Niederländischer Gesundheitsrat sorgt sich um 5G bei 26 GHz (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 08.09.2020, 18:02 (vor 1344 Tagen) @ H. Lamarr

Die Empfehlungen des Fachausschusses EMF im Gesundheitsrat sind unspektakulär bis auf eine, die besagt, das 26-GHz-Frequenzband für 5G so lange nicht zu nutzen, bis potenzielle Gesundheitsrisiken in diesem Frequenzband untersucht worden sind.

In Deutschland ist es so, dass Frequenzen im 26-GHz-Band nicht Bestandteil der Frequenzauktion waren, die 2019 hierzulande stattfand und dem flächendeckenden Aufbau von 5G-Netzen für öffentlichen Mobilfunk galt. Versteigert wurden 2019 bei uns 5G-Frequenzen in den Bändern 2 GHz und 3,6 GHz.

Frequenzen im 26-GHz-Band (24,25–27,5 GHz) werden in Deutschland nicht versteigert, sondern künftig an Antragsteller für lokale und regionale 5G-Netze vergeben. Gegenwärtig ist dies in Deutschland noch nicht der Fall, denn die dazu erforderliche Verwaltungsvorschrift "VV Lokales Breitband 26 GHz" wird derzeit von der BNetzA in der endgültigen Fassung ausgearbeitet. Die Anhörungsfrist "interessierter Kreise" zum Entwurf der VV endete am 31. August 2020. Frühestens in einigen Wochen oder Monaten können daher erste Anträge für lokale/regionale 26-GHz-Netze eingereicht werden.

Tappen im Dunkeln: Was sind lokale/regionale Netze?

Konkrete Angaben, welchen Geschäftsmodellen wir aufgrund lokaler/regionaler 5G-Netze künftig begegnen werden, sind in den Medien äußerst rar. Hinweise darauf geben die Stellungnahmen, die interessierte Kreise 2018 anlässlich erster Überlegungen zur "VV Lokales Breitband 26 GHz" der BNetzA vorgelegt haben. Dort tauchen u.a. die Namen von Autoherstellern auf, von Energieversorgern, Airbus, Bosch, Telekom, Vodafone und Samsung.

Die Stellungnahme von BMW habe ich mir etwas genauer angesehen. Das ist schon interessant: Der Autohersteller beabsichtigt das bislang kabelgebundene umständliche und zeitraubende Einspielen der etliche Gigabyte umfassenden Firmware für die vielen Steuergeräte seiner Modelle künftig über eine breitbandige 26-GHz-Funkverbindung zwischen Fahrzeug und einem zentralen Server abzuwickeln und dadurch den Produktionszyklus zu verkürzen.

Dass sich offenbar auch Betreiber öffentlicher Mobilfunknetze für 5G auf 26 GHz interessieren, könnte zu der Behauptung führen, es seinen flächendeckende öffentliche Mobilfunknetze in diesem Frequenzband in Planung. Der Interessenverband Bitkom befeuert solche Spekulationen mit seiner Forderung, die BNetzA solle nicht nur lokale/regionale 26-GHz-Netze zulassen, sondern auch "bundesweite Geschäftsmodelle".

Doch wie soll öffentlicher Mobilfunk auf 26 GHz mit Smartphones funktionieren und wer benötigt, wenn er mobil unterwegs ist, die dort möglichen gewaltig großen Bandbreiten/Datenübertragungsraten? Smartphone-Antennen für 26 GHz kann ich mir nur schlecht vorstellen, die Funkfelddämpfung in diesem Band lässt nur kurze Reichweiten zu und jedes Hindernis in der Sichtlinie zwischen Smartphone und Basisstation würde die Verbindung wahrscheinlich abbrechen lassen oder zumindest empfindlich stören.

Prof. Achim Enders über 5G-Mobilfunk auf 26 GHz: "mal sehen"

Um diesen Nebel aufzulösen fragte ich bei Achim Enders, Technische Universität Braunschweig (und stellv. Vorsitzender der SSK) nach, was er von flächendeckendem öffentlichen Mobilfunk auf 26 GHz und darüber hält.

