"Elektrosensibler" Franzose betreibt zur Therapie Störsender (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 16.04.2023, 14:50 (vor 383 Tagen)

Die Mobilfunkdebatte ist reich an verrückten Geschichten, die vom irrationalen Verhalten Beteiligter erzählen. Doch was der Funkstörmessdienst der staatlichen französischen Funknetzagentur ANFR anlässlich einer gemeldeten Funkstörung im Mobilfunknetz erlebte, sucht seinesgleichen.

Im Spätsommer 2021 erhielt ANFR die Beschwerde eines Mobilfunknetzbetreibers, sein Funkmast in der Gemeinde Sarreguemines (Landkreis Moselle) werde auf den Frequenzbändern 800 MHz, 900 MHz, 1'800 MHz, 2'100 MHz und 2'600 MHz erheblich gestört. Nachdem der Staatsanwalt von Sarreguemines informiert wurde, begaben sich vereidigte und bevollmächtigte Beamte des lokalen ANFR-Funkstörmessdienstes an den Ort des Geschehens, um ihre Ermittlungen zu starten ...

Im Angesicht des Störsenders: Verbrechen oder Verschwörung?

Die Messgeräte der Beamten ließen keinen Zweifel daran, dass tatsächlich alle Mobilfunkbänder, die von diesem Funkmast für 2G, 3G und 4G genutzt werden, betroffen waren. Aber die Störung ging noch weiter: Auch GPS und WiFi im 2,4-GHz-Band waren gestört. Die Signatur des Störung ließ nur den einen Schluss zu, es musste sich um einen verbotenen Störsender handeln, der in der Nähe des Standorts betrieben wurde.

In ihrem Messfahrzeug, auf dessen Dach sich eine Peilantenne befindet, überprüften die Beamten die Stärke des Störsignals. Nachdem sie geduldig durch die Straßen von Sarreguemines gefahren waren, konnten sie feststellen, dass das beobachtete Störsignal vor einem mehrstöckigen Gebäude seinen Höchststand erreichte. Es blieb also nichts anderes übrig, als die Suche zu Fuß fortzusetzen, um die Wohnung zu identifizieren, in der das Gerät versteckt war.

Mit Hilfe eines Messempfängers mit Richtantenne untersuchten die Beamten nacheinander alle Fenster der Fassade. Mit Erfolg. Eines der Fenster zeigte eine stärkere Emission so dass klar war, welches Stockwerk zuerst untersucht werden sollte. Im Gebäude konnte dann die verdächtige Wohnung mit einen Rundgang durch die Gemeinschaftsräume und auf den Treppenabsätzen ausfindig gemacht werden. Weil Störsender jedoch häufig in Verbindung mit kriminellen Aktivitäten benutzt werden, zog sich der Messtrupp vorsichtshalber wieder zurück. Es war ratsam, nicht der Versuchung nachzugeben, sofort an der Tür zu klopfen.

Schocktherapie eines "Elektrosensiblen"

Der Messtrupp bat das Polizeikommissariat von Sarreguemines um Unterstützung und kehrte in Begleitung von Polizisten zu der Wohnung zurück. Nachdem der Verdächtige die Tür öffnete staunten die Beamten nicht schlecht, denn die Wände der Wohnung waren mit Aluminiumfolie und Rettungsdecken tapeziert. Standen sie in einem geheimen Labor? In einem Versteck von Außerirdischen? Nichts von alledem. Der Bewohner, der nicht wie ein Science-Fiction-Held aussah, fügte sich bereitwillig den Anweisungen der Ermittler. In aller Offenheit präsentierte er ihnen einen prächtigen Multiband-Störsender, mit dem er in der gesamten Nachbarschaft Funkstörungen verursachte.

Obwohl er wusste, dass der Besitz und Betrieb eines solchen Geräts illegal ist, zeigte der Mann kein Schuldbewusstsein. Der Polizei erklärte er, dass er sich selbst als elektrosensibel betrachte. Deshalb habe er seine gesamte Wohnung mit Metalltapeten ausgestattet, in der Hoffnung, sie so in einen Faradayschen Käfig verwandeln zu können. Den Störsender habe er zu therapeutischen Zwecken verwendet. Der Mann sagte weiter aus, er fürchte sich vor fremden Funkwellen, aber er hätte festgestellt, dass seine Symptome jedes Mal verschwanden, wenn er sich neben seinen eingeschalteten Störsender setzte. In dessen unmittelbarer Nähe könne er auch viel besser schlafen. Sein verblüffendes Erklärungsmodell: Wie laute Musik auf einer Tanzfläche, die jede Unterhaltung verhindert, sendet ein Störsender Wellen aus, die stark genug sind, um Signale, die auf legitimen Frequenzen gesendet werden, ungeschehen zu machen.

In der Wohnung wurde die Wirkung des Störsenders sogar noch verstärkt. Der Täter sagte, er habe die Wände mit Metall verkleidet, "damit die Wellen nicht eindringen". Was er nicht bemerkt hatte war, dass seine handgefertigte Schirmung Signalreflektionen förderte und den Austritt der Funkwellen aus seiner Wohnung behinderte. Daher waren die elektromagnetischen Emissionen des Störsenders in der Wohnung besonders stark. Aber der Faradaysche Käfig war lückenhaft und der Störsender so stark, dass der mehrere hundert Meter entfernten Mobilfunkmast trotz der Schirmung noch gestört wurde. Nachdem der Störsender abgeschaltet wurde bestätigte der Netzbetreiber, dass damit auch die Störung seines Funkmasten vorüber war.

Wiederholungstäter

Nur vier Tage nach dem Einsatz wurde die ANFR erneut alarmiert, dass die Störung an dem besagten Funkmast wieder auftrat, diesmal jedoch nur sporadisch und nachts. Die Beamten des Funkstörmessdienstes warteten einige Tage, bis die Störung zuverlässig bestätigt war, bevor sie sich auf den Weg machten. Erstaunt stellten sie fest, das Messfahrzeug führte sie wieder vor dasselbe Gebäude. Bereitwillig öffnete der schon bekannte Verdächtige seine Tür und führte die Beamten zu seinem Störsender.

Nach mehreren solchen Rückfällen beschließt die Polizei von Sarreguemines Ermittlungen einzuleiten. Vier Monate später klingeln Beamte der ANFR, ein Kriminalbeamter und ein Polizeibeamter mit Fachwissen abermals an der Tür des Verdächtigen. Diesmal haben sie einen Hausdurchsuchungsbefehl mit dabei und finden zwei weitere Multiband-Störsender. Die Geräte störten neben anderen Diensten auch 5G im 3,5-GHz-Frequenzband, das bis dahin nicht betroffen war.

Neun Monate nach dem ersten Vorfall erschien der Wiederholungstäter vor Gericht wegen des illegalen Besitzes und des Nutzung von Störsendern. Die ANFR wurde als Zeuge vernommen und konnte die Risiken von Störsendern erläutern. Das Gericht befand die Person für schuldig. Der Staatsanwalt aber war gnädig und befand, dass der Beschuldigte keine böse Absicht hatte, die öffentliche Ordnung zu stören oder eine Straftat zu begehen. So kam der Täter mit der Beschlagnahmung der vier Störsender und der Zahlung der Verfahrensgebühr davon. In Frankreich kann die Störung von Funkdiensten mit einem Störsender als Straftat gelten, die mit bis zu sechs Monaten Gefängnis oder bis zu 30'000 € Geldstrafe geahndet werden kann.

Quelle: Enquête de l’ANFR – Combattre le mal par le mal ?

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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