Gescheiterte Mobilfunkkonzepte: Attendorn sucht Anschluss (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 16.06.2022, 17:28 (vor 703 Tagen)

Wegen ihrer restriktiven Haltung gegenüber Mobilfunksendemasten war die Stadt Attendorn in NRW für organisierte Mobilfunkgegner seit 2003 ein viel gerühmtes Vorzeige-Widerstandsnest. Im Laufe der Jahre erwies sich jedoch die bei einem privaten Anbieter eingekaufte alternative Netzplanung der Stadt als ein Irrweg. 2019 wurde deshalb der Vollzug des Attendorner Mobilfunkkonzepts ausgesetzt, jetzt leitet die Stadt weitere Schritte zur Gesundung ihrer Mobilfunkinfrastruktur ein.

Die Hansestadt Attendorn hat eine von Höhenzügen umgebene Tallage. Ein privater Anbieter von Standortkonzepten legte deshalb der Stadt die Versorgung des Stadtgebiets mit Mobilfunkdiensten hauptsächlich ausgehend von Standorten auf den Höhenzügen nahe, um die Stadt weitgehend von Mobilfunkstandorten frei zu halten. Dieses Konzept stieß bei einem stark engagierten Mitarbeiter der Stadtverwaltung auf offene Ohren und 2003 verabschiedete Attendorn ein entsprechendes Mobilfunkkonzept. Übersehen wurde dabei, dass Mobilfunk einer ständigen Weiterentwicklung unterliegt, um mit sich ändernden Nutzungsgewohnheiten von Mobiltelefonnutzern Schritt zu halten. So dauerte es nicht lange, bis sich die Schwachpunkte der Versorgung "von Außen" bemerkbar machten, z.B. niedrige Datenraten aufgrund schwacher Empfangspegel im Stadtgebiet sowie wegen Abschattung der Funksignale unversorgte Flecken. Es folgte eine lange Phase gegenseitiger Schuldzuweisungen zwischen der Stadt und den Mobilfunknetzbetreibern, bis 2019 die Stadt die Reißleine zog und ihr Mobilfunkkonzept auf Eis legte. Danach setzte eine vorsichtige Annäherung der Streitparteien ein. Vorläufiger Höhepunkt ist ein Ende Mai 2022 vom Amt für Planung und Bauordnung ausgearbeiteter Beschlussvorschlag, der für einen restriktiven Bebauungsplan des Stadtgebiets die Aufhebung der Unzulässigkeit von ortsfesten Mobilfunksendemasten vorsieht. Auszüge aus dem vierseitigen Papier machen jedoch deutlich, um die Schatten der Vergangenheit endlich los zu werden, ist mehr als ein Federstrich nötig:

[...] Im Haupt- und Finanzausschuss (HFA) stellte am 08.09.2021 Herr H. von der Deutsche Telekom Technik GmbH die Mobilfunksituation in Attendorn aus Sicht eines Telekommunikationsunternehmens vor. Die Telekom sieht einen Nachholbedarf an Mobilfunkstandorten im Stadtgebiet. Zum einen, um die „weißen Flecken“ zu schließen, zum anderen, um die Kapazitäten zu erhöhen. Er betonte das starke Interesse der Telekom, aber auch anderer Mobilfunkunternehmen, den Standort Stettiner Straße mit neuen Sendeanlagen aufzurüsten. Darüber hinaus müssten aber auch noch zahlreiche weitere Sendemasten in Attendorn gebaut werden.

