Demokratie in der Wissenschaft: Keine Konsensdebatte mit Icnirp (Forschung)

H. Lamarr @, München, Samstag, 01.04.2023, 21:13 (vor 393 Tagen) @ H. Lamarr

Akademische Mobilfunkkritiker und einige Vereine mühen sich seit vielen Jahren ab, der Öffentlichkeit den Eindruck zu vermitteln, in der Mobilfunkdebatte stünden sich zwei gleich starke Interessengruppen seit Jahrzehnten Kopf an Kopf gegenüber. Die einen verteidigen die gegenwärtig in rd. 140 Ländern geltenden Icnirp-Grenzwerte (für Ganzkörper-Befeldung), die anderen fordern niedrigere Grenzwerte. Die Rede ist von einer Patt-Situation. Seit mindestens 20 Jahren geht dies nun so. Doch unbeschadet von der Dauerkritik entschlossen sich in dieser Zeit weitere Länder für die Übernahme der Icnirp-Grenzwerte. Die Kritiker hingegen gingen leer aus, sie mussten notgedrungen mit allerlei "Wissenschaftler-Appellen" auf ihren Standpunkt aufmerksam machen, Beachtung schenke diesen jedoch keine einzige Regierung auf dieser Welt, allein Anti-Mobilfunk-Vereine richteten sich daran auf. Das ist die Ausgangslage: Icnirp ist der unnachgiebige Wellenbrecher, an dem die Energie aller bisher von Kritikern entfachten Wellen folgenlos verebbte.

Der finnische Wissenschaftler Dariusz Leszczynski, auch er ein Icnirp-Kritiker, hat kürzlich einen neuen Vorschlag gemacht, die Polarisierung zu überwinden. Er schlägt eine Konsensdebatte zwischen den Wissenschaftlern beider Lager vor, organisiert und moderiert z.B. von der WHO oder Iarc.

Aus Sicht des Beobachters ist dies eine freundliche Handreichung des Schwächeren an den Stärkeren. Aus Sicht der Kritiker ist dies die Chance, endlich als Gesprächspartner auf Augenhöhe anerkannt zu werden und nicht länger auf die Vereine mit ihren "Bauernheeren" angewiesen zu sein.

Wie aber ist die Sicht von Icnirp auf den Vorschlag des Finnen?

Dem Flurfunk zufolge lehnt der Wellenbrecher den Vorschlag kategorisch ab. Eine solche Konsensdebatte werde es mit Icnirp nicht geben, denn damit würde ein komplett falsches Framing entstehen. In Wissenschaftskreisen repräsentiert Icnirp die wissenschaftliche Bandbreite. Die Kommission gibt sich damit so selbstbewusst wie kürzlich die deutsche und österreichische Wissenschaftsakademie in der Politikberatung. Innerhalb Icnirp gäbe es durchaus kritische Auseinandersetzungen und grundsätzlich hätten dort auch wissenschaftliche Extrempositionen Platz, würden diese mit einer konstruktiven Diskussionkultur vorgetragen. Einen Dialog mit Lennart Hardell oder ICBE-EMF werde es jedoch nicht geben. Dies würde bei Laien das Framing zementieren, es gäbe zwei Pole in der Wissenschaft und die Wahrheit läge in der Mitte. Icnirp betrachtet seine Grenzwert-Empfehlungen nicht als verhandelbar, denn diese beruhten auf Fakten. Wer Einfluss auf die Empfehlungen haben möchte, möge belastbare wissenschaftliche Fakten beibringen, keine Meinungen.

Hintergrund
Die Wahrheit liegt verdammt noch mal nicht in der Mitte

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Wissenschaft, Leszczynski, Patt, ICBE-EMF, Konsens, Framing


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