöse "Strahlen" als Krankheitsursache diagnostiziert und "erfolgreich" therapiert (Beispiel)

Das Baubiolpogie-Institut IBN Neubeuern wurde im Auftrag des Forschungskreis Geobiologie Hartmann.eV. von dessen Vereinsmitglied Dr. Anton Schneider (von Beruf Dipl. Holzwirt) gegründet, da das Geschäftsmodell mit Erdstrahlen der aufgeklärteren Kundschaft wegen schlechter Reproduzierbarkeit kaum noch vermittelbar war, während sich technische Felder dank hochempfindlicher elektronischer-Meßempfänger sehr gut reproduzierbar "messen" lassen. (Hier im Editorial nachzulesen)

Elektrobiologie ist eine weitere Form der Alternativmedizin, die chronisch mit dem Problem zu kämpfen hat, daß der Erfolg der Behandlungsmethoden mit wissenschaftlichen Methoden nicht nachweisbar ist. Elektrobiologen hängen der These an, daß technische Felder eine "Information" in den Körper einschleusen, welche positiv aber auch negativ in der Auswirkung auf die Gesundheit sein kann und von der der Stärke des Feldes unabhängig ist (vergleichbar Homöopathie).
Diese angeblichen Wirkmodelle entbehren in der Regel jeder wissenschaftlichen Grundlage. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es nicht plausibel, daß extrem schwache Funkfelder eine Wirkung haben sollen, wenn schon millionenfach stärkere Felder in Versuchen keine nachweisbare biologische Wirkung zeigen.

Die elektrischen und magnetischen Wechselfelder von WLAN Routern, Funkmasten und DECT Basisstationen sind in der Regel so schwach, daß aus rein physikalischer Sicht ein Einfluß auf biochemische oder elektrische Prozesse höchst unwahrscheinlich ist, (das BfS spricht vom Fehlen eines plausiblen Wirkmodells).
Auch diverse praktische Versuche an sich selbst als "Elektrosensibel" bezeichnenden Personen zeigten in der Regel keine wissenschaftlich nachweisbaren Wirkungen.

Der Vergleich mit einer Allergie (Überreaktion des Immunsystems) ist ebenalls nicht plausibel, da ein stoffliches Allergen nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip eine biochemische Kaskade auslöst, während es Mensch und Tier aber an einem "Schloss" für elektromagnetische Wechselfelder bei Mobilfunkfrequenzen mangelt. Es gibt weder ein physikalisches Wirkmodell, noch einen bekannten Effekt von Funkfeldern auf biochemische Reaktionsprozesse, noch gibt es einen plausiblen Grund, warum die Evolution überhaupt ein "Schloß" für schwache Mobilfunkfelder entwickelt haben sollte, dessen Existenz zudem aus physikalischen Überlegungen unwahrscheinlich ist.

Auf der anderen Seite sind Placebo und Nocebo-Effekte wissenschaftlich untersucht und anerkannt...und bieten auch eine Erklärung für den in diversen anekdotischen Fallberichten reklamierten Behaldlungserfolg von Alternativmedizinern.

Aus gutem Grund liest man bei Vertreibern Homöopatischer Mittelchen den Hinweis, daß es keinerlei bekannte "Nebenwirkungen" gibt, verbunden mit der Bitte:
"Sollten Sie positive Erfahrungen mit unserem Präparat gemacht haben, so teilen Sie uns dies bitte in Form einer Fallbeschreibung mit, damit auch andere von Ihrer Erfahrung profitieren".

=> Die anekdotischen Fallberichte stellen also in der Regel nur die "positiven" Erfahrungen dar.
Negative Erfahrungen (=keine Wirkung) werden aufgrund dieses Prinzips gar nicht erst veröffentlicht und Nebenwirkungen sind per Definition ja von vornherein nicht zu erwarten.

Klingt doch überzeugend:
- Keine Nebenwirkungen
- nur positive Fallberichte
- im schlechtesten Fall keine Wirkung
=> man kann also nichts falsch machen...oder ?

Problematisch wird es beim Geldbeutel und dem Problem, daß bei ernsteren Krankheiten oft die wirklichen Ursachen nicht weiter gesucht werden und unbehandelt bleiben.

Den wenigsten Elektrosensiblen wird durch Umzug oder Abschirmung geholfen.
Die Besserung der Beschwerden ist meist nur von kurzer Dauer (ein paar Wochen bis Monate), dann stellen sich die Beschwerden wieder ein.
Der Baubiologe oder Heilpraktiker erklärt das dann damit, daß der Kunde nun angeblich "sensibilisiert" sei, so daß er nun auch auf schwächere Funkfelder z.B. des DECT vom Nachbarn reagiert.
Die alternative und meiner Meinung nach plausiblere Erklärung für die Wiederkehr der Beschwerden ist einfach: Die wirkliche Ursache für die Probleme ist ganz woanders zu suchen und kann durch Elektrosmog-Hokus-Pokus nicht "geheilt" sondern auf Dauer nur verschlimmert werden, mit der Folge, daß der Betroffene sich nicht mehr traut, am öffentlichen Leben teil zu nehmen und vereinsamt.

K

Tags:
Abschirmung, Homöopathie, Rutengänger, IBN, Fallgeschichten, Wünschelruten, Elektrobiologie, Heilpraktiker, Fallbericht


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