Schweiz: Wie 5G voraussichtlich entfesselt wird (I) (Technik)
Nachdem der Schweizer Nationalrat die Motion 20.3237 mit großer Mehrheit angenommen hat, herrscht Rätselraten, wie 5G in dem Alpenstaat entfesselt werden soll, ohne die strengen Anlagegrenzwerte zu lockern. Dabei liegt schon seit 15. November 2019 ein Arbeitspapier vor, das für die Quadratur des Kreises konkrete Lösungsvorschläge macht.
Ausgetüftelt hat das Arbeitspapier das Schweizer Forschungs- und Beratungsunternehmen Infras im Auftrag der Konferenz der Vorsteher der Umweltschutzämter der Schweiz (KVU), die ihrerseits von der Bau-, Planungs- und Umweltdirektoren-Konferenz (Bpuk) beauftragt wurde. Angestoßen wurde das Projekt «Prüfung von Vereinfachungen für das Bewilligungsverfahren Mobilfunk» (PDF, 58 Seiten) im Sommer 2018, als absehbar wurde, dass ohne Vereinfachung der bestehenden Vollzugsabläufe bei der Einführung von 5G ein deutlich erhöhter personeller Ressourcenbedarf bestehen wird.
Realitätsnahe Berechnung der EMF-Immission
Von Infras wurden interessante Ansätze identifiziert, aber es wurde auch festgestellt, dass der Handlungsspielraum häufig klein ist, begrenzt durch Umwelt‐ und Baurecht, Rechtsprechung und aktuell auch durch die kritische Haltung der Bevölkerung gegenüber der Einführung von 5G. Maßnahmen, die den Aufwand für die Vollzugsbehörden deutlich vermindern gibt es kaum, doch es gibt mehrere technische Maßnahmen, die gut umsetzbar sind. Eine davon ist die realitätsnähere Berechnung (Prognose) der EMF-Immission im Umfeld von Mobilfunkbasisstationen.
Bislang ist es so, dass die für Orte mit empfindlicher Nutzung (Omen) durchgeführte Berechnung der zu erwartenden EMF-Immission darüber entscheidet, ob nach Errichtung eines neuen Mobilfunkstandorts die Behörden eine "Abnahmemessung" binnen drei Monaten nach Inbetriebnahme anordnen. Dies ist in aller Regel der Fall, wenn die Prognose eine Ausschöpfung des Anlagegrenzwerts von 80 Prozent oder mehr ergibt.
Positive und negative Einwirkgrößen berücksichtigen
Handlungsspielraum zugunsten der Mobilfunknetzbetreiber entsteht bei dieser Prozedur dadurch, dass die derzeit noch konservative Berechnung der EMF-Immission häufig zu hohe Immissionen ergibt. Dies hat zur Folge, dass die Netzbetreiber ihre Sendeanlagen nicht bis zum Anlagegrenzwert auslasten können und dadurch dringend benötigte Übertragungskapazität brach liegt. Eine realitätsnähere Berechnung würde die bislang ungenutzte Sendeleistungslücke zum tatsächlichen Erreichen des Anlagegrenzwerts schließen. Doch es gibt einen Pferdefuß: Denn eine realitätsnähere Berechnung kann situationsabhängig auch dazu führen, dass bislang nicht beachtete Einflussgrößen (z.B. Signalreflexionen) in Gegenrichtung wirken. Statt einer Anhebung der Sendeleistung wäre dann eine Drosselung erforderlich, damit der Anlagegrenzwert zuverlässig eingehalten wird.
Folgen einer realitätsnahen Berechnung
Kommt die realitätsnähere Berechnung der EMF-Immission im Umfeld von Mobilfunkbasisstationen in der oben skizzierten Form zum Tragen, die positive und negative Einflussgrößen berücksichtigt, kann sie somit landesweit folgende drei Wirkungen bei allen vorhandenen Mobilfunkstandorten entfalten:
► Moderate Erhöhung der EMF-Immission.
► Gleichbleibende EMF-Immission (wenn sich Einflussgrößen gegenseitig aufheben).
► Moderate Reduzierung der EMF-Immission.
Organisierte Mobilfunkgegner werden wegen der ersten Option voraussichtlich mit allen Mitteln der Desinformation versuchen, die Bevölkerung gegen die realitätsnähere Berechnung der EMF-Immission zu mobilisieren. Beispielsweise, indem die beiden anderen Optionen verschwiegen werden und die von Fall zu Fall mögliche moderat höhere Immission dramatisiert und verallgemeinert wird. Ob dies verfängt bleibt abzuwarten. Da de-facto schlimmstenfalls nur stille Reserven genutzt werden und die Anlagegrenzwerte weiterhin nicht überschritten werden, sehe ich für Mobilfunkgegner keine Erfolgschancen, die über die Echokammern der Szene hinausgehen.
Hintergrund
FDP fordert Regierung auf, Weg für 5G frei zu geben
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –