Insektenstudie "Beefi" (III): die Autoren (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 29.03.2024, 22:44 (vor 51 Tagen) @ H. Lamarr

Die Autoren der Studie sind wahrscheinlich ehrenwerte Leute, die nach bestem Wissen und Gewissen die Studie im Auftrag von Diagnose-Funk über die Bühne gebracht haben. Gäbe es da nicht den kapitalen Kratzer auf der Motorhaube der Studie, dass alle drei Autoren bekannte Helden der Anti-Mobilfunk-Szene sind. Den Autoren ist dies nicht vorzuwerfen, wohl aber ihrem Auftraggeber, der offensichtlich sicher gehen wollte, das erwünschte Studienergebnis auch tatsächlich zu bekommen.

"Wissenschaftliche Arbeit erfordert eine spezielle Art von Ehrlichkeit, die sich nicht darauf beschränkt, nicht zu lügen. Sie verlangt, dass man jede mögliche Schwachstelle der eigenen Argumentation offen legt, jeden möglichen Einwand gegen sein Ergebnis diskutiert und, wenn er nicht entkräftet werden kann, ihn zusammen mit dem Ergebnis mitteilt. Dass man also dem eigenen Interesse bewusst entgegenarbeitet. Die Naturwissenschaft hat in ihrer geschichtlichen Entwicklung gelernt, wie man es vermeidet, sich selbst zu betrügen." Mit diesen Worten umschrieb der Physiker Richard Feynman 1974 in einem Vortrag am California Institute of Technology sein Verständnis von wissenschaftlichen Studien.

Diagnose-Funk sehe ich nicht auf Feynmans Linie. Denn der Verein hat mit seiner Insektenstudie das Gegenteil von Ergebnisoffenheit praktiziert, indem er für die Realisierung drei Autoren auswählte, die ohne Wenn & Aber dem Lager überzeugter Mobilfunkgegner zuzurechnen sind. Keiner der drei Autoren steht im Dienst einer Universität, alle sehen sich als "unabhängige Forscher". Das ist nicht ungefährlich, denn solche Forscher können zur Freude ihrer Auftraggeber tun und lassen was sie wollen, Rücksicht auf den (guten) Ruf einer akademischen Institution müssen sie nicht nehmen.

Überspitzt gesagt stand so das Ergebnis der Arbeit schon fest, bevor die drei überhaupt ans Werk gingen. Nicht umsonst gilt bei experimentellen klinischen Studien die doppelte Verblindung als Goldstandard, um Resultate zu bekommen, die weder durch Voreingenommenheit der Probanden noch durch Voreingenommenheit des Versuchsleiters (unabsichtlich) verzerrt werden. Drei überzeugte Mobilfunkgegner mit einer Literaturstudie zu beauftragen, um Beweise für schädliche Auswirkungen von EMF-Exposition auf Insekten abzuwägen ist daher, wenn es keine Absicht war, die großartigste in einer langen Reihe von Fehlleistung, die sich der Stuttgarter Verein bislang geleistet hat. Vergleichbar mit der Idee, dominante AfD-Politiker aus Thüringen mit einer Literaturstudie zu beauftragen, um Beweise für schädliche Auswirkungen von Angela Merkels Flüchtlingspolitik auf das teutsche Vaterland abzuwägen. Ob Absicht oder Unvermögen, für mich ist die Insektenstudie von Diagnose-Funk wegen der Autorenauswahl eine dreiste Respektlosigkeit gegenüber allen verständigen Lesern, oder etwas deftiger formuliert eine Unverschämtheit.

Anschließend Belege für meine Behauptung, die drei Autoren seien überzeugte Mobilfunkgegner.

Alain Thill

Der Luxemburger Alain Thill studierte an der Universität Freiburg, Lehrstuhl für Naturschutz und Landschaftsökologie im Fach Umweltwissenschaften. Das Studium schloss er 2019 mit seiner Masterarbeit "The effects of high-frequency electromagnetic emissions on honeybees, bumblebees and mason bees" erfolgreich ab. Wegen seiner Masterarbeit, über die er öffentlich berichtete und weil Thill sich für "elektrosensibel" (EHS) hält, kam er noch 2019 in Kontakt mit dem EHS-Verein "Weiße Zone Rhön". Dann ging alles ganz schnell. Diagnose-Funk wurde auf den jungen Luxemburger aufmerksam und 2020 publizierte Thill mit gütiger Mitwirkung (Öffentlichkeitsarbeit) des Stuttgarter Vereins und der Naturschutzorganisation Nabu seine erste (alarmierende) Literaturstudie "Biologische Wirkungen elektromagnetischer Felder auf Insekten". Publikationsorgan war die wissenschaftlich bedeutungslose Zeitschrift Umwelt - Medizin - Gesellschaft (UMG, Ausgabe 3/2020). Die Anti-Mobilfunk-Szene kümmerte dies nicht, sie spendete reichlich Lob.

Andere wie das BfS und die TV-Anstalt SWR übten an Thills Literaturstudie so substanziell Kritik, dass der Nabu sich erschrocken von dem Projekt distanzierte und Diagnose-Funk genötigt war, sich wortreich zu rechtfertigen. Unter dem Strich war Thills Erstlingswerk und vor allem das übertriebene Getöse, das Diagnose-Funk darum entfachte, für alle Beteiligte ein Fiasko, dessen Verlauf hier nachzuvollziehen ist. Das hinderte den Stuttgarter Verein jedoch nicht, Thill fortan gegen Honorar, möglicherweise sogar als Angestellten, mit "Studienbesprechungen" für Publikationen des Vereins zu beschäftigen (EMF-Data, Elektrosmog-Report).

