Mobi-Kids: Kundi et al. deuten Studienresultate für Laien (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 13.02.2023, 00:44 (vor 611 Tagen) @ e=mc2

Mit diesen neuen Studienergebnisse wird es nun noch schwieriger zu behaupten, dass Mobilfunkstrahlung Krebs erzeugt.

Stimmt, Krebs erzeugen tut HF-EMF nicht. Mobilfunkkritiker zeigen jedoch schlüssig, Mobi-Kids würde den Befund von Lerchl et al., 2018, bestätigen, HF-EMF beschleunige das Wachstum von vorhandenen Hirntumoren bei Kindern und Jugendlichen.

Aber der Reihe nach ...

Die Online-Publikation der Mobi-Kids-Ergebnisse am 30. Dezember 2021 führte gemäß EMF-Portal zu nur zwei Kommentaren:

Hardell und Moskowitz meldeten sich am 5. Mai 2022 in Rev Environ Health zu Wort (Eintrag im IZgMF-Forum).
Scheler und Hensinger legten am 15. August 2022 in Umwelt - Medizin - Gesellschaft (UMG) nach.

Nur Hardell und Moskowitz publizierten in einem wissenschaftlichen Journal, Scheler und Hensinger wählten hingegen ein wissenschaftlich bedeutungsloses Verbandsblatt, das bevorzugtes Verlautbarungsorgan deutscher Mobilfunkkritiker ist. Hinzu kommt, Scheler und Hensinger sind keine Wissenschaftler, sondern interessierte Laien (Autodidakten). Beides würde schon die weitere Missachtung der UMG-Publikation rechtfertigen. Entscheidend für mich, dies hier zu tun, war jedoch etwas anderes, nämlich dass Scheler und Hensinger lediglich auf polemische Weise eine weitere Publikation wiederkäuen, die zuvor im Mai 2022 in einer österreichischen Vereinszeitung erschien.

Kundi & Kollegen unter dem Radar

Auch diese Publikation, sie wendet sich an Ärzte und die Bevölkerung, ist unter dem Radar der wissenschaftlichen Gemeinschaft, doch die Namen der Autoren lassen aufhorchen, denn es sind die Wissenschaftler Kundi, Hutter, Wallner und Moshammer. Die Rede ist von der Zeitung medi.um (Medizin & Umwelt) des 1989 gegründeten österreichischen Vereins Ärztinnen und Ärzte für eine gesunde Umwelt (AGU). Hutter und Moshammer sind Vorsitzende des Vereins, Wallner ist Schatzmeister. Ursprünglich erschien die Zeitung quartalsweise, ab 2014 gelang diese Erscheinungsweise nicht mehr, 2022 erschien nur noch ein Heft (Ausgabe 1/2022). Und in dieser Ausgabe erschien der besagte 4-seitige Artikel unter dem Titel "Stellungnahme zu den Ergebnissen der MobiKids-Studie".

Die Autoren erklären in ihrem Artikel auf bemerkenswert verständliche Weise, also streng zielgruppengerecht, warum die Mobi-Kids-Studie aus ihrer Sicht kein Beleg dafür ist, HF-EMF-Exposition sei risikolos. Knackpunkt ihrer Überlegungen ist der Umstand, dass einige der Ergebnisse der Mobi-Kids-Studie Odds-Ratios < 1 zeigen, was üblicherweise Entwarnung bedeutet, weil Personen der exponierten Fallgruppe dann weniger häufig erkrankt sind als in der nicht (oder schwach) exponierten Kontrollgruppe. Anders bei Mobi-Kids: Dort werten Kundi und Kollegen Odds-Ratios < 1, auch wenn diese nur in wenigen Fällen statistische Signifikanz erreichen, als "klaren Hinweis auf eine Schadwirkung der Exposition im Sinne einer Beschleunigung des Tumorwachstums". Für die Begründung dieser überraschenden Sichtweise ist hier kein Platz, der oben verlinkte Artikel von Kundi und Kollegen leitet sie jedoch so leicht verständlich und schlüssig her, dass jeder, sogar Laien, damit klar kommen sollten.

Ein toller Artikel, aber ...

Den Autoren gelingt mMn mit ihrem Artikel ein bemerkenswerter Wirkungstreffer in der Diskussion um die Bedeutung der Mobi-Kids-Studienergebnisse. Aber: Ich bin Nachrichtentechniker und kein Epidemiologe, mir fehlt das Wissen, den überzeugenden Artikel fachlich kompetent zu bewerten.

