Mikrolobbyismus: eine Form des kommerziellen Kleinlobbyismus (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 26.03.2014, 00:23 (vor 3911 Tagen)

Bei Lobbyisten denken die meisten wahrscheinlich an Herrn in guten Anzügen und mit grau melierten Haaren, die in Ministerien, Behörden oder Ämten herumhängen, um im Auftrag von Großindustriellen die Meinungsbildung bei Politikern ein wenig zu erleichtern.

Doch seit einiger Zeit beobachte ich eine Art bürgerlichen Lobbyismus, der sich bevorzugt ganz woanders abspielt, nämlich im Internet, und der sich dort weitgehend unbeachtet/ungestört entfaltet. Ich meine damit den kommerziellen Klein- oder Mikrolobbyismus von Kleinstunternehmern und Vereinen im Dunstkreis der Mobilfunkdebatte.

Weil das in abstrakter Form nur mäßig spannend bis langweilig ist, erzähle ich ein konkretes Beispiel, wie es sich gestern zugetragen hat.

Konkretes Beispiel eines Mikrolobbyisten

Die Website schweizerbauer.ch hat am 23.03.2014 um 13:15 Uhr einen Artikel über elektrosensible Kühe gebracht. Als mich Google ungefähr 14 Stunden später zu dem Artikel führte, gab es dort bereits einen Kommentar von einem Johann Doppelhofer. Um selbst zu kommentieren war ich zu müde, es war immerhin morgens kurz vor 3:30 Uhr. Ausgeschlafen wundere ich mich: Doppelhofer hat jetzt drei Kommentare geschrieben. Das muss ein schwerstbetroffener schweizer Bauer sein, der sogar den Donner eines Gewitters in Verdacht hat, den Kühen zu schaden. Nichts Böses ahnend schreibe ich am 24. März um 10:55 Uhr den Kommentar "Erst forschen, dann spekulieren". Da die Textmenge auf 400 Zeichen begrenzt ist, muss man schnell auf den Punkt kommen. Ich schlug vor, statt wilder Spekulation erst einmal wissenschaftlich belegte Fakten abzuwarten, über die dann zu reden sei. Ein mMn unverfänglicher Kommentar. (Da die Chronologie der Kommentare dort sehr unübersichtlich ist, nenne ich nachfolgend zur Orientierung Datum und Uhrzeit eines Kommentars.)

Doppelhofer vs. Spatenpauli

Doch schon um 11:21 Uhr schlägt noch am selben Tag der Blitz ein. Doppelhofer antwortet:

http://forum.gigaherz.ch/viewtopic.php?p=64671
Soviel zu dem Pseudonym, Spatenpauli!

Erfahrungswissenschaft ist eine Sparte, von der sich die Bezahlte Wissenschaft gerne fernhält!
Aber jedem das seine!

Damit war klar: Johann Doppelhofer ist kein "normaler" Kommentarschreiber, er muss Teilnehmer der Mobilfunkdebatte sein.

Kurzes Googlen fördert einen gleichnamigen Rutengeher zutage. Kein schweizer Bauer, sondern ein Österreicher, der sich ungefähr 50 km nordöstlich von München niedergelassen hat. Der Mann ist gelernter Wagenschmied, war Maschinen-Einrichter, Kundendienstmonteur und Haus- und Wassermeister bevor er 2005 das Rutengehen als Erwebsquelle entdeckte.

Aber ist mein kommentierender Johann überhaupt identisch mit dem Rutengeher? Am 25. März, 10:42 Uhr, packe ich den Stier bei den Hörnern und frage:

Unter uns: Bist du der Rutengeher Johann Doppelhofer? Das würde alles erklären ;-)

Es kommt zwar kein klares "Ja, ich bin's", doch auch ohne Geständnis wird in dem darauf folgenden Geplänkel klar: Der Kommentator auf der Website schweizerbauer.ch ist tatsächlich der Rutengeher Doppelhofer, der sich rühmt, eine eigne Produktlinie zu haben.

Rutengeher im Blindtest

Was mit "eigener Produktlinie" gemeint ist fand meine Frau heraus. Denn am 27. September 2011 strahlte Spiegel-TV die 8-minütige Sendung Mentalist mit Methode mit dem Rutengeher in der Hauptrolle aus, von der Metathek schreibt:

Eine Wünschelrute und ein bisschen rhetorisches Geschick und schon kann man den Gutgläubigen in diesem Land alles verkaufen. Auch für Rutengänger Johann Doppelhofer läuft das Geschäft mit seiner angeblichen Übersinnlichkeit überirdisch gut. Und das, obwohl der freundliche Verkäufer mit dem Esoterik-Schrott im Angebot für seine Kunden eigentlich nur ein Ersatzmann ist. In Wahrheit wäre ein Therapeut die bessere Lösung.

Zum Schreien: Gleich zu Beginn des Kurzvideos besucht Doppelhofer eine Kundin, die sich besonders nachts im Schlafzimmer unwohl fühlt. Hintergründiger Kommentar der Sprecherin im Off: Dabei müsse es sich offenbar um einen sehr "unbefriedigenden Ort" handeln. Weniger lustig: Die Esoterik-Gerätschaft, die unser Mann verkauft, kostet bis zu 1000 Euro.

10'000 Euro wollte Doppelhofer bei der GWUP kassieren, indem er es schafft, von zehn Bechern den einen zu finden, der mit Wasser gefüllt ist. Das Spiegel-Video zeigt ab Minute 4:00 diesen Versuch und <hier> kann man in aller Ausführlichkeit darüber nachlesen.

Zusammenfassung

Ein in Deutschland lebender österreichischer Mikrolobbyist (Doppelhofer) macht im Kommentarblock einer schweizerischen Website unaufdringlich aber deutlich auf sich aufmerksam. Verräterisch ist nur die Häufigkeit, mit der er dort schreibt und der unbedingte Anspruch auf Deutungshoheit. Einen zufällig vorbei kommenden Skeptiker (Spatenpauli) erkennt Doppelhofer als Störung der Geschäftsanbahnung, er versucht den Störer unverzüglich mit einem denunziatorischen Link wegzubeißen oder wenigstens in Misskredit zu bringen. Weder Doppelhofer noch Spatenpauli haben irgendetwas mit schweizer Kühen zu tun, dennoch dominieren beide den Kommentarblock deutlich. Doppelhofer versucht sich als Problemlöser zu inszenieren, Spatenpauli greift ihn wegen seines Interessenkonflikts an. Ob es einen Gewinner gibt, wird nicht festzustellen sein. Nur, was wäre, wenn der Rutengeher ungestört seine potentiellen Opfer hätte umgarnen können? Das ist mMn das eigentliche Problem: Mikrolobbyisten wie Doppelhofer gibt es wie Sand am Meer, das www ist ihre Bühne und eine Handvoll Skeptiker kann nicht viel dagegen ausrichten. Der Schaden, den ein einzelner Mikrolobbyist in der Gesellschaft anrichtet, so dies überhaupt als Schaden gewertet wird, ist gering, erst in Summe erreicht der Schaden wahrscheinlich erhebliche Dimensionen. Die kommenden Generationen brauchen deshalb mMn schon in der Mittelstufe das neue Fach "Desinformationsabwehr", um den gesellschaftlichen Schaden (finanzieller Verlust, Verängstigung/Verunsicherung, Staatsverdrossenheit ...) klein zu halten.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Wasser, Rutengeher, Radiästhesie, Geopathologie, Rinder, GWUP, Lobbyismus, Parawissenschaft, Vertriebsweg, Wünschelruten, Curry-Gitter, Okkultismus, Uebeltäter, Bühne Vita-Tronic


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