Waldmössingen: Infoveranstaltung der Gegner vom 26. Mai (Allgemein)

KI, Sonntag, 01.06.2025, 12:57 (vor 2 Tagen) @ H. Lamarr

Am vierten Tag nach dem Einschlag brachte der Schwarzwälder Bote am 30. Mai doch noch einen Bericht von der Veranstaltung mit Peter Hensinger. Lesen Sie hier zuerst eine Zusammenfassung der Ausführungen des Mobilfunkgegners und dann eine kritische Betrachtung seiner Argumentation.

Zusammenfassung der Veranstaltung

Rund 100 Interessierte, etwa die Hälfte von außerhalb, kamen ins Sportheim des SV Waldmössingen zur Informationsveranstaltung mit Peter Hensinger. Eingeladen hatten Anwohner, die sich gegen den geplanten Mobilfunkmast in der Nähe der Kastellhalle wehren. Der Referent sitzt im Vorstand des Vereins Diagnose-Funk und beschäftigt sich seit 2006 mit den gesundheitlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen elektromagnetischer Felder.

In seinem Vortrag führte Hensinger zahlreiche Studien an, die gesundheitliche Risiken durch Mobilfunkstrahlung belegen sollen – darunter Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Probleme, Depressionen und sogar ein erhöhtes Krebsrisiko bei langfristiger Befeldung. Besonders eindrücklich zitierte er eine "Ärzte-Studie", nach der sich die Krebsrate im Umkreis von 400 Metern um Mobilfunkmasten innerhalb weniger Jahre verdoppelt bzw. verdreifacht habe. Auch ein Technikfolgenbericht des Bundestages von 2023, so Hensinger, dokumentiere mehr als 60 Studien, die negative Effekte bestätigten – bei Strahlungswerten weit unterhalb der geltenden Grenzwerte.

Diese Grenzwerte kritisierte er scharf: „Die Grenzwerte schützen die Industrie und sind Ersatz-Haftpflichtversicherung der Betreiber“, sagte Hensinger wörtlich. Aus seiner Sicht sei nicht nur Vorsorge angezeigt, sondern bereits Gefahrenabwehr. Auch die Netzstruktur kritisierte er: Die aktuelle Praxis, bei der mehrere Anbieter jeweils eigene Netze betreiben, führe zu unnötiger Vervielfachung der Strahlung. Stattdessen fordert er ein gemeinsames Netz, was die Belastung drastisch reduzieren könnte. Ein solches Modell sei technisch möglich, werde aber durch wirtschaftliche Interessen verhindert.

Die beiden folgenden Grafiken zeigen die Dichte an Mobilfunk-Sendeanlagen in Waldmössingen und zum Vergleich in München. Die Grafiken dokumentieren ohne Worte die Unvernunft der besorgten Anwohner in Waldmössingen, die sich seit dem Bauantrag anscheinend als die ersten und einzigen Nachbarn einer Mobilfunk-Basisstation in Lebensgefahr sehen. Im Stadtgebiet der Bayerischen Landeshauptstadt gibt es 2'787 Standorte für Mobilfunk-Sendeanlagen (Stand 29. November 2023) mit abertausenden von Antennen. Und der Wirtschaftsausschuss der Bayerischen Landeshauptstadt will die Mobilfunknetze in München weiter verdichten.

Im Ort Waldmössingen gibt es keine Mobilfunkanlage, im Umland nur eine.
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Zum Vergleich: Ausschnitt aus München im gleichen Maßstab.
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Grafiken: EMF-Karte der BNetzA

Für den Alltag empfiehlt Hensinger konkrete Maßnahmen zur Reduktion der persönlichen Belastung: Mobiltelefone sollten nicht am Körper getragen und Wohnräume baubiologisch untersucht und „abgeschirmt“ werden. Kabelgebundene Technologien oder sogenannte Lichttechnologien seien strahlungsfreie Alternativen, insbesondere beim Telefonieren. „Kabel sind sicherer und haben keine Strahlung“, betonte er.

In der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass unter den Zuhörern große Verunsicherung herrschte. Hensinger erklärte, dass Gemeinden durchaus Einfluss auf die Standortwahl hätten – allerdings nur, solange noch kein Bauantrag gestellt sei. Die Kommune könne beispielsweise ein Dialogverfahren einleiten oder Gegenvorschläge machen. Die dauerhafte Verhinderung eines Masten sei jedoch kaum möglich.

Auch die politischen Rahmenbedingungen kritisierte er: Der Mobilfunk solle laut Bundesregierung künftig Vorrang erhalten, etwa durch sogenannte Beschleunigungspakte. Dennoch gebe es auf kommunaler Ebene noch Mitspracherechte, etwa durch die Bauaufsichtsbehörden.

Ortschaftsrat Adrian Schmid brachte zum Ausdruck, dass man sich inzwischen gut informiert fühle, aber kaum noch Handlungsspielraum sehe. Ortsvorsteher Ullrich hielt den geplanten Mast für „verfahrensfrei“, was Hensinger jedoch bestritt. Rat Udo Moser sprach einen anderen Aspekt an: die geringe Beteiligung Jüngerer. „Die wollen besseren Mobilfunk und streamen“, so seine Einschätzung. Auch Hensinger zeigte sich ratlos: Jugendliche seien zunehmend handysüchtig – „Die Kliniken sind voll davon. Die Jugend hat ein Hobby, das umweltschädlich ist. Da habe ich keine Lösung“, sagte er.

