Falscher Alarm: Blind nach Smartphonenutzung im Bett (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Montag, 01.08.2016, 22:59 (vor 2857 Tagen)

Es wäre eine so schöne Alarmmeldung für die einschlägigen Anti-Mobilfunk-Vereine gewesen: Smartphonenutzung im Bett macht blind! Diagnose-Funk hätte einen mehrseitigen vierfarbigen "Brennpunkt" über das neue Elektrosmog-Aua fabrizieren können, aufgepeppt um ein paar Exklusivinterviews mit Kälbern des schweizerischen Bauern Sturzenegger. Dessen Kälber, so sagt er, seien ebenfalls unter Mobilfunkeinwirkung erblindet, nicht weil sie mit einem Smartphone im Stroh lagen, sondern weil sie im Bauch des Muttertiers von fernen Sendemasten befeldet wurden.

Doch aus diesem herrlichen Alarm wird nichts. Denn wer im Bett liegend mit nur einem Auge aufs Display seines Smartphones schaut, weil ein Kissenzipfel dem anderen Auge den Blick aufs Display versperrt, der kann nach einigen Minuten an sich zwar eine beunruhigende Sehstörung beobachten, die jedoch a) nur vorübergehend und b) völlig harmlos ist und c) nicht das Geringste mit Mobilfunk zu tun hat.

Obwohl dieser Effekt nicht auf Smartphonenutzung beschränkt sei, werde er aufgrund der großen Verbreitung solcher Geräte zunehmend häufiger beobachtet, berichten laut Ärztezeitung Forscher in London (NEJM 2016; 374:2502-2504):

Die Forscher beschreiben in ihrer Veröffentlichung die Kasuistiken von zwei Frauen, die Sehstörungen auf einem Auge hatten. Das Team fand heraus, dass, wenn die Patientinnen ihr Smartphone im Bett betrachteten, die beobachteten Symptome auf die Adaption ihrer Augen an das entsandte Licht des Gerätes zurückzuführen sind. Während sich das betrachtende Auge an das Licht anpasst, passt sich das durch das Kissen bedeckte Auge an die Dunkelheit an.

Die Folge: Wenn beide Augen in der Dunkelheit geöffnet werden, wird das lichtadaptierte Auge als "blind" empfunden. Dieser Effekt ist bekannt als differenzielles Bleichen der Fotopigmente und dauert ein paar Minuten, heißt es in der Mitteilung.

Die britischen Ärzte weisen auf dieses Phänomen hin, um teuren unnötigen Untersuchungen vorzubeugen und Patienten zu beruhigen – und um professionellen Elektrosmog-Panikmachern die Tour zu vermasseln. Bevor die Ärzte Smartphones als neuen Verursacher der bekannten Sehstörung erkannten, vermuteten sie gemäß Pharmazeutische Zeitung Online ein thromboembolemisches Ereignis hinter dem Phänomen und ließen nichts unversucht, die Ursache zu ergründen. Doch weder die ophthalmologischen und kardiovaskulären Untersuchungen noch eine Magnetresonanzangiografie, eine Echokardiografie oder ein Thrombophilie-Screening brachten Licht ins Dunkel. Auch die Vitamin-A-Werte waren unauffällig. Die Mediziner standen vor einem Rätsel.

Hintergrund
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Aerztezeitung, Smartphone, Kälber, Auge


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