Schweiz: Geheimtreffen zwischen Bafu und Mobilfunkgegnern (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 12.01.2023, 21:20 (vor 472 Tagen)

Mobilfunkkritiker und Mobilfunkgegner haben eine stark ausgeprägte selektive Risikowahrnehmung. Dies führt in der Anti-Mobilfunk-Szene häufig zu dramatisierten Meldungen, die bei Fachleuten Kopfschütteln auslösen Laien hingegen beunruhigen können. Gigaherz-Präsident Jakob ist eine Drama-Queen ersten Ranges. Dennoch wurde auch er im März 2022 vom Schweizer Bundesamt für Umwelt (Bafu) zum bilateralen Gedankenaustausch eingeladen.

Eine Kostprobe seiner verzerrten Risikowahrnehmung serviert Hans-U. Jakob mit seinem Jahresrückblick 2022. Darauf detailliert einzugehen ist nicht nötig, denn der Gigaherz-Präsident repetiert in seinem Beitrag lediglich kurz das, was er im vergangenen Jahr auf seiner Website ausführlich verwurstet hat. Soweit darauf einzutreten war, haben wir hier im Forum die schönsten Einlassungen des Alm-Öhis, wie er sich zuweilen selbst bezeichnet, bereits gewürdigt.

Sein Versprechen gleich zu Beginn des Jahresrückblicks, "die vollständigen Texte zu den nachfolgenden Kurzberichten können Sie in chronologischer Reihenfolge hier abrufen: https://www.gigaherz.ch/category/archiv", hält Jakob an einer Stelle jedoch nicht. Und diese Stelle, zu der es keinen "vollständigen Text" gibt, lautet:

Am Donnerstag, 31. März fand ein 3-stündiges Treffen zwischen den Spitzen des BAFU und Delegierten der Schutzorganisationen vor NIS statt.
Das Wichtigste aus dem Protokoll:
Das BAFU bestätigt, dass man unterdessen mit 5-10% der Bevölkerung rechne, die mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Folge von nichtionisierender Strahlung leben müssen. Das wären dann allein in der Schweiz 400’000 bis 800’000 Menschen. Infolge der Dunkelziffer wohl eher 800’000!
Währenddem Bundesrichter immer noch von ideelen Immissionen, also von eingebildeten Kranken sprechen. Wie lange wollen wir uns Solches noch gefallen lassen?

Ein weiterer wichtiger Punkt: Das BAFU gibt erstmals offiziell zu, dass weder die kantonalen Vollzugsbehörden, noch das BAKOM auf die in den Steuerzentralen der Mobilfunkbetreiber eingestellten Sendeparameter Einsicht habe. Und dass die Sicherheit der Schweizer Bevölkerung einzig und allein von einem Formular abhängt, in welchem die Mobilfunkbetreiber alle 2 Wochen dem BAKOM (Bundesamt für Kommunikation) mitteilen sollten, auf welchen ihrer 22’000 Mobilfunk-Sendeanlagen sie allenfalls die Strahlungsgrenzwerte nicht eingehalten hätten. Halleluja!

Da schau her, die "Spitzen des Bafu" sollen sich mit den Delegierten selbsternannter sogenannter Schutzorganisationen getroffen haben. Darüber hat Gigaherz-Jakob bislang auf seiner Website kein Sterbenswörtchen verlauten lassen. Eine Schnellprüfung bei den "Schutzorganisationen" funkstrahlung.ch und Diagnose-Funk Schweiz führte zum gleichen Ergebnis. Und auch das Bafu schweigt auf seiner Website eisern über das Gipfeltreffen.

Wegen Jakobs großer Lust am Verdrehen von Tatsachen habe ich erhebliche Zweifel an seiner Darstellung des Geheimtreffens. Seine Ausführungen zu "Elektrosensiblen" können aus meiner Sicht z.B. leicht so (miss-)verstanden werden, das Bafu habe einen Kausalzusammenhang bestätigt zwischen den gesundheitlichen Beeinträchtigungen von fünf bis zehn Prozent "Elektrosensiblen" im Land und der Exposition mit Funkstrahlung. Wäre dies so, die Schweiz wäre das weltweit erste Land, das einen solchen Kausalzusammenhang, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand, amtlich eingeräumt hätte. Das aber ist kaum anzunehmen, denn die wissenschaftliche Konsensmeinung geht nach Jahrzehnten der "Elektrosensiblen"-Forschung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, die Symptome der Betroffenen haben mit Funkstrahlung ursächlich nichts zu tun.

Was also haben Ende März 2022 die "Spitzen des Bafu" gegenüber Jakob und Co. wirklich geäußert? Um darüber verbindlich Auskunft geben zu können, löcherte ich das Amt mit einem kurzen Fragenkatalog:

Frage 1: Ich gehe davon aus, dass die Initiative für das Treffen vom Bafu ausging. Was aber versprach sich das Amt von diesem Treffen? Gab es keine Bedenken, die sogenannten Schutzorganisationen mit der Einladung zur Teilnahme unbeabsichtigt aufzuwerten? Und wer hat vonseiten Bafu und vonseiten der Kritiker an dem Treffen teilgenommen?

Das Amt antwortete, es führe regelmäßig Treffen mit verschiedenen Stakeholdern durch. Im Bereich der nichtionisierenden Strahlung unter anderem mit den Mobilfunkbetreibern oder den Schutzorganisationen. Dies sei üblicher Bestandteil der behördlichen Arbeit. Öffentlich dokumentiert würden derartige Treffen jedoch nicht. Die Frage nach den Teilnehmern des Treffens ließ das Amt erwartungsgemäß unbeantwortet.

Frage 2: Entspricht die Behauptung von Herrn Jakob (Das BAFU bestätigt, [...]) den Tatsachen oder wird der tatsächliche Sachverhalt verzerrt wiedergegeben?

Hierzu schreibt das Amt, der Anteil elektrosensibler Personen in der Bevölkerung liege je nach Studie zwischen fünf und zehn Prozent. Als elektrosensibel würden Menschen bezeichnet, die sich in ihrer Gesundheit oder ihrem Wohlbefinden durch nichtionisierende Strahlung beeinträchtigt fühlten. Bisher habe ein Zusammenhang zwischen den von betroffenen Personen genannten Beschwerden und der Belastung durch nichtionisierende Strahlung mit wissenschaftlichen Methoden nicht nachgewiesen werden können. Die Leiden elektrosensibler Menschen wären jedoch real, und es sei allgemein anerkannt, es brauche weitere Studien, um die Ursachen für die Beschwerden besser zu verstehen. Zur Unterstützung von elektrosensiblen Personen richte das Bafu zusammen mit einem universitären Institut für Hausarztmedizin eine medizinische Informations- und Beratungsstelle ein. Dieses Zentrum soll gegen Ende des Jahres 2023 einsatzbereit sein. Wer sich die Frage stellt, was die Behörden für Personen tun, die sich durch die Strahlung von Mobilfunkanlagen beeinträchtigt fühlen, den verweist das Bafu auf die Website 5g-info.ch.

Frage 3 (Qualitätssicherungssysteme für Mobilfunkanlagen): Verspräche sich das BAFU von einer "Einsicht auf die eingestellten Sendeparameter" überhaupt einen substanziellen Mehrwert für die Sicherheit der Schweizer Bevölkerung oder wäre dies aus Ihrer Sicht eher eine ABM?

Im Frühling 2005, so das Amt, habe das Bundesgericht im Entscheid 1A.160/2004 befunden, der Betrieb von Mobilfunkantennen müsse besser kontrolliert werden als bisher, insbesondere sei zu gewährleisten, dass bewilligte Sendeleistungen und Senderichtungen eingehalten werden. Um dieser Forderung des Bundesgerichts nachzukommen, habe das Bafu am 16. Januar 2006 in einem Rundschreiben die Einrichtung eines Qualitätssicherungssystems (QS-System) in den Steuerzentralen der Netzbetreiber empfohlen. Das QS-System soll durch eine unabhängige Stelle periodisch geprüft und beglaubigt werden.

Es handle sich dabei um eine Datenbank, in welcher für jede einzelne Antenne die eingestellten Werte für die Senderichtung und die maximale Sendeleistung erfasst und mindestens einmal täglich mit den bewilligten Einstellungen verglichen werden. Überschreitungen müssen innerhalb von 24 Stunden behoben werden, sofern dies durch Fernsteuerung möglich ist, andernfalls innerhalb einer Arbeitswoche. Die Vollzugsbehörden würden über alle allfälligen Überschreitungen informiert und hätten zur Kontrolle auch uneingeschränkte Einsicht in die Datenbank. Dass es sich dabei nicht um einen Online-Zugriff handelt, sei keine Überraschung. Denn im Bericht der Arbeitsgruppe «Mobilfunk und Strahlung» vom 18. November 2019 fänden sich folgende Ausführungen dazu:

«Die NIS-Fachstellen haben keinen direkten Zugriff auf die internen QS-Datenbanken der Betreiber. Sie werden aber zweimonatlich schriftlich über alle Abweichungen und deren Behebung informiert. Auf Verlangen haben die Betreiber den Behörden uneingeschränkte Einsicht in ihre Datenbanken zu gewähren. Die NIS-Fachstellen haben jedoch jederzeit die Möglichkeit, die Betriebs- und Bewilligungsdaten aller Anlagen in einer Datenbank des BAKOM einzusehen und zu kontrollieren. Die Betreiber sind verpflichtet, die Betriebsdaten für die BAKOM-Datenbank zur Verfügung zu stellen und alle zwei Wochen zu aktualisieren.» (S. 71)

Für weitere Informationen zu dem QS-System verweist das Amt auf die Websites ...
► (Bafu) Qualitätssicherung zur Einhaltung der Grenzwerte der NISV bei Mobilfunkanlagen (admin.ch)
► (Schweizer Parlament, Interpellation 21.3117) Adaptive Antennen. Wer ist beim Qualitätssicherungssystem wirklich für die Einhaltung der Grenzwerte verantwortlich?

Frage 4: Herr Jakob befürchtet offensichtlich, das Bafu werde seiner Aufsichtspflicht (NIS) nicht gerecht, da dem Amt zur Beurteilung des rechtmässigen Betriebs einer Mobilfunkanlage keine unabhängig erhobenen Daten vorliegen, sondern ausschließlich von den Mobilfunknetzbetreibern erhobene Daten. Was würden Sie dem Gigaherz-Präsidenten entgegnen?

Diese Frage ließ das Amt unbeantwortet, mutmaßlich wegen des Sachzusammenhangs der Antwort zu Frage 3.

Nachtrag vom 26.12.2023: Das Bafu hat von dem "Geheimtreffen" mit organisierten Mobilfunkgegnern einen Bericht angefertigt, der vieles klärt und von Gigaherz seit September 2023 zum Download angeboten wird. Mehr dazu mit Downloadlink hier.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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Jakob, Risikowahrnehmung, Schutzorganisation, Stakeholder, Molière

Schweiz: Geheimtreffen zwischen Bafu und Mobilfunkgegnern

H. Lamarr @, München, Freitag, 13.01.2023, 18:57 (vor 471 Tagen) @ H. Lamarr

Weil das Bafu mit seinen Antworten vor allem der Darstellung des Gigaherz-Präsidenten aus meiner Sicht zweifelsfrei widerspricht, kann ich mir ein paar Anmerkungen nicht verkneifen.

[...] Die Frage nach den Teilnehmern des Treffens ließ das Amt erwartungsgemäß unbeantwortet.

Als in Deutschland die Ärztin Waldmann-Selsam mit ihren Fallsammlungen über "Elektrosensible" die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zog, lud das Bundesamt für Strahlenschutz sie und einige weitere Mediziner der deutschen/österreichischen Anti-Mobilfunk-Szene 2006 zum Fachgespräch ein. Dieses (einmalige) Treffen wurde inklusive Teilnehmerliste auf 28 Seiten öffentlich dokumentiert.

Frage 2: Entspricht die Behauptung von Herrn Jakob (Das BAFU bestätigt, [...]) den Tatsachen oder wird der tatsächliche Sachverhalt verzerrt wiedergegeben?

[...] Bisher habe ein Zusammenhang zwischen den von betroffenen Personen genannten Beschwerden und der Belastung durch nichtionisierende Strahlung mit wissenschaftlichen Methoden nicht nachgewiesen werden können. Die Leiden elektrosensibler Menschen wären jedoch real, und es sei allgemein anerkannt, es brauche weitere Studien, um die Ursachen für die Beschwerden besser zu verstehen.[...]

Da haben wir's! Das Bafu hat den von mir anhand Jakobs Schilderung angenommenen Kausalzusammenhang zwischen Symptomen und Funkeinwirkung also nicht bestätigt und folgt damit der gängigen wissenschaftlichen Konsensmeinung. So weit, so gut. Der pauschalen Darstellung, die "Leiden elektrosensibler Menschen wären jedoch real", kann ich mich jedoch nicht kommentarlos anschließen, obwohl diese Aussage häufig auch anderswo zu lesen ist. Die Wertung mag für einige "Elektrosensible" zutreffen, jedoch nicht für alle. So halte ich Deutschlands bekanntesten "Elektrosensiblen" Uli W. für einen ausgemachten Schwindler, wie hier im Forum mehrfach nachzulesen ist. Verdächtig ist auch, dass sehr viele wenn nicht alle "Elektrosensiblen" sich mit allerlei EMF-Detektoren eindecken, um ihrer gefühlten Feldwahrnehmung mit technischen Mitteln nachzuhelfen. Die Betroffenen trainieren auf diese Weise lediglich ihr fatales Vermeidungsverhalten, das sie zum Vorteil der Geräteanbieter in dem Teufelskreis aus Angst und Vermeidung gefangen hält.

Doch was ist mit denen, die im unbeirrbaren Glauben an ihre "Elektrosensibilität" tatsächlich reale Symptome entwickeln, sobald sie sich von Funk befeldet sehen? Üblicherweise finden Mediziner bei ihnen keine körperlichen Ursachen für die Beschwerden und diagnostizieren daher in aller Regel zum Leidwesen/Ärger der Betroffenen eine "somatoforme Störung". Das Problem dabei ist, dass diese psychosomatische Diagnose überwiegend von Ärzten gestellt wird, die keine fünfjährige Ausbildung zum Facharzt für psychosomatische Medizin absolviert haben, sondern z.B. Hausärzte, Orthopäden oder Gynäkologen sind.

"Dementsprechend ist auch die Qualität der Befunde, wie eine Studie 2003 belegt", schreibt der Autor Horst Gross in seinem Artikel "Fehldiagnose 'psychosomatisch', Die spinnen doch nur!" vom 11. August 2022 auf "Deutschlandfunk Kultur". Der lesenswerte Artikel befasst sich ausführlich mit den Mängeln psychosomatischer Diagnosen und thematisiert das Bemühen der Medizin um Besserