Schlimmer gehts nimmer! (Allgemein)

Alexander Lerchl @, Montag, 30.06.2008, 18:32 (vor 5799 Tagen) @ charles

Nicht klar ist um welche Studie es sich hier handelt.

1. Eine neue, gestern vorgestellt
2. Eine schon in 2006 publizierte
3. Eine in 2002 angefangene mit Laufzeit von 18 Monaten.

Ich werde schwindlich.


Moin!

Ich habe gerade diesen Thread entdeckt (war bislang mit anderen Dingen beschäftigt), habe ein wenig recherchiert und folgende Dinge zu berichten:

1. Die Studie scheint der zu entsprechen, über die 2006 im dem genannten IEEE Band berichtet wurde (Adang und Vander Vorst). Ich hoffe, Sie haben Zugang zu dem paper, bei mir kann ich es jedenfalls herunterladen (ca. 4,5 MB). Dort ist auch zu lesen, dass die Experimente von März 2004 bis (vermutlich) September 2005 liefen, da die Dauer hier mit 15 Monaten angegeben wurde. Dass es so lange gedauert hat, bis die Ergebnisse vorgestellt wurden (soweit ich weiß, als mündliche Verteidigung der Dissertation), ist etwas seltsam, aber das kommt schon mal vor.

2. FALLS die jetzt berichteten Ergebnisse sich auf das in 2006 veröffentliche paper beziehen, und nur dann, gibt es mit den Versuchen eine unglaubliche Fülle von Problemen. Klar, einige werden jetzt sagen, Lerchl möchte keine positiven Resultate anerkennen, aber Sie können das selbst beurteilen. Jedenfalls werden die Autoren erhebliche Schwierigkeiten haben, diese Arbeit zu veröffentlichen, da sie in einem Ausmaß mängelbehaftet ist, das einem in der Tat "schwindlich" wird:

a) es ist keine "epidemiologische", sondern eine experimentelle Untersuchung.

b) Die Käfiggrößen wurden mit 1,11 m Länge und 0,6 m Breite (oder 0,71 m, das ist im Text und aus der Abbildung nicht klar zu erkennen) angegeben. Selbst im günstigen Fall von 0,71 m ergibt sich eine Bodenfläche von 7810 cm², das sind 260 cm² pro Ratte. Bei 0,6 m Breite sind das nur 6600 cm². Laut Europäischen Richtlinien sind für Ratten mit einem Körpergewicht von >350 g pro Tier 350cm² vorgeschrieben, das sind bei 30 Tieren pro Gruppe (wie in dem 2006 paper angegeben) 10500 cm²! Es waren also zu viele (auch noch männliche!!) Ratten pro Käfig untergebracht. Da in dem paper explizit erwähnte Wichtigkeit der Vermeidung von Stress als möglichem Co-Faktor ist daher schon ziemlich absurd.

c) Es ist nicht erwähnt, dass die Studie verblindet durchgeführt wurde (auch wenn man in dem paper die Abb. 1 ansieht, fällt einem sofort die Antenne in dem einen Deckel, in dem anderen das Fehlen einer solchen auf). Das ist schon lange nicht mehr Standard.

d) Die hier (im thread) angegeben Daten wollen einfach nicht zur Anfangsgröße von 30 Tieren je Gruppe passen: 31% von 30 ergibt 9,3 Tiere; 48% ergeben 14,4 Tiere; 59% ergeben 17,7 Tiere und 61% ergeben 18,3 Tiere. Vielleicht lese ich etwas falsch oder es ist ein Übermittlungsfehler aufgetreten oder sonst etwas, aber auch dies ist seltsam. Jedenfalls sind die Komma-Tiere (nicht Koma-Tiere) irritierend.

e) Ganz abenteuerlich ist die "Dosimetrie", wenn man von einer solchen überhaupt sprechen kann. Die "selbstgebauten" (Zitat) Anlagen wurden mit handelsüblichen Antennen (Kathrein; 1 GHz) bzw. Hornantennen (10 GHz) mit den entsprechenden Antennengewinnen und "hot spots" versehen. Das dies zu extrem unterschiedlichen Expositionswerten am Käfigboden führen muss, ist vollkommen klar.

f) Noch abenteuerlicher, wenn das überhaupt noch geht, aber es geht offensichtlich, ist die "Berechnung" der benötigten Leistungsflussdichten. Zunächst wird angenommen, Menschen seien 10-mal größer als Ratten ("ratio in size between a human and a rat equals 10" ). Was damit gemeint ist, entzieht sich völlig meinem Verständnis, ganz abgesehen von der Vernachlässigung von altersabhängig unterschiedlichen Werten (siehe auch Punkt e). Dann werden die ICNIRP-Grenzwerte genommen, der Grenzwert bei 100 MHz (2W/m²) auf 1 GHz skaliert (durch besagten Faktor 10), und daher kommt man auf 200 µW / cm², der für Ratten bei 1 GHz "geeignet" ("suitable" ) sei. Auch für 10 GHz wurde entsprechend verfahren. Eine Dosimetrie im eigentlichen Sinne (Berechnung der von den Tieren tatsächlich im Ganzen oder in Organen) fehlt völlig.

g) Die (geringe) Anzahl der pathologischen Untersuchungen der gestorbenen Tiere spricht nicht für eine sorgfältige Studie. Bei männlichen Ratten, gerade wenn sie alt sind, muss man aufpassen, dass die ihre frisch verstorbenen Kumpane nicht verspeisen und sie so einer pathologischen Untersuchung zumindest teilweise entziehen. Man muss also den Zustand der Tiere sehr genau überwachen und dann, wenn sie moribund werde, sie sofort schmerzfrei töten. Auch in Verbindung mit Punkt b) habe ich hier sehr starke Bedenken.

Noch einen schönen Abend,

Ihr Alexander Lerchl

P.S.: Da ich nicht französisch spreche und nur bruchstückhaft lese, habe ich den genannten Artikel in der französichen Zeitung mittels Internet übersetzt und möchte Ihnen das Resultat nicht vorenthalten ;-) (kommt gleich)

--
"Ein Esoteriker kann in fünf Minuten mehr Unsinn behaupten, als ein Wissenschaftler in seinem ganzen Leben widerlegen kann." Vince Ebert

Tags:
Wissenschaft, Studie, Analyse, Dosimetrie, Verblindung


gesamter Thread:

 RSS-Feed dieser Diskussion

powered by my little forum