Prof. Wuschek: Erdung wirkt sich nicht auf Schirmwirkung aus (Forschung)

Gast, Sonntag, 11.05.2014, 22:40 (vor 3654 Tagen) @ H. Lamarr

Ich habe Prof. Wuschek soeben um eine kurze Stellungnahme gebeten, das Schirmrätsel für uns zu lösen.

Prof. Matthias Wuschek schreibt heute in seiner Antwort:

In der Tat war ich im Jahr 2012 auf Einladung von Koll. Mouritsen für 1 1/2 Tage in Oldenburg und habe für die dortige Arbeitsgruppe diverse Feldstärkemessungen in und außerhalb der verschiedenen vorhandenen Häuser, in denen die Vogel-Experimente durchgeführt wurden, vorgenommen.

Die in der Veröffentlichung in "Nature" dokumentierten Feldstärkemessungen stammen nicht von mir, sondern wurden von dem Oldenburger Team eigenständig durchgeführt. Vermutlich bereits deutlich vor meinen Messungen, denn die Vogelexperimente wurden ja offensichtlich bereits in den Jahren 2005 bis 2011 durchgeführt.

Ich kann also nichts Detailliertes zu den von der Oldenburger Gruppe durchgeführten Feldstärke-Messungen sagen.

Wenn ich mich recht erinnere, existieren in Oldenburg sowohl Holzhäuser, in denen die Abschirmung "im Eigenbau" hergestellt wurde, aber auch neuere Installationen von professionellen Firmen, die im Bereich Schirmkabinenbau tätig sind.

Die Schirmdämpfung einer geschlossenen Aluminium-Schirmkabine gegen elektrische Felder wirkt bis herunter zur Frequenz 0 (Faradayischer Käfig). Gegenüber magnetischen Gleichfeldern bzw. niederfrequenten Magnetfeldern (z.B. 50 Hz) wirkt die Schirmung bekanntlich nicht. Vernünftige Magnetfeld-Schirmdämpfungswerte bekommen Sie erst bei Frequenzen oberhalb einiger 10 kHz. Allerdings auch bei Aluminium als Abschirmmaterial, da die Schirmung gegen höherfrequente Felder durch die entstehenden Wirbelströme erzeugt wird. Aluminium schirmt dagegen nicht gegen magnetische Gleichfelder oder Niederfrequenz (z.B. 50 Hz). Hierfür benötigt man bekanntlich ferromagnetische Materialien, wie z.B. Eisen oder Mu-Metall.

Die Schirmwirkung von Aluminium kann man sicherlich nicht durch Wegnehmen der Erdung ein- und ausschalten. Die unterschiedlichen Messergebnisse bei geerdeter und nicht geerdeter Schirmung deuten nach meiner Meinung auf eine Einkopplung externer Felder über irgendwelche Wege (leitungsgebunden) in den Messraum (z.B. über die Masse). Derartige Effekte erscheinen mir nicht verwunderlich bei fehlender Erdung.

Ist übrigens auch ganz schön gefährlich ohne Erdung (Potentialausgleich) zu arbeiten (Gefahr von Stromschlägen bei nicht geerdeten metallischen Objekten). Dem Hauselektriker und dem Arbeitsschutzbeauftragten der Universität wird nicht besonders wohl zu Mute gewesen sein, falls sie davon erfahren haben. Gottseidank ist offensichtlich nichts passiert.

Aber egal:

Fakt ist, dass die Vögel offensichtlich reproduzierbar bei vorhandenen Störfeldern im nT- bzw. mV/m-Bereich bereits ihre Orientierungsfähigkeit verloren haben Dabei ist es offensichtlich unerheblich, ob die Felder von extern herrühren oder ob sie intern generiert werden. Der Effekt zeigt sich ja auch bei Vergleichsmessungen mit guter Abschirmung nach außen und eingeschalteten breitbandigen rauschähnlichen elektromagnetischen Störsignalen (Fig. 4).

Von externen Funksendern (Längstwelle, Langwelle, Mittelwelle, Kurzwelle) scheint die Beeinflussung jedoch nicht herzurühren, da sonst auch in der ungeschirmten Hütte außerhalb von Oldenburg die Orientierungsstörung hätte feststellbar sein müssen (Fig. 5). Meine Messungen in Oldenburg zeigten, dass die größten "Radiofelder" vom Längstwellensender "Saterland-Ramsloh" im Emsland (U-Bootfunk bei f = 23 kHz) herrührt. Dieses Längstwellensignal ist am Unicampus und am Standort außerhalb von Oldenburg in etwa gleich stark messbar.

