Schweiz: Genf fordert schweizweites 5G-Moratorium (Allgemein)
Der Grosse Rat des Kantons Genf fordert die Bundesversammlung dazu auf, ein Moratorium für den Aufbau des 5G-Millimeterwellen-Netzes in der Schweiz zu verhängen, in Zusammenarbeit mit den Kantonen ein nationales Funkwellen-Kataster ins Leben zu rufen und bei der Planung der Netzabdeckung die Stellungnahmen der betroffenen Kantone und Gemeinden einzuholen und zu berücksichtigen (Standesinitiative 20.309).
Begründung
Die Risiken von 5G
Der massive Ausbau der 5G-Technologie beunruhigt immer mehr Bürgerinnen und Bürger. Er stellt einen enormen technologischen und gesellschaftlichen Wandel dar, dem eine Grundsatzdebatte vorausgehen muss. Dereinst sollen die Internetverbindungen 10-mal schneller sein als heute mit 4G. Während 3G, 4G und WLAN mit Funkwellen bis 5 GHz funktionieren, verwendet 5G sehr hochfrequente Millimeterwellen zwischen 15 und 20 GHz oder sogar mehr. Die lebenden Zellen werden also in bislang unbekannter Weise und deutlich massiver als zuvor nichtionisierender Strahlung ausgesetzt sein.
Im Weiteren stellt der Entscheid für oder gegen die dauerhafte Verbindung zwischen den Geräten und den Personen, die diese nutzen, eine zivilisatorische Wegscheide dar. Vor dem Entscheid, welcher Weg eingeschlagen wird, muss in einer demokratischen Gesellschaft wie der unseren unbedingt eine Grundsatzdebatte stattfinden. Doch selbst in dem Fall, dass ein demokratischer Entscheid zugunsten eines solchen technologischen Wandels fällt, sollte vielmehr in die technische Weiterentwicklung des bestehenden Glasfasernetzes investiert werden, da dieses Netz deutlich geringere Risiken für Umwelt und Gesellschaft birgt.
Die Auswirkungen auf sämtliche Lebewesen und die menschliche Gesundheit wurden nie eingehend wissenschaftlich untersucht.
Die im Auftrag des UVEK angefertigte Studie "Mobilfunk und Strahlung" erachtet es jedoch als ausreichend bewiesen, dass es in Ruhe- und Schlafphasen Auswirkungen auf die Hirnwellen hat, wenn der Kopf hochfrequenter Strahlung ausgesetzt ist. Alexander Reichenbach, Chef der Sektion Nichtionisiernde Strahlung beim Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat in den Medien anerkannt, dass die Strahlung in den für den Mobilfunk genutzten Frequenzen bereits heute zu einer Erhitzung von Stoffen führen kann. Doch es geht nicht nur um die Hitzeentwicklung, sondern namentlich um die möglichen Zellveränderungen, die unbedingt in klinischen und epidemiologischen Studien eingehend untersucht werden müssen. Es ist anerkannt, dass die Strahlen bereits unterhalb der gesetzlichen Strahlengrenzwerte krebsfördernd sein und physiologische Auswirkungen auf das Gehirn haben können. Dies wäre mit 5G und der weiteren Häufung von Strahlung wahrscheinlich noch problematischer.
Die möglichen Risiken sind bekannt, aber noch nicht ausreichend untersucht. Die von den Bundesbehörden eingesetzte Arbeitsgruppe war nicht in der Lage, überzeugende Antworten zu den Auswirkungen von 5G auf lebende Zellen und die menschliche Gesundheit zu liefern.
Sie hat deshalb keinerlei Empfehlungen hinsichtlich einer allfälligen Änderung der Strahlengrenzwerte in der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV) ausgesprochen.
Zudem wurde die Unabhängigkeit dieser Expertengruppe infrage gestellt: Rund 20 Fachleute äusserten in einem Schreiben ihre Bedenken angesichts möglicher Interessenbindungen einiger Mitglieder dieser Gruppe zu Unternehmen aus dem Bereich der drahtlosen Kommunikation. Der Verband "Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz" wiederum befürchtet, dass der Bericht der Expertengruppe lediglich dazu dient, die anstehende Anhebung der Strahlengrenzwerte zu rechtfertigen, gegen die er sich vehement ausspricht.