Kritische Betrachtung von Hensingers Ausführungen

Peter Hensinger hat sich über Jahre hinweg als einer der lautstärksten Kritiker der Mobilfunktechnologie in Deutschland positioniert. Seine Vorträge sind regelmäßig gut besucht und bedienen das Bedürfnis nach Orientierung in einem technisch-medizinisch komplexen Themenfeld. Auch in Waldmössingen präsentierte er seine Position mit einer Vielzahl an Studienverweisen, Fachbegriffen und überspitzten Aussagen. Dabei lag der Fokus auf gesundheitlichen Risiken, die aus seiner Sicht mit dem Ausbau des Mobilfunks und insbesondere der 5G-Technologie einhergehen.

Auffallend ist, Hensinger bezieht sich fast ausschließlich auf Studien, die negative gesundheitliche Wirkungen beschreiben. Das ist insofern problematisch, als der wissenschaftliche Diskurs zur Frage möglicher biologischer Effekte durch Mobilfunkstrahlung keineswegs einseitig ist. Große internationale Reviews, etwa von der WHO, der ICNIRP oder der deutschen Strahlenschutzkommission, kommen regelmäßig zu differenzierteren Einschätzungen – insbesondere was die tatsächliche Relevanz der sogenannten athermischen Effekte und deren Reproduzierbarkeit betrifft.

Besonders hervor hob Hensinger eine „Ärztestudie“, in der eine erhöhte Krebsrate im Umfeld von Mobilfunkmasten festgestellt worden sei. Dabei handelt es sich um die sogenannte Naila-Studie aus dem Jahr 2004. Diese Studie wurde nie in einem anerkannten Fachjournal veröffentlicht, weist erhebliche methodische Mängel auf – etwa eine fehlende Kontrolle anderer Risikofaktoren, unklare Erhebungsmethoden und keine unabhängige Verifikation – und hat daher in der wissenschaftlichen Risikobewertung keine Rolle gespielt. Fachgremien wie das Bundesamt für Strahlenschutz oder die Strahlenschutzkommission führen sie nicht als belastbare Evidenz an.

Auch die Kritik an den geltenden Grenzwerten ist nicht neu, sie wird von Fachgremien jedoch regelmäßig zurückgewiesen, mit dem Argument, dass diese auf Basis umfangreicher Forschung und unter Berücksichtigung von Sicherheitsmargen festgelegt wurden. Der von Hensinger erhobene Vorwurf, die Grenzwerte dienten primär dem Schutz der Industrie und seien eine Art „Ersatz-Haftpflichtversicherung“ der Betreiber, ist eine stark polemische Zuspitzung, die wissenschaftlich nicht begründbar ist. Sie trägt zur Polarisierung bei, nicht zur Aufklärung.

Hensingers Vorschlag eines einzigen gemeinsamen Netzes für alle Anbieter mag in der Theorie strahlungsminimierend wirken, ignoriert jedoch grundlegende wirtschaftliche, rechtliche und technische Realitäten. Ein solcher Infrastrukturmonopolismus hätte tiefgreifende Auswirkungen auf Netzneutralität, Wettbewerb und Datensicherheit – Aspekte, die in seinen Ausführungen nicht reflektiert werden. Auch die von ihm als Lösung gepriesene Verlagerung auf Lichttechnologien oder ausschließliche Kabelnutzung verkennt die praktischen Anforderungen an Mobilität und Netzabdeckung in einem modernen Kommunikationsnetz.

Seine Aussagen zur Vorsorge und zur Gefahrenabwehr basieren zudem auf einer selektiven Auslegung des Vorsorgeprinzips. Vorsorge bedeutet nicht, jeder unbelegten Hypothese regulatorisch zu folgen, sondern potenzielle Risiken unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstandes und der Plausibilität wissenschaftlich einzuordnen. Die pauschale Behauptung des gelernten Druckers, alle Kriterien der Gefahrenabwehr seien bereits erfüllt, lässt sich aus Sicht evidenzbasierter Wissenschaft nicht aufrechterhalten. Die von Hensinger vorgetragene Kritik an ökonomisch motivierten Ausbauzielen bleibt oberflächlich und technikfern – sie ist nicht fundiert und damit auch nicht diskussionswürdig im Sinne einer sachlich-informierten Auseinandersetzung.

Teilweise problematisch wirkt überdies der missionarische Tonfall seiner Aussagen sowie die eindeutige Schuldzuweisung an Industrie, Politik und eine „handysüchtige“ Jugend. Solche Pauschalisierungen tragen wenig zu einer differenzierten Bewertung technischer Entwicklungen bei, sondern emotionalisieren die Debatte. Zudem bergen sie die Gefahr, das Vertrauen in wissenschaftliche Institutionen und demokratische Entscheidungsprozesse zu untergraben.

Fazit

Hensinger gelingt es, ein komplexes Thema rhetorisch zuzuspitzen und mit einer Vielzahl von Quellen zu unterfüttern. Seine Argumentation folgt jedoch dem selektiven Muster, unbequeme oder widersprechende Forschungsergebnisse zu verschweigen. Alarmierende Studien sind zum Teil fachlich umstritten oder methodisch nicht belastbar, zentrale Aussagen bleiben unbelegt oder sind wissenschaftlich unhaltbar. Was als vorsorgeorientierte Aufklärung erscheint, erweist sich bei näherer Betrachtung vielfach als agitatorische Mobilisierung gegen ein Technologiesystem, dessen Risiken überzeichnet und dessen Nutzen bagatellisiert wird. Für eine fundierte gesellschaftliche Debatte über Mobilfunk und Digitalisierung braucht es mehr als solche einseitigen Narrative.

Tags:
Sendemast, Naila-Studie, Hensinger, Funkmast, Waldmössingen


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