Noch vor zwei Jahren, so Enders, hätte er vermutlich gesagt, dieser Frequenzbereich könne ohne Frage nicht für öffentliche Mobilfunknetze wie wir sie heute kennen genutzt werden, aus genau den Gründen/Stichworten, die ich oben angedeutet habe. Richtig war und bleibe aus seiner Sicht, dass die Erstanwendungen für diesen Frequenzbereich bei Spezialanwendungen im professionellen Bereich liegen werden, also bei Industrie- und Telematikanwendungen. Da gäbe es definitiv auch schon sehr weit gediehene Pläne. Was auch richtig bleiben werde sei, dass wegen der Funkfelddämpfung keine vollständige Versorgung in der Fläche, wie für 4G von der Bundesnetzagentur gefordert, realisiert werden könne.

Was aber realistische Anwendungen in bebautem/städtischem Gelände mit der Möglichkeit von Hot-Spots/Mikrozellen alle hundert Meter angeht, ist der Professor vorsichtiger geworden. Ihm erschien es noch vor vielleicht zwei Jahren schon rein kostenmäßig als utopisch, Massive-Mimo-Antennentechnik im Gehäuse heutiger Smartphones beidseitig oder sogar in jeder Seitenfläche integrieren zu können. Ein einziges Array auf einer Seite sei schließlich kaum brauchbar, bei 50 GHz bliebe dann bei Abdeckung mit dem Handballen kaum noch verfügbare Leistung fürs Senden und für den Empfang übrig. Mit mehreren Mimos auf jeder Seite eines Smartphones könne jedoch, wie jetzt schon im UKW-Bereich bei Autos praktiziert, über "Antennen-Diversity" das jeweils beste Mimo-Array ausgewählt werden. Damit sei das Problem der Abschattung mit der Hand keines mehr, selbst dann, wenn im rauen Alltag das Diversity nicht so gut funktionieren werde wie in der Theorie oder im Labor.

Auch das Problem der starken Funkfelddämpfung, das mit steigender Frequenz an Gewicht gewinnt, sieht Enders heute als gelöst an. Die hohe Funkfelddämpfung werde mit dem hohen Gewinn von Mimo-Antennen auf beiden Seiten der Funkstrecke überwunden. Dies funktioniere bei Line-of-Site-Übertragung (Sichtkontakt zur Basisstation) sicher bis einige hundert Meter Entfernung, vielleicht sogar über einige Kilometer hinweg gut. Abstandsradare in Autos arbeiteten häufig im Bereich 76 GHz bis 77 GHz und dort sei die Funkfelddämpfung noch viel größer, da Reflektion am vorausfahrenden Auto keine bündelnde Mimo-Charakteristik aufweist, dennoch schafften selbst diese mindestens 100 Meter Reichweite.

Bleibt das Problem der Non-line-of-Site-Übertragung, wenn also etwas im Weg steht. Dieses Hindernis ließe sich Enders gemäß zumindest ansatzweise mit einer "Umwegreflektion" umgehen, Mimo-Antennen auf beiden Seiten vorausgesetzt. Doch wie beim Autoradar würden dann wegen der nicht gerichteten Sekundärreflektion viel höhere Funkfelddämpfungen zuschlagen. Bei Massenprodukten reiche es dann nur für maximal 100 Meter bis 200 Meter Reichweite.

Enders' Fazit lautet: "Dass so etwas technisch und ökonomisch darstellbar sein soll, da habe ich meine Meinung zumindest von definitiv skeptisch hin zu "mal sehen" geändert. Das liegt bei mir natürlich auch daran, dass ich die Fachliteratur der Ingenieurwissenschaften mitbekomme und zunehmend mehr Publikationen zu machbarer Hand-Held-Mimo-Technik im fraglichen Frequenzbereich von 26 GHz und darüber erscheinen. Was aber nicht zwingend heißt, dass dies in fünf bis zehn Jahren zu einer etablierten Massentechnik führt."

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
BMW, Telekom, Vodafone, Mikrozellen, 5G, Enders, Bosch, Hot-Spot, Mimo, 26-GHz, Airbus, Samsung, Autohersteller, Energieversorger


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