2.3 Hensinger vs. Röösli: Beweise für Strahlungsanstieg (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 21.08.2022, 22:28 (vor 705 Tagen) @ H. Lamarr

[...] 5G ist effizienter als bisherige Mobilfunktechnologien, und damit nehmen die Emissionen pro übermittelte Datenmenge ab [6]. [...]

Peter Hensinger erwidert auf die zitierte Textpassage:

Rööslis beruhigende Aussage, dass „5G effizienter ist als bisherige Mobilfunktechnologien, und damit nehmen die Emissionen pro übermittelte Datenmenge ab“, ist eine weitere Halbwahrheit, denn wir haben hier einen Rebound-Effekt, das heißt, die einzelne Datenübertragung ist effizienter, aber die explodierenden Datenmengen führen zu einer höheren elektromagnetischen Strahlungsdichte – dies wird durch erste Messungen bestätigt.

Hensingers Vorwurf ist formal gesehen stimmig, denn die Datenübertragung mit 5G soll gemäß Nokia tatsächlich bezogen auf gleiche Datenmengen um bis zu 90 Prozent energieeffizienter sein als 4G. Aber: Nokia hat als Netzwerkausstatter kommerzielles Interesse, 5G möglichst gut aussehen zu lassen. Die Aussage "um bis zu 90 Prozent" dürfte sich daher auf bestmögliche Bedingungen beziehen, die im Alltag selten gegeben sind. Außerdem betrachtet Nokia allein das Radio-Access-Network (Ran), also das Funkzugangsnetz eines Mobilfunknetzes ohne das Kernnetz mit allen seinen Komponenten. Hinz und Kunz werden sich deshalb wohl mit weniger als 90 Prozent zufrieden geben müssen. Andere (z.B. Fraunhofer IAO) schreiben, die Energieeffizienz werde in der Regel in bit/Joule gemessen und soll sich, verglichen mit dem Mobilfunkstandard 4G, bei 5G um den Faktor 100 verbessern. Das wäre dann aber nicht um 90 Prozent energieeffizienter, sondern um sage und schreibe 9900 Prozent! Wir merken schon, sich mal eben schnell zwischen Tür und Angel über den Effizienzgewinn von 5G schlau zu machen, das führt ins Chaos. Gehen wir also auf Nummer sicher und bleiben bei der Pauschalaussage, 5G sei effizienter als 4G.

Ins Schleudern gerät Hensinger, wenn er den zweifelsfrei vorhandenen negativen Rebound-Effekt allein mit "explodierenden" (?) Datenmengen erklärt. Denn zum Rebound-Effekt tragen einer Studie zufolge auch die wachsende Netzwerkdichte bei (mehr Basisstationen), die starke Abhängigkeit 5Gs von IT-Systemen und -Infrastrukturen sowie die höhere Netzwerknutzung durch die 5G-interne Signalisierung. Was der Herausforderer komplett unterschlägt ist der positive Enablement-Effekt (fördernder Effekt) von 5G, der sich auftut, starrt man nicht mit Tunnelblick allein auf 5G-Netze, sondern bezieht deren Auswirkungen auf unser Berufs- und Privatleben mit ein. Was ich damit meine zeigt eine Grafik aus dieser aktuellen Studie.

Im Graben ladet Hensinger schließlich mit seinem Vorwurf, Rööslis Feststellung zur Energieffizienz von 5G sei eine "Halbwahrheit". Denn das ist sie ohne Wenn & Aber nicht, weil Röösli seine Feststellung auf eine bestimmte Datenmenge normiert und damit vom Datenwachstum entkoppelt. Hensingers Einwand kommt damit dem Witz nahe, in dem eine Blondine sagt, der zunehmend höhere Spritpreis sei ihr egal, sie tanke ohnehin immer nur für 20 Euro :-).

