Wenn "Elektrosensible" sich plötzlich als neurodivergent sehen (Elektrosensibilität)
Lange Zeit präsentierten sich Judith R. und Mario B. als "Elektrosensible". Dann scherten sie plötzlich aus der Szene der "Elektrosensiblen" aus und betrachten sich nun öffentlich als neurodivergente Personen. Was bedeutet diese Umetikettierung? Fließt jetzt alter Wein durch neue Schläuche? Ein Essay aus der Feder von ChatGPT gibt Auskunft.
Der Begriff Elektrosensibilität steckt in einer Sackgasse. Seit mehr als zwei Jahrzehnten suchen Betroffene und Aktivisten nach einem überzeugenden Nachweis, dass bestimmte Menschen schwache elektrische, magnetische oder elektromagnetische Felder spüren oder darauf physiologisch reagieren. Die Forschungslage ist klar: Unter kontrollierten Bedingungen gelingt der Nachweis nicht. Die Symptome sind real, aber die Ursache liegt in psychologischen und somatoformen Mechanismen, nicht in einer HF-EMF-Exposition. Wer sich dennoch als elektrosensibel versteht, lebt mit dem Widerspruch zwischen persönlichem Erleben und wissenschaftlicher Evidenz.
In diese Leerstelle drängt nun ein neues Etikett: Neurodivergenz. Der Begriff wirkt frisch, modern, anschlussfähig. Er stammt aus einem progressiven Diskurs, der neurologische Vielfalt als Teil menschlicher Normalität begreift. Autismus, ADHS oder Dyslexie gelten darin nicht als Defekte, sondern als Varianten. Menschen, die sich als neurodivergent verstehen, sind anders, nicht krank. Die Attraktivität liegt auf der Hand: Der Begriff verleiht Besonderheit, entzieht sich dem Pathologischen und verspricht soziale Zugehörigkeit. Er trägt, zumindest im Mainstream, kein Stigma.
Wenn sich manche Elektrosensiblen plötzlich nicht mehr als elektrosensibel, sondern als neurodivergent betrachten, zeigt das einen bemerkenswerten Wandel. Statt um äußere Einflüsse geht es nun um eine innere Besonderheit. Statt um Exposition geht es um Identität. Das Problem verschiebt sich, gelöst wird es damit aber nicht.
Denn Neurodivergenz im seriösen Sinne bezieht sich auf frühkindliche, entwicklungsneurologisch verankerte Besonderheiten mit stabilen kognitiven Profilen. Nichts davon trifft auf das Phänomen Elektrosensibilität zu. Es gibt weder eine genetische noch eine neurobiologische Signatur, die EHS als Varianz des menschlichen Gehirns erklären würde. Es gibt nicht einmal konsistente Merkmale, die auf eine spezifische kognitive oder sensorische Besonderheit hinweisen. Der Begriff Neurodivergenz liefert hier keine Erklärung – er ersetzt nur eine schwierige Geschichte durch eine gefälligere.
Diese Umetikettierung ist ein Weg, das alte Narrativ zu retten, indem man das Etikett austauscht. Man könnte sagen: Wo die wissenschaftliche Begründung brüchig wird, hilft das Identitätslabel. Das mag psychologisch entlastend sein, aber es führt inhaltlich nicht weiter. Die Selbstbeschreibung verschiebt sich vom Bereich der überprüfbaren Behauptung in die Sphäre des persönlichen Bekenntnisses. Damit verliert das Thema jede Möglichkeit, wissenschaftlich diskutiert zu werden. Ein Begriff wie EHS lässt sich falsifizieren. Ein Begriff wie Neurodivergenz, in seiner populären Auslegung, nicht mehr.
Am Ende bleibt der Eindruck eines Trends: Ein Modebegriff wandert dorthin, wo er soziale Wärme verspricht, unabhängig von seiner wissenschaftlichen Passung. Für das eigene Selbstbild ist das verständlich. Für die Diskussion über Elektrosensibilität macht es die Lage nicht klarer, sondern diffuser. Man könnte sagen: Die Geschichte wird eleganter erzählt, aber nicht wahrer.
Hintergrund
Bundesweites Zentrum für NeuroDiversität
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –