Evidenzbasierte Medizin (EBM): Wenn Expertenmeinung wenig zählt (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 20.02.2021, 23:49 (vor 1349 Tagen)

Meinungen von anerkannten oder selbsternannten Experten haben in der von Laien geprägten Anti-Mobilfunk-Szene einen alles in den Schatten stellenden hohen Stellenwert. Ganz anders in der evidenzbasierten Medizin. Unter den Nachweisstufen der wissenschaftlich begründeten Medizin rangieren Expertenmeinungen auf dem letzten Rang.

Evidenzgrade sind Skalen zur abgestuften Einordnung der Ergebnissicherheit einer vorliegenden Evidenz. International werden unterschiedliche Skalen und Definitionen verwendet, die nicht standardisiert sind. Im Allgemeinen haben Studien mit einer hohen Anfälligkeit für Bias einen niedrigeren Evidenzgrad als Studien mit einem kleinen Risiko für Bias. Qualitative gute randomisierte kontrollierte Studien haben in der Regel einen höheren Evidenzgrad als Beobachtungsstudien oder Fallserien.

Ein Medikament oder eine Methode kann nur dann als wirksam bzw. unbedenklich gelten, wenn Studien der Evidenzgrade I oder II vorliegen. Untersuchungen der Evidenzgrade III bis V können zwar Trends aufzeigen, keinesfalls aber Unbedenklichkeits- sowie Wirksamkeitsnachweise führen. Wirkmechanismen, die lediglich in Laborexperimenten oder Tierversuchen gezeigt wurden, haben für die Anwendung beim Menschen nur sehr eingeschränkte Aussagekraft und werden von der EBM daher in keiner Nachweisstufe berücksichtigt. Dazu zählen auch die unter Mobilfunkgegnern hoch gehandelten "Kasuistiken" einer Wanderärztin und eben "Expertenmeinungen" jedweder Art.

Evidenzgrad I

Randomisierte, kontrollierte Studien

Standard für die Anerkennung neuer Arzneimittel. Belegt Unbedenklichkeit und Wirksamkeit.

Evidenzgrad II

Epidemiologische Kohortenstudien

Standard für Arzneimittel, die bereits angewendet werden. Belegt Unbedenklichkeit und Wirksamkeit.

Evidenzgrad III

Nicht randomisierte Studien, Studien ohne Kontrollgruppen

Ergibt Hinweise auf Wirksamkeit, gilt aber nicht als Beweis. Grundlage für randomisierte, kontrollierte Studie.

Evidenzgrad IV

Einzelfalldarstellungen (= Kasuistiken)

Kein Unbedenklichkeits- und Wirksamkeitsnachweis. Grundlage für neue Therapieansätze.

Evidenzgrad V

Expertenmeinung

Kein Unbedenklichkeits- und Wirksamkeitsnachweis. Achtung: Selbst ernannte Experten gibt es häufig!

Quellen
Glossar des Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Nachweisstufen der wissenschaftlich begründeten Medizin, Institut zur wissenschaftlichen Evaluation naturheilkundlicher Verfahren

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Wissenschaft, Risiko, Alternativmedizin, Kasuistik, Evidenzbasiert, Unbedenklichkeit


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