Diese finanzielle Verquickung ist deshalb fragwürdig, weil in der neuen Review die Autoren unisono beteuern, sie hätten keine Interessenkonflikte. Zugleich wird dort eingeräumt, der Hauptautor, das ist Alain Thill, sei von Diagnose-Funk finanziert worden. Damit ist meinem Verständnis nach Thills Arbeit an der Review abgedeckt, nicht aber dessen Arbeiten seit 2021 an den Vereinspublikationen. Für "Studienauswertungen und Übersetzungen" will Diagnose-Funk 2022 immerhin knapp 30'000 Euro ausgegeben haben, für "Personal" rd. 93'000 Euro.

Marie-Claire Cammaerts

Marie-Claire Cammaerts (Jg. 1947) ist Doktor der Zoologie. Eigenen Angaben zufolge forschte sie ab 1969 im Labor für Tier- und Zellbiologie der Freien Universität Brüssel an der Physiologie und Ethologie von Ameisen. Ihre Erkenntnisse gab sie u.a. in Vorlesungen an Medizinstudenten weiter. 2012 ging sie in Ruhestand und betätigt sich seither als unabhängige Forscherin. Ab 2011 beschäftigte sich Cammaerts zunehmend mit Wirkungen von EMF auf Ameisen und kam in Kontakt mit etablierten Mobilfunkritikern als Co-Autoren (Johansson, Panagopoulos, Favre, Balmori). Auf diese Weise entstanden zwischen 2011 und 2019 zehn mobilfunkkritische Publikationen, deren bibliografische Angaben, wer mag, sich auf dieser Webseite zusammen suchen kann. Neun der zehn alarmierenden Arbeiten verfasste die Zoologin im Ruhestand und qualifizierte sich damit, von Diagnose-Funk als Co-Autorin für die alarmierende Insektenstudie anerkannt zu werden.

Da ich kein Zoologe bin, steht mir ein Urteil über Cammaerts Qualifikationen in ihrem Fach nicht zu. Allerdings kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass das, was mir an Know-how in Zoologie fehlt, für Cammaerts in Bezug auf Mobilfunktechnik zutrifft (Beispiel). Die übrigen Spuren, welche die Belgierin hier im Forum hinterlassen hat, stützen diese Einschätzung.

Alfonso Balmori

Der Spanier Alfonso Balmori wird üblicherweise als Bachelor of Science (B.Sc.) in Biologie vorgestellt sowie als "Master in Environmental Education". In der internationalen Anti-Mobilfunk-Szene ist er seit rd. 20 Jahren eine feste Größe, da er sich regelmäßig zu Wort meldet und von alarmierenden Ergebnissen seiner privaten Forschung über die Auswirkungen von EMF auf Menschen, Fauna und Flora berichtet. Daran ist nichts auszusetzen, würden Balmoris Beiträge anerkannten wissenschaftlichen Standards entsprechen. Aus meiner Sicht ist dies aber häufig nicht der Fall, der Spanier verbreitet eher seine persönliche Meinung, die er sich nach dem Sammeln und Auswerten von mehr oder weniger abenteuerlich gewonnenen Daten gebildet hat. Auffällig ist, egal was der Biologe untersucht, er findet immer irgendetwas, was EMF belastet. Mir ist keine einzige neutrale oder gar entwarnende Wortmeldung von ihm bekannt. Wahrscheinlich hat er sich damit nachdrücklich als Co-Autor für die Insektenstudie von Diagnose-Funk empfohlen.

Seine Versuche erinnern zuweilen an "Jugend forscht". So untersuchte er die Wirkung von HF-EMF auf Kaulquappen des Grasfroschs, indem er auf der Terrasse eines 5-stöckigen Gebäudes zwei Becken mit je 70 Larven aufstellte, ein Becken schirmte das andere nicht und als HF-EMF-Feldquellen vier Mobilfunkbasisstationen in 140 Meter Entfernung benutzte. Kann man so machen, von einem kontrollierten Versuchsaufbau mit vernünftiger Dosimetrie, Messtechnik und Störgrößenbetrachtung kann jedoch keine Rede sein (siehe auch Originalpublikation). Das alarmierende Ergebnis des Versuchs (im geschirmten Becken lebten nach zwei Monaten noch 95,8 Prozent der Larven, im ungeschirmten nur 10 Prozent) mag anspruchslose Mobilfunkgegner begeistern, wissenschaftlich ist es ohne Belang. Ähnlich verhält es sich mit einer "Baumstudie", die der Spanier mit der deutschen "Elektrosensiblen" Dr. med. C. Waldmann-Selsam auf die Beine stellte. Weitere Fundstücke im Forum Faktencheck Elektrosmog gibt es hier.

Wir halten fest: Da es sich bei der Insektenstudie um eine Literaturstudie handelt, konnten die Autoren an den Resultaten der eingeschlossenen Studien nachträglich nicht rütteln. Ihr Mehrwert lag in der Selektion und Bewertung der Studien. Doch wenn diese Aufgaben wie im vorliegenden Fall ausschließlich von überzeugten Mobilfunkgegnern wahrgenommen werden, ist davon auszugehen, dass sich die Überzeugung selbst mit den besten Absichten in einer Verzerrung der Resultate bemerkbar macht. Mit unvoreingenommenen Autoren hätte es diese Verzerrung nicht gegeben und die Ergebnisse wären anders ausgefallen. Die Insektenstudie von Diagnose-Funk sehe ich deshalb nicht als systematische Review, sondern als narrative Review mit geringem wissenschaftlichen Wert.

Wird fortgesetzt ...

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Interessenkonflikt, Diagnose-Funk, Mobilfunkgegner, Balmori, Faktencheck, Auftragsarbeit, Cammaerts, Thill, Insekten, Beefi


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