5G und Klimanotstand
Neben den gesundheitlichen Risiken birgt der Ausbau der 5G-Technologie auch Gefahren für die Umsetzung des Klimaplans und die möglichst rasche Erreichung des Ziels der CO2-Neutralität. Während die Befürworterinnen und Befürworter damit werben, dass durch ein präziseres Prozessmanagement Energie und Ressourcen gespart werden können, ist vermutlich eher von einer Erhöhung der CO2-Emissionen auszugehen. Laut der Forschungsgruppe "Shift Project" ist der Energieverbrauch von 5G-kompatiblen Geräten dreimal so hoch wie bei 4G, da die Menge der übertragenen Daten deutlich ansteigt. Um die neue Technologie nutzen zu können, müssen zudem viele Geräte durch neue Geräte, die mit dieser Technologie funktionieren, ersetzt werden (autonome Fahrzeuge, intelligente Kühlschränke, intelligente Tracker usw.), deren Produktion enorme Mengen an grauer Energie verbrauchen wird. Ferner dürfte die erwartete Energieeffizienz von 5G laut Françoise Berthoud, Ingenieurin am Forschungszentrum CNRS, durch einen Rebound-Effekt aufgehoben werden: Ziel der neuen Technologie sei nämlich nicht das Energiesparen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen, sondern zum Auffangen des zusätzlichen Verbrauchs.
Angesichts der Gesundheits- und Umweltrisiken ist das Vorsorgeprinzip anzuwenden und ein Moratorium zu verhängen.
Die Schweizer Betreiber ignorieren den starken Widerstand in der Bevölkerung und beschleunigen - in grober Missachtung demokratischer Prozesse - den Ausbau der 5G-Technologie. Swisscom kündigte Mitte Dezember 2019 in den Medien stolz an, dass inzwischen 90 Prozent der Schweizer Bevölkerung ans 5G-Netz angeschlossen ist. Zählte das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) im Mai 2019 noch rund 260 5G-Sendeanlagen, waren es im Januar 2020 schon 2329.
Im Kanton Genf, wo es im Juni 2019 laut der Website des BAKOM 14 5G-Antennen gab, sind es inzwischen 120, die meisten davon in der Stadt Genf.
Diese Zahlen stammen vom BAKOM bzw. sind Schätzungen der Medien, da die Betreiber selbst jegliche Transparenz verweigern. Allerdings sind diese Angaben mit Vorsicht zu geniessen, da sie offenbar seit dem 15. Januar 2020 nicht mehr aktualisiert worden sind.
Die Bürgerinnen und Bürger werden demnach von den Betreibern vor vollendete Tatsachen gestellt. Zum Schutz der Demokratie und zur Bekräftigung des Vorsorgeprinzips ist ein Moratorium deshalb unerlässlich.
Kommentar: Bemerkenswert an dieser Initiative ist, dass Politiker erstmals (mutmaßlich unbewusst) trennen zwischen öffentlichen 5G-Netzen, die derzeit in Europa installiert werden (Mikrowellen, Frequenzen maximal rd. 3,6 GHz) und künftigen privaten 5G-Netzen (Millimeterwellen, höhere Frequenzen bis zunächst rd. 28 GHz), die in erster Linie für Industriebetriebe von Interesse sind. Die Genfer Initiative bezieht sich offenkundig auf Millimeterwellen mit Frequenzen von 15 GHz bis 20 GHz, also nicht auf das 5G, das gegenwärtig installiert wird, sondern auf künftige 5G-Netze. Leider drückt sich die Initiative diesbezüglich so schwammig aus, dass interessierte Kreise (Mobilfunkgegner) den Vorstoß mühelos zum Schüren von Ängsten gegenüber öffentlichen 5G-Netzen missbrauchen können. Diese fehlende Sensibilität beim Verfassen von Bekundungen zu 5G ist mMn ein substanzielles Problem, das die öffentliche Debatte um 5G unnötig mit Missverständnissen belastet. Offen ist, ob sich der Große Rat in Bern darüber im Klaren ist, dass 5G keineswegs nur im Frequenzbereich von 15 GHz bis 20 GHz stattfindet, sondern auf allen Mobilfunkfrequenzen herab bis zu 700 MHz praktiziert werden kann. Die tiefen Frequenzen dienen jetzt der öffentlichen Flächenversorgung, die höheren (6-GHz-Band) demnächst der öffentlichen Kapazitätsversorgung und die noch höheren (15 GHz bis 90 GHz) sind zukünftig für private Sonderanwendungen vorgesehen.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –
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H. Lamarr,
09.04.2020, 11:55
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