Obermarchtal: Baubiologe Erwin klärt 50 Bürger auf (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 05.05.2024, 22:02 (vor 14 Tagen)

Am südlichen Ortsrand vom Obermarchtal soll beim Industriegebiet ein 5G-Mobilfunkmast auf einer privaten Fläche gebaut werden. Über den Bauantrag der Deutschen Funkturm GmbH, einer Tochter des späteren Betreibers, also der Deutschen Telekom, hatte der Obermarchtaler Gemeinderat in seiner jüngsten Sitzung entschieden und das Einvernehmen erteilt. Doch jetzt regt sich Widerstand.

Obermarchtal ist eine rd. 1300 Einwohner zählende Bilderbuchgemeinde in Baden-Württemberg, umgeben von Wiesen und Äckern. Über den Bauantrag war der Gemeinderat mehrheitlich erfreut. Rätin Susanne Stöhr war nicht erfreut, ihr ist der geplante Standort mit 480 Meter Abstand zum Ort viel zu nah. Das kann man freilich auch ganz anders sehen. Einmal abgesehen von dem Umstand, dass Stöhrs ureigenste Ängste im Interesse der Gemeinde eigentlich keine Rolle spielen dürften. Denn aus meiner Sicht ist es nicht nur für Gemeindevertreter, sondern für jeden unangebracht, persönliche Risiken zu sozialisieren und Erfolge (Funkmast wird weiter weg errichtet) zu privatisieren.

Reflex "Informationsveranstaltung"

Gemeinsam mit dem ortsansässigen Baubiologen Erwin Dreher organisierte die Gemeinderätin für den 28. April 2024 eine "Informationsveranstaltung" und lud im Mitteilungsblatt Nr. 17 der Gemeinde alle Interessierten ein. Gekommen sind dann am Spätnachmittag rd. 50 Personen, also immerhin knapp vier Prozent der Bevölkerung. Möglicherweise wären es mehr geworden, hätte zuvor am selben Tag nach dem Gottesdienst nicht die Motorrad & Fahrzeugweihe stattgefunden, fatalerweise einschließlich Frühschoppen mit Bier vom Fass, Biker-Pfanne und Burger.

Was auf der Informationsveranstaltung der beiden Mobilfunkgegner zur Sprache kam, darüber berichtet die Schwäbische mit eigenwilliger Titel-Orthografie in ihrem Beitrag Wiederstand gegen geplanten 5G-Mobilfunkmast in Obermarchtal. Eigenwillig waren auch die Ausführungen des Referenten, der z.B. die Ansicht vertrat, es bräuchte keinen Funkmasten, der Ort sei ohnehin gut mit Mobilfunkdiensten versorgt. Als ob die Telekom nur aus Jux und Tollerei einige hundertausend Euro für den geplanten Standort los werden wollte. Gegen einen Standort zwei Kilometer vom Ort entfernt hätte er aber keine Einwände. Auch diese Einschätzung lässt sich ganz anders sehen, ist der Blick nicht starr auf Funkmasten fixiert, sondern auch auf die Mobiltelefone der Einwohner.

Der Elefant im Raum

Ausgerechnet einen sogenannten Baubiologen mit einer "Informationsveranstaltung" zu betrauen ist allerdings schon vom Ansatz her ein Kardinalfehler, denn Baubiologen unterliegen dem Interessenkonflikt, dass ihre Geschäfte umso besser laufen, je stärker irrationale Furcht vor Funkmasten in der Bevölkerung grassiert. Das führt dazu, dass man die Alarmbotschaften des Referenten schon kennt, bevor dieser das erste Wort gesprochen hat. Bekanntlich ist Baubiologe kein Lehrberuf und kein geschützter Qualifikationsnachweis, jeder darf sich so nennen. Herr Dreher z.B. lernte zuerst die anerkannten Berufe Bürokaufmann und später Werkzeugmacher. Erst nach einem Fernkurs auf eigene Kosten bei einem privaten Weiterbildungsträger wurde er 2006 zuletzt Baubiologe. Das sind mMn nicht die allerbesten Voraussetzungen, um die verzwickte Mobilfunktechnik sowie das damit verbundene wie und warum samt Risikoeinschätzung fachkompetent erfassen zu können. In solchen Fällen ersetzen persönliche Meinungen irgendwie im www zusammen gegoogelt, nackte Tatsachen. Zwischen beiden klafft eine entsetzlich große Lücke, die vom Publikum nicht erkannt wird, weil es von der Sache noch weniger versteht als der Referent. Dann heißt es "die einen sagen so, die anderen so" und der Bauch entscheidet auf Akzeptanz oder Protest, nicht das Hirn.

Bürgermeister gibt nicht auf

Bürgermeister Martin Krämer will allen Unkenrufen zum Trotz den Funkmast nach Obermarchtal holen. Das finde ich anerkennenswert. Er setzt dabei laut Schwäbische auf eine zweite Informationsveranstaltung am 7. Mai 2024 mit online zugeschalteten fachlich versiertem Personal des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, der Deutschen Telekom und des Bundesamts für Strahlenschutz. Erwin Dreher werden die Profis mit Sicherheit nicht mit ihren Fakten überzeugen können. Dafür hat die deutsche Anti-Mobilfunk-Szene längst listig vorgesorgt und reichlich Misstrauen gegenüber Behörden gesät, gegen Mobilfunknetzbetreiber sowieso. Es kommt also auf das ergebnisoffene Publikum an, ob es (noch) Vertrauen in staatliche Institutionen hat, echte Fachkompetenz respektiert und zwischen Behauptungen und Fakten unterscheiden kann. Kann es das, wird Krämer den Funkmasten bekommen, kann es das nicht, hat der Bürgermeister ein Problem, das sich auf rationaler Ebene nicht lösen lässt und innovative andere Wege erfordert, z.B. die Einschaltung eines Hypnotiseurs :-).

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Obermarchtal: BfS und Telekom klären 50 Bürger abermals auf

H. Lamarr @, München, Montag, 13.05.2024, 23:22 (vor 6 Tagen) @ H. Lamarr

Bürgermeister Martin Krämer will allen Unkenrufen zum Trotz den Funkmast nach Obermarchtal holen. Das finde ich anerkennenswert. Er setzt dabei laut Schwäbische auf eine zweite Informationsveranstaltung am 7. Mai 2024 mit online zugeschalteten fachlich versiertem Personal ...

Die Schwäbische informierte am 10. Mai 2023 über diese zweite Informationsveranstaltung, auf der es aus meiner Sicht sach- und fachkundiger zuging als auf der ersten. Wieder sollen etwa 50 Besucher dort gewesen sein. Ob Gemeinderätin Susanne Stöhr und Baubiologe Erwin Dreher darunter waren, ist ungewiss, genannt werden sie in dem Zeitungsbericht jedenfalls nicht. Eher ungewöhnlich ist, dass den beiden Referenten in der abschließenden Diskussion nicht nur die üblichen von Misstrauen geprägten Fragen gestellt wurden, sondern sie auch Zuspruch und sogar Beifall erhielten. Dies lässt sich als Beleg für den auch anderweitig zu beobachtenden Trend sehen, dass die AMH (Anti-Mobilfunk-Hysterie) um 5G zwar nicht erloschen ist, ihren Höhepunkt jedoch überschritten hat.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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