iPhone 12: Die SAR-Grenzwertüberschreitung, die keine war ... (Technik)

H. Lamarr @, München, Dienstag, 09.01.2024, 20:46 (vor 498 Tagen) @ H. Lamarr

Die französische Funknetzagentur hat zu Apples Verstoß drei französischsprachige Pressemitteilungen veröffentlicht, die erste und zweite am 12. September, die dritte am 14. September. Darin stellt die Behörde wiederholt fest, das iPhone 12 bewirke in den Gliedmaßen von Nutzern einen unzulässig hohen Energieeintrag von 5,74 W/kg, der zulässige SAR-Grenzwert von 4 W/kg (für Gliedmaßen) sei damit überschritten.

Wie konnte ausgerechnet dem technologischen Wunderknaben Apple so ein Leichtsinnsfehler passieren? Apple veröffentlichte dazu im November 2023 eine Stellungnahme, die den Vorfall nachvollziehbar in ein ganz anderes Licht rückt. Plötzlich ist nicht mehr der Smartphonehersteller der Schuldige, sondern das von AFNR mit den SAR-Messungen beauftragte Messlabor in Deutschland.

Aus Sicht von Apple war und ist das iPhone 12 grenzwertkonform. Das Unternehmen begründet seine Haltung in der Stellungnahme vom 15. November 2023 damit, dass das Smartphone beim bestimmungsgemäßen Gebrauch in den Händen seiner Benutzer den zulässigen Grenzwert von 4 W/kg nicht überschreitet. Geben Benutzer das Gerät jedoch aus der Hand und legen es z.B. vor sich auf einen Tisch, werde die Sendeleistung "leicht erhöht", um bessere Verbindungen zur Basisstation zu gewährleisten. Den für die Steuerung der Sendeleistung verantwortlichen Körpererkennungssensor will Apple schon seit mehr als zehn Jahren in seine Smartphones einbauen. Bei SAR-Messungen in Messlabors wird das Smartphone nicht in der Hand gehalten, sondern von einer Vorrichtung mechanisch fixiert, so dass der Sensor die höhere Sendeleistung freigibt. Ob es im Servicemode seiner Mobiltelefone eine Funktion gibt, den Sensor gezielt abzuschalten, um die Leistungserhöhung während einer Messung zu verhindern, sagt Apple in seiner Stellungnahme nicht.

Apple zufolge wurde das iPhone 12 mit einem Firmwareupdate, das den Sensor dauerhaft abschaltet, inzwischen grenzwertkonform gemacht. Benutzer bemerken dies daran, dass die gewohnte Verbindungsqualität beim freihändigen Gebrauch des Geräts unter schlechten Empfangsbedingungen nicht mehr so gut ist wie zuvor. Nach dem Update ist der maximale SAR-Wert unter allen Umständen auf 3,94 W/kg begrenzt. Aus diesem Wert und dem unzulässigen SAR-Wert lässt sich ausrechnen, dass Apple die maximale Sendeleistung des iPhone beim freihändigen Gebrauch ursprünglich nicht "leicht erhöht" hat, sondern um rd. 45 Prozent.

Blauer Engel unerwünscht

Die allgemein bekannte Funktion von Körpererkennungssensoren (auch Näherungs- oder SAR-Sensoren genannt) war bislang eine andere, nämlich die Abschaltung des Touchdisplays von Smartphones bei Telefonaten am Ohr. Damit verhindert jedes Smartphone, dass versehentliches Berühren des Bildschirms mit der Wange unkontrolliert unerwünschte Funktionen ausgelöst. Dass Apple schon seit mehr als zehn Jahren einen solchen Sensor zur Steuerung der Sendeleistung verwendet, ist eine bislang nicht klar kommunizierte Funktion, die technisch zwar schon vor geraumer Zeit gelöst wurde, vom Marketing der Smartphonehersteller jedoch nicht offensiv vermarktet wurde. Möglicherweise deshalb nicht, um keine schlafenden Hunde zu wecken, von Smartphones könne möglicherweise eine Gesundheitsgefahr ausgehen. Aus demselben Grund hat bislang kein Hersteller strahlungsarmer Mobiltelefone das Umweltsiegel "Blauer Engel" beantragt, obwohl dies seit 2003 möglich ist. Aus Sicht der Industrie entstünde dadurch der unzutreffende Eindruck, der Gebrauch von Mobiltelefonen ohne Umweltsignet sei mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko verbunden.

Die "iPhone-12-Skandal" wurde von vielen Medien aufgegriffen und mehr oder weniger zutreffend verwurstet. Schaut man sich die Leserkommentare an, könnte einem wegen gefühlt 99 Prozent Blödsinn jedoch schwindlig werden. Die Leute bringen häufig unwidersprochen alles durcheinander, auch die unterschiedlichen SAR-Werte für Gliedmaßen und für Kopf/Rumpf. Das sind mMn beste Voraussetzungen für Desinformanten, risikolos zu Werke zu gehen.

Hintergrund
SAR-Sensoren: Automatische SAR-Reduzierung bei Körperkontakt
SAR-Messungen: MWF wehrt sich gegen 0 mm Messabstand

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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