Was mich dennoch misstrauisch macht ist nicht der Artikel, sondern seine merkwürdigen Begleitumstände. Denn mit der Veröffentlichung in der deutschsprachigen Vereinszeitung medi.um entziehen die Autoren ihn der Kenntnisnahme durch die wissenschaftliche Gemeinschaft. Nur dort aber, nicht bei Laien, ist das Wissen vorhanden, mögliche Fehlinterpretationen der Autoren zu erkennen und mit Kommentaren darauf einzugehen. Hätten sich Kundi und Kollegen der wissenschaftlichen Diskussion über ihren Einwand stellen wollen, sie hätten nicht in medi.um publiziert, sondern in einem möglichst hochrangigen wissenschaftlichen Journal oder noch besser, sie hätten bei Environment International, dieses Blatt hat die Mobi-Kids-Resultate veröffentlicht, einen Kommentar eingereicht. Einen solchen konnte ich heute dort jedoch nicht finden, was nicht heißt, dass die Publikation unkommentiert blieb. Bislang ergatterte sie 108 Shares, Likes & Comments, allerdings nicht im Journal, sondern in den sogenannten "sozialen Medien".

Erhärtet wird mein Standpunkt dadurch, dass mit Scheler und Hensinger lediglich zwei Laien die Anregung von Kundi und Kollegen aufgenommen und ihrerseits verwurstet haben, bislang jedoch kein einziger Wissenschaftler Stellung zum Artikel der Österreicher bezogen hat. Wie auch, Wissenschaftler können von der Existenz des Artikels gar nichts wissen, da bis dato nicht einmal das EMF-Portal darauf hinweist (siehe Link oben). Nicht nachvollziehbar für mich auch, warum das EMF-Portal zwar den Abklatsch von Scheler und Hensinger bringt, nicht aber das prägnantere Original von Kundi und Kollegen. Beide Papers erschienen in gleich bedeutungslosen Blättern und wenn überhaupt, dann hätte das Original die Beachtung durch das Portal verdient. So aber scheint es, das EMF-Portal geht ängstlich Vorwürfen der Missachtung aus Stuttgart vorsorglich aus dem Weg, indem es UMG-Artikel aus dem Dunstkreis von Diagnose-Funk bevorzugt listet. Mit dieser offensichtlichen Ungleichbehandlung unbedeutender Blätter tut sich das EMF-Portal keinen Gefallen.

Scheler & Hensinger: ERROR 404 - Not Found!

Wenn aber der Artikel von Kundi und Kollegen im EMF-Portal (sträflich) unerwähnt bleibt, woher weiß ich dann von dessen Existenz? Weil Scheler und Hensinger bei Kundi und Kollegen Nektar gesaugt haben, was diese sicherlich nicht stört, kamen die beiden Deutschen nicht umhin, die Quelle ihrer Weisheit in ihren Referenzen zu nennen. Dort ist es die Quelle Nummer [7]. Wer jetzt aber frohgemut den freundlicherweise genannten Link nutzen möchte, erlebt eine böse Überraschung.

https://www.aegu.net/pdf/medium/Mobikids_1_22-1.pdf

Ausgeführt sicherheitshalber in zwei Browsern führt der von Scheler und Hensinger preisgegebene Link nur zu einer Fehlermeldung: ERROR 404 - Not Found!

Das kann simple Schlamperei sein wie eine fehlende Linkkontrolle, ebenso gut aber auch Absicht, um allzu Neugierige von der für Scheler und Hensinger unvorteilhaften Originalquelle fern zu halten. Nur wenige dürften sich die Mühe machen, zu forschen, warum der Link nicht funktioniert. Nun, ich gehöre dazu, habe die Originalquelle mit einigen Schlüsselwörtern schnell gefunden und nicht schlecht gestaunt, welch geringe Abweichungen genügen, damit der Link von Scheler und Hensinger einen in die Wüste schickt. Bitte sehr, hier ist der Link, der ins Ziel führt:

https://www.aegu.net/pdf/medium/MOBIkids_1_22-1.pdf

Hintergrund
Im milliardenschweren Hirntumorprozess Murray vs. Motorola in den USA ist Michael Kundi Gutachter der Kläger. Die Anwälte der Beklagten werfen Kundi vor, er hätte mit der Mobi-Kids-Studie als Co-Autor nachgewiesen, HF-EMF sei nicht tumorfördernd. Folgt das Gericht dem, läuft Kundi Gefahr, als Gutachter für die Verhandlung abgelehnt zu werden. Kundis Artikel in medi.um inkl. der Zweitverwertung durch Scheler/Hensinger kann deshalb auch Bedeutung für diesen Rechtsstreit in USA haben.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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