Der Bericht der Telekom diente der politischen Meinungsbildung für die zukünftige Ausrichtung der Stadt beim Thema Mobilfunk. Die Mitglieder des HFA sprachen sich für einen zeitgemäßen Mobilfunkausbau aus, sahen den Standort Stettiner Straße 2 allerdings weiterhin kritisch.
[...]
Rechtlich stellt sich die Situation wie folgt dar: Mobilfunksendemasten und Antennen sind Bestandteile eines gewerblich betriebenen Mobilfunknetzes und bauplanungsrechtlich als gewerbliche Nutzung zu beurteilen. Damit sind sie in Gebieten mit einem Bebauungsplan, soweit sie nicht im Bebauungsplan ausgeschlossen sind, in einem besonderen Wohngebiet, Dorfgebiet, Mischgebiet, urbanen Gebiet, Kerngebiet, Gewerbegebiet und Industriegebiet allgemein zulässig. In allgemeinen Wohngebieten und Kleinsiedlungsgebieten sind Mobilfunkanlagen ausnahmsweise als nicht störende gewerbliche Anlagen zulässig, hier handelt es sich um Ausnahmen i.S.d. § 31 Abs. 1 BauGB, die auch ohne ausdrückliche Festsetzung als im Bebauungsplan vorgesehen zu behandeln sind. Lediglich in einem reinen Wohngebiet sind gewerbliche Mobilfunkanlagen (als Hauptanlagen) weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig und bedürfen bauplanungsrechtlich einer einzelfallbezogenen Befreiung. Im ungeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB ist weitestgehend von einer Zulässigkeit auszugehen.

Das Gebot der Rücksichtnahme ist aufgrund der Vorgaben der 26. BImSchV im Rahmen einer Einzelfallprüfung genauso zu prüfen und zu beurteilen wie eine mögliche Beeinträchtigung des Ortsbildes (wenn es sich auf die städtebauliche Entwicklung auswirken würde). Vorbehaltlich einer Einzelfallprüfung ist davon auszugehen, dass (nach Aussetzen des Attendorner Mobilfunkkonzeptes im Jahr 2019) Sendeanlagen bauplanungsrechtlich weitestgehend im überwiegenden Teil des Stadtgebietes zulässig sind.

Abgesehen von den Vorhaben im Bereich der Stettiner Straße hat der Bürgermeister deshalb den
letzten Standortvorhaben der Telekommunikationsunternehmen zugestimmt. Allerdings waren die
bekannt geworden Ausbauvorhaben trotz Aussetzung des Mobilfunkkonzeptes in ihrer Anzahl sehr
begrenzt. Und das, obwohl sich die aus der fehlenden Standortdichte nun ergebenden Probleme
lange absehbar waren. Dies sowohl im Hinblick auf 5G, aber auch auf die Versorgung mit LTE und
in Bezug auf die strategisch geplante und zwischenzeitlich im Sommer 2021 durch die Telekom
erfolgte Abschaltung von UMTS.
[...]
Nach Ansicht des Bürgermeisters darf ein Festhalten an den Regelungen des Bebauungsplanes nicht
dazu führen, dass den Unternehmen ein Vorwand geliefert wird, den benötigten Ausbau in Attendorn weiter zu verzögern. Um die Deckung der aktuellen Bedarfe zu erreichen sowie die Entwicklung neuer Mobilfunktechnologien an einem der stärksten Wirtschaftsstandorte Südwestfalens zu fördern und um die Bevölkerung ebenfalls am technischen Fortschritt stärker teilhaben zu lassen, befürwortet der Bürgermeister deshalb, die o.g. Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 4a „Schwalbenohl-Himmelsberg“ aufzuheben und dadurch neue bzw. weitere Mobilfunksendemasten auch an dieser prädestinierten Stelle für zulässig zu erklären.
Damit würden die bereits jetzt bekannten aber auch zukünftige Vorhaben verschiedener Mobilfunkunternehmen auf dem Hochhaus Stettiner Straße 2 ermöglicht. [...]

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Game over, Bauleitplanung, Widerstandsnest, Mobilfunkkonzept, Steuerverschwendung, Attendorn, gescheitert

Gescheiterte Mobilfunkkonzepte: Attendorn sucht Anschluss

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 16.06.2022, 18:28 (vor 703 Tagen) @ H. Lamarr

Vorläufiger Höhepunkt ist ein Ende Mai 2022 vom Amt für Planung und Bauordnung ausgearbeiteter Beschlussvorschlag, der für einen restriktiven Bebauungsplan des Stadtgebiets die Aufhebung der Unzulässigkeit von ortsfesten Mobilfunksendemasten vorsieht.

Der Beschlussvorschlag wurde am 13. Juni 2022 ohne Gegenstimme angenommen. mehr ...