Die Beeinflussung erfolgt also vermutlich über "Man Made Noise" aus der näheren Umgebung (der sich durchaus auch leitungsgebunden über das Stromnetz oder auch als Mantelstrom auf koaxialen Messleitungen verbreiten kann). Typische Quellen sind Stromrichter für Elektromotoren oder Schaltnetzteile, wie sie heute ja immer mehr in elektrischen und elektronischen Geräten verwendet werden, vielleicht auch Signale der Powerline-Communication). Man sieht bei den dokumentierten Messkurven auch meist sehr breitbandige Störbilder. Vermutlich koppeln sich die Störsignale als "vagabundierende Ströme" bei nicht vorhandener Erdung irgendwie in das Innere der Schirmkabinen und generieren dort dann die Störfelder.

Am ländlichen Standort war kein elektrisches Gerät in der Nähe, auch keine Stromleitung. Daher herrscht dort (bis auf die Funksignale) ein ruhiges Spektrum, was die Vögel offensichtlich gut vertragen.

Fazit

Wenn man also davon ausgeht, dass es hier tatsächlich einen Effekt gibt, so wird dieser offensichtlich eher von breitbandigen Signalen generiert, als von schmalbandigen (oder die schmalbandigen externen Funksignale waren zu schwach, um einen Effekt zu erzeugen).

Wenn man sich allerdings überlegt, dass seit etwa 100 Jahren sehr viele leistungsstarke Längst- bis Kurzwellensender z.B. in Europa betrieben wurden (vor 50 Jahren waren es viel, viel mehr Sender als heute, wo das alte "Dampfradio" ja fast ausgedient hat), so müssten Zugvögel seit vielen Jahrzehnten Probleme bei der Orientierung in Europa haben (über Sibirien, Nordkanada, Alaska etc. vermutlich dann eher nicht). Mir ist nicht bekannt, ob es diesbezüglich aus der Vergangenheit irgendwelche Erkenntnisse gibt.

Vielleicht ist es auch so, dass die Vögle nur in der Nähe der zivilisatorischen Störsignale (d.h. in Bodennähe in technisierten Gegenden, wie Städte oder Industriegebiete) in ihrer Orientierung beeinflusst werden , aber kurz nach dem Start in größerer Höhe kein Problem mehr haben, da in diesen Höhen die "Man Made" Felder vermutlich bereits deutlich abgeklungen sind. Daher hat der gefundene Effekt vielleicht auch gar keine signifikante Auswirkung auf die Langstreckennavigation der Tiere.

Aber die Beantwortung dieser Frage war sicherlich nicht Ziel dieses Forschungsprojektes.

Es sind also noch viele Fragen offen. Aus meiner Sicht wäre es nun sehr interessant, genauer nachzusehen, bei welchen Signalen (Signalform, Frequenz, Bandbreite) ein Einfluss auf die Orientierung der Tiere feststellbar ist und insbesondere auch ab welcher Schwelle. Die in Ihrem Forum aufgeworfenen Fragen zeigen auch, dass es beim technischen Setup der Untersuchungen auch noch Verbesserungspotenzial gibt.

Grundsätzlich erhebt der Ingenieur in mir an dieser Stelle natürlich wieder sein mahnendes Wort, dass bei derartigen biologischen Studien zur Beeinflussung von Lebewesen durch elektromagnetische Felder in der Forschungsgruppe immer auch ein kompetenter Vertreter der Ingenieurwissenschaften (Hochfrequenztechnik, EMV, EMF) vertreten sein sollte, der bezügliche der Feldexposition für Versuchssetups gemäß dem Stand von Wissenschaft und Technik auf diesem Gebiet sorgen kann. Dies wird leider sehr häufig bei derartigen Projekten vernachlässigt. Auch bei diesem Projekt war offensichtlich kein Experte aus dem Gebiet der Feldexposition bei Definition und Aufbau des Versuchssetups und der Durchführung der Messungen beteiligt (jedenfalls sehe ich keinen einschlägig bekannten Namen in der Autorenliste). Schade!

Übrigens: Messergebnisse der BNetzA an irgendwelchen Punkten einige 100 Meter entfernt vom eigentlichen Ort der Versuche haben nur eine beschränkte Aussagekraft, da sie natürlich nicht das kleinräumige Man-Made-Noise erfassen können, was am Ort des Versuches möglicherweise existiert.

Prof.-Dr.-Ing. Matthias Wuschek
Nachrichtenübertragungstechnik, EMV
Technische Hochschule Deggendorf (THD)
Deggendorf Institute of Technology
Fakultät Elektrotechnik und Medientechnik
Edlmairstraße 6+8
D-94469 Deggendorf

Tags:
Störsignal, Gleichfelder, Technik, Messung, Wuschek, Schirmung, Erdung, Frequenzen


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