Glücklicherweise zweifelt der Herausforderer die Behauptung von Röösli et al. nicht grundsätzlich an, wegen der höheren Energieeffizienz von 5G würden die Emissionen (pro Dateneinheit) abnehmen. Denn damit hätte er mich auf dem linken Fuß erwischt. Rööslis Quellenangabe führt zu dem bekannten Schweizer "Bericht Mobilfunk und Strahlung", dort konnte ich jedoch nichts finden, was eine höhere Energieeffizienz von 5G kausal in Zusammenhang bringt mit abnehmenden Emissionen. Wahrscheinlich stimmt die Behauptung von Röösli et al., eine Quelle, welche die Herleitung des Zusammenhangs plausibel macht, wäre mir jedoch willkommen gewesen.

Hensinger setzt sein oben begonnenes Zitat fort ...

[...] Koppel et al. 4 veröffentlichten ihre Messreihe im Umfeld einer Ansammlung von Basisstationsantennen in Stockholm, die in geringer Höhe, nah an den Köpfen der Fußgänger, montiert sind. Das Ergebnis: Der Mittelwert über alle Sendeanlagen beträgt 12,1 V/m (= 388.355 μW/ m²) und der Maximalwert 31,6 V/m (= 2.648.700 μW/m²). [...]

Zu diesem angeblichen Messbeleg Hensingers für eine höhere elektromagnetische Strahlungsdichte von 5G infolge "explodierender" Datenmengen gibt es eine Menge zu sagen.

► Wichtigster Einwand: Die Messungen von Koppel et al. fanden am Nachmittag des 14. Januar 2019 statt. Zu diesem Zeitpunkt gab es in ganz Schweden noch gar kein 5G! Die ersten 5G-Netze Schwedens gingen erst im Mai 2020 in Betrieb, ein kleines Test-5G-Netzwerk von 3 Sweden gab es zwar schon 2019 in Stockholm, jedoch erst gegen Jahresende. Was der Herausforderer hier als Beleg für eine zunehmende EMF-Strahlungsdichte als Folge von 5G anbietet ist keiner, das Papier beweist eher das Gegenteil.

► Co-Autoren von Tarmo Koppel waren Mikko Ahonen, Michael Carlberg und Lennart Hardell. Alle drei Co-Autoren beteiligten sich entweder an dem 5G-Space-Appell des schrägen US-Amerikaners Arthur Firstenberg oder an dem Anti-5G-Appell von Hardell und Nyberg. Zweifel an der Ergebnisoffenheit der Co-Autoren sind daher zulässig.

► Das von Koppel verwendete Breitbandmessgerät Narda NBM-52 ist ein Profimodell für den Frequenzbereich 100 kHz bis 3 GHz. Gemessen wurde mit einer omnidirektoralen Feldsonde. Damit eröffnen sich die typischen Risiken von Breitbandmessgeräten für Messfehler, nämlich die Messung von Emissionen, die nichts mit Mobilfunk zu tun haben (z.B. Rundfunk- und TV-Sender, Schiffsradar, Smartphones von Passanten, Behördenfunk usw).

► Wer dieses Bild vom Ort der Messungen betrachtet, erkennt auf Anhieb den Ausnahmecharakter dieses Messprojekts.

► Was Hensinger irreführend Mittelwert und Maximalwert nennt, sind in Wahrheit in beiden Fällen gemessene Maximalwerte! Der Median der Mittelwerte liegt bei 3,5 V/m, der Median der Maximalwerte bei 5 V/m. Koppel hatte die Messzone in 33 quadratische Zellen aufgeteilt und in jeder Zelle 1 Minute mit der Schwenkmethode in 1 m bis 1,8 m Höhe über Grund gemessen, wobei das Messgerät den höchsten gemessenen Maximalwert und Mittelwert speicherte. Über welchen (beim NBM-52 einstellbaren) Zeitraum der Mittelwert gebildet wurde verrät das Paper nicht.

► Im Original sind die Feldstärkemesswerte umgerechnet im mW/m². Das ergab für Hensinger keine furchterregend hohen Messwerte. Deshalb rechnete er auf µW/m² um, aus z.B. 2648 mW/m² (2,648 W/m²) wurden so ansehnliche 2'648'700 μW/m². Wahrscheinlich bestellt Herr Hensinger im Wurstladen auch nicht 100 g Salami, sondern 100'000'000 µg :-).

Wertung: 0 Punkt für den Herausforderer (eigentlich hätte er wegen Koppel et al. -1 verdient)

Wird fortgesetzt ...

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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