Neues von Berenis (36): März 2024 (Forschung)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 17.03.2024, 23:13 (vor 236 Tagen)

Im Zeitraum von Anfang Mai bis Mitte Juli 2023 wurden 75 neue Publikationen identifiziert, von denen sechs von Berenis vertieft diskutiert wurden. Vier davon, darunter eine Bluthochdruck-, eine Bienen- und eine Pflanzenstudie, wurden gemäß den Auswahlkriterien als besonders relevant und somit zur Bewertung ausgewählt, im Folgenden sind sie zusammengefasst. Mit Literaturangaben gibt es den aktuellen Berenis-Newsletter hier.

Experimentelle Tier- und Zellstudien

Der Einfluss von 5G-modulierten hochfrequenten elektromagnetischen Feldern auf zelluläre Mechanismen von Hautzellen (Joushomme et al. 2023)
Die Studie von Joushomme et al. (2023) zählt zu den ersten Untersuchungen an kultivierten Zellen, in denen ein 5G-moduliertes 3,5-GHz-HF-EMF-Signal des neuen C-Bandes für Mobilkommunikation eingesetzt wurde. Die Autorinnen und Autoren wendeten eine moderne analytische Methodik («BRET», Biolumineszenz-Resonanz-Energietransfer) an, die Echtzeitbeobachtungen ermöglicht, um gezielt den Einfluss von akuter Exposition auf Signalketten und Stressmechanismen zu untersuchen. Dazu wurden vier neue molekulare Biosensoren entwickelt, die verschiedene Stressbedingungen (HSF1: Marker für Hitze-, oxidativen und proteotoxischen Stress; PML-Aggregate im Zellkern: Marker für oxidativen Stress, Zellalterung...) oder die Aktivierung von MAP-Kinasen-Signalwegen nachweisen können (RAS und ERK).

Die Aktivitätsmessungen wurden in Hautfibroblasten durchgeführt, welche von einer Patientin mit Xeroderma Pigmentosum der Gruppe D («XP-D» mit Sonnenlichtempfindlichkeit, «Mondscheinkrankheit») stammen und in HaCaT-Zellen, welche von gesunden humanen Hautkeratinozyten abstammen. Die Messungen wurden nach 24-stündiger kontinuierlicher oder intermittierender (5 bzw. 10 Min. an/aus) HF-EMF-Exposition mit 0,25, 1 und 4 W/kg SAR durchgeführt. Dabei wurden entweder die basalen Aktivitäten durch HF-EMF im Vergleich zur Scheinkontrolle oder die Sensitivität und Aktivierbarkeit durch bekannte Stimuli (MG132 für HSF1, PMA für RAS und ERK, Arsen für PML) analysiert.

Erwähnenswert ist die Studie von Joushomme et al. (2023) einerseits wegen des Einsatzes von 5G-modulierten 3,5-GHz-Signalen und andererseits der Anwendung einer neuartigen Methodik, bei der allerdings die Sensitivität und Verlässlichkeit noch besser belegt werden sollte.

Die Autoren berichten über einige HF-EMF-abhängige Veränderungen von zellulären Stressmechanismen (HSF1 und PML), die in erster Linie in den Fibroblasten von XP-D-Patienten, nicht jedoch Keratinozyten auftraten. Es bleibt also zu untersuchen, inwieweit diese Beobachtungen zu generalisieren sind und auch für «gesunde» Fibroblasten gelten, und es sind zudem unabhängige Replikationen und Bestätigungen durch andere molekulare Analysen erforderlich. Zudem gilt zu beachten, dass in dieser Studie eine Vielzahl von experimentellen Bedingungen getestet wurde und die Anzahl der beobachteten Veränderungen nur leicht über den zu erwartenden Falschpositiven liegt, wie die Autoren selbstkritisch anmerkten. Ebenso lässt der Brutschrank als Reflexionskammer für HF-EMF eine gewisse Variabilität der SAR-Werte erwarten, die sich auf die Dosis-Wirkungs-Korrelation auswirken könnte.

Epidemiologische Studien

Telefonieren mit dem Mobiltelefon und genetische Veranlagung und Risiko für Bluthochdruck: Ergebnisse der UK Biobank-Studie (Ye et al. 2023)
Nur wenige Studien haben sich mit dem möglichen Zusammenhang zwischen der Nutzung von Mobiltelefonen und dem Risiko für Bluthochdruck befasst. Ye et al. (2023) verwendeten Daten von 212’046 Teilnehmenden der UK-Biobank, welche bei Studienbeginn keinen Bluthochdruck hatten. Zu Beginn der Studie wurden die Teilnehmenden gefragt, seit wie vielen Jahren sie mindestens einmal pro Woche mit einem Mobiltelefon Anrufe tätigten oder entgegennahmen. Ausserdem wurden die Teilnehmenden gefragt, wie viel Minuten sie in den letzten drei Monaten durchschnittlich mit einem Mobiltelefon telefoniert haben, inklusive des Anteils der Nutzung von Freisprecheinrichtungen oder Lautsprechern. Bei der statistischen Analyse wurden Störfaktoren wie Alter, Geschlecht, BMI, sozioökonomischer Status, familiäre Vorbelastung durch Bluthochdruck und zahlreiche Biomarker berücksichtigt.

Während einer mittleren Nachbeobachtungszeit von zwölf Jahren entwickelten 13’984 Teilnehmende einen Bluthochdruck. Es wurde kein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Bluthochdruck und der Anzahl der Jahre der Mobiltelefon-Nutzung und dem Anteil der Freisprecheinrichtungen festgestellt. Das Risiko, an Bluthochdruck zu erkranken, stieg jedoch signifikant mit der wöchentlichen Gesprächsdauer an. Personen mit mindestens 30-minütiger wöchentlicher Mobiltelefongesprächsdauer hatten ein um zwölf Prozent erhöhtes Risiko Bluthochdruck zu entwickeln. Dieser Zusammenhang wurde bei Personen im Alter von unter 60 Jahren festgestellt, jedoch nicht bei älteren Personen. Der stärkste Zusammenhang wurde bei Teilnehmenden mit einem hohen genetischen Risiko für Bluthochdruck und langer wöchentlicher Gesprächsdauer festgestellt.

Es handelt sich um eine prospektive Kohortenstudie mit einem grossen Stichprobenumfang und damit um den «Goldstandard» für diese Fragestellung. Falls der Zusammenhang tatsächlich kausal wäre, ist aufgrund der grossen Verbreitung von Bluthochdruck in der Bevölkerung selbst die relativ kleine Risikoerhöhung bedeutsam. Ein Schwachpunkt sind die selbstberichteten Daten zur Handynutzung, die während der langen Nachbeobachtungszeit nicht aktualisiert wurden. Es ist daher unklar, wie gut die typische Nutzung zu Beginn der Studie mit der tatsächlichen Nutzung während der gesamten Studiendauer korreliert. Darüber hinaus wurde in der statistischen Analyse Stress nicht berücksichtigt. Es ist daher denkbar, dass die beobachteten Zusammenhänge auf andere Faktoren als HF-EMF Exposition zurückzuführen sind. So kann der Umfang der Handynutzung ein Indikator für einen stressigen Lebensstil sein. Der grosse Unterschied zwischen unterschiedlich adjustierten Analysen ist ein Hinweis darauf, dass Ko-Faktoren für diese Forschungsfrage eine wichtige Rolle spielen.

Auswirkungen auf die Umwelt

Exposition von Honigbienenvölkern mit simulierten HF-EMF (Treder et al. 2023)
Acht Bienenvölker wurden einem kombinierten HF-EMF (2,4 GHz und 5,8 GHz; WiFi) ausgesetzt, und zwar für zwölf bis 14 Wochen (für sieben Wochen vor den Tests; Langzeitexposition) oder 40 Minuten (Kurzzeitexposition) im Juli bis September 2020 bzw. Juli bis Oktober 2021. Weitere acht Völker dienten als Kontrolle ohne Exposition.

Untersucht wurde die Auswirkung der Exposition auf die Entwicklung der Brut, die Langlebigkeit und die Zielflugfähigkeit unter freien Feldbedingungen. Die Langzeitexposition verringerte die Fähigkeit der Honigbienen zurück in den Stock zu fliegen (78.6% im Vergleich mit 95.2%), keine Auswirkungen gab es hingegen auf die Entwicklung der Brut und die Langlebigkeit der erwachsenen Arbeiterinnen. Kurzzeitexposition hatte keinen Effekt.

Für die Autorinnen und Autoren deutet das darauf hin, dass Sammlerinnen aus Bienenvölkern, die nicht Langzeit-exponiert waren, weiterhin erfolgreich in den Stock zurückkehren können, selbst wenn ihre Suchflugbahnen für kurze Zeit durch Gebiete mit HF-EMF-Strahlung führen. Die Studie liefert interessante erste Hinweise auf mögliche Auswirkungen von HF-EMF auf Honigbienen. Allerdings bedarf es weiterer Abklärungen. So ist unklar, inwieweit HF-EMF durch die Waben geschirmt werden. Eine entsprechende Dosimetrie wäre da hilfreich. Da die Variabilität zwischen Völkern sehr gross ist, sollte die Studie mit deutlich mehr Völkern und an verschiedenen Standorten wiederholt werden.

Beeinflussen HF-EMF, wie sie in der Mobilkommunikation eingesetzt werden, wildlebende Pflanzenarten? (Czerwinski et al. 2023)
Es wurden die Auswirkungen von langfristiger HF-EMF-Exposition über vier Monate auf Wildpflanzen unter kontrollierten experimentellen Feldbedingungen untersucht. Gepulste HF-EMF (vier Frequenzbänder; 866 MHz bis 868 MHz; 12,4 mW/m² (2,16 V/m) und 16,7 mW/m² in 20 und 40 cm Höhe) wurden appliziert. Untersucht wurden zehn häufige krautige Pflanzenarten über die gesamten Generationsphasen von der Keimung bis zur Reifung der Samen. Die Pflanzenarten gehören zu verschiedenen Familien mit unterschiedlichen funktionellen und morphologischen Merkmalen.

Bei den meisten Arten war eine Reaktion auf HF-EMF-Exposition nicht oder kaum nachweisbar, hauptsächlich beschränkt auf ein einziges Merkmal. Nur bei Hasenklee (Trifolium arvense) wurden Auswirkungen in verschiedenen Entwicklungsstadien der Pflanze und für verschiedene Merkmale beobachtet. Es handelte sich dabei um dauerhafte Auswirkungen. Die Folgen der Umweltexposition durch künstliche HF-EMF scheinen auf bestimmte Pflanzenarten beschränkt zu sein. Trifolium-Arten könnten Kandidaten für weitere ökologische Studien sein. Wir betrachten dies als eine interessante Pilotstudie. Folgestudien sollten an verschiedenen Standorten durchgeführt werden, da ein Beitrag von anderen Umweltfaktoren oder eine Maskierung eines Effekts in den anderen Pflanzenarten durch diese nicht ausgeschlossen werden kann

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Stress, Bluthochdruck, Biomarker, BERENIS, Studienbewertung, Tierstudie, Zellstudie, Epidemiologische Studie, Bienen-Studie

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