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Attendorn lässt Mobilfunksendemasten in Wohngebiet zu

H. Lamarr @, München, Samstag, 18.03.2023, 19:24 (vor 428 Tagen) @ H. Lamarr

In Attendorn kehrt ein weiteres Stück Normalität im Umgang mit Mobilfunksendemasten ein. Im Juni 2022 beschloss der Bauausschuss der Stadt u.a. die Aufhebung der in dem Bebauungsplan Nr. 4a (Schwalbenohl-Himmelsberg) enthaltenen Blockadepassagen einzuleiten, welche ortsfeste Mobilfunksendemasten als gewerbliche Hauptanlagen und Nebenanlagen für unzulässig erklärten.

Das Plangebiet, um das es geht, ist allerdings nur 2800 m² groß, es umfasst jedoch ein für den Stadtteil dominantes rd. 23 Meter hohes Haus, das als ein Standort für künftige Mobilfunksendemasten im Stadtgebiet vorgesehen ist.

Am 14. Dezember 2022 gab die Stadtverordnetenversammlung einstimmig dem geänderten Bebauungsplan ihren Segen. Damit ist von dem 2003 beschlossenen Mobilfunkkonzept erneut ein Stück abgebrochen.

In der Begründung für den Eingriff in den Bebauungsplan heißt es: Im Dezember 2019 hat die Stadtverordnetenversammlung beschlossen, das Mobilfunkkonzept der Hansestadt Attendorn aus dem Jahr 2003 zunächst bis auf weiteres auszusetzen. Ziel des Mobilfunkkonzeptes war es, unter dem Gesichtspunkt eines vorbeugenden Gesundheitsschutzes, Mobilfunk zu ermöglichen, dabei aber räumlich zu steuern und die von Sendeanlagen verursachten Immissionen gering zu halten. Anlass für die Aussetzung des Mobilfunkkonzeptes sind neue Entwicklungen im Bereich der Mobilfunktechnik (beispielsweise LTE/4G und 5G). Dazu hat die Bundesregierung im Oktober 2019 die Mobilfunkstrategie mit dem Ziel beschlossen, eine zügige und flächendeckende Netzversorgung zu gewährleisten. Funklöcher sollen künftig der Vergangenheit angehören und die Grundlage dafür geschaffen werden, dass Deutschland beim Mobilfunk eine internationale Spitzenposition auf Basis einer flächendeckenden LTE/4G-Versorgung für die Öffentlichkeit erreicht. So will Deutschland auch eine wichtige Voraussetzung für den 5G-Ausbau schaffen. Mit Betrachtung der Ziele der Bundesregierung wird deutlich, dass das im Jahr 2003 auferlegte Mobilfunkkonzept der Hansestadt Attendorn diesen Zielen kaum noch weiter gerecht werden konnte, da sich die technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sowie Anforderungen an die Mobilfunktechnik umfangreich geändert haben. Zwar besteht rund um die Stettiner Straße kein absolutes Funkloch, durch die Vielzahl der Mobilfunknutzer ist eine Stärkung des Netzes in diesem Bereich jedoch geboten. Dabei konzentrieren sich Telekommunikationsunternehmen mit ihren Planungen hier ausschließlich auf das Hochhaus. Mit Blick in die Zukunft ist die Hansestadt Attendorn deshalb gewillt, den Mobilfunkausbau und den Einsatz von neuer Funktechnologie auch in Wohngebieten leichter zu ermöglichen.

Quelle: 17. vereinfachte Änderung des Bebauungsplanes Nr. 4a

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Attendorn: Telekom plant zwölf neue Standorte

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 03.05.2023, 14:37 (vor 382 Tagen) @ H. Lamarr

Am 3. Mai 2023 meldet die Westfalenpost (Artikel hinter Bezahlschranke): Um das Mobilfunknetz in Attendorn auf ein besseres Level zu heben, plant die Telekom zwölf neue Standorte.

Nicht alle Medienvertreter in der Hansestadt sind von der Aufweichung des Mobilfunkkonzepts begeistert. Eine Redakteurin des Suaerlandkuriers nahm im August vergangenen Jahres die Freigabe des Standorts "Hochhaus Stettiner Straße" durch die Stadtverwaltung zum Anlass, einen vorwurfsvollen Kommentar zu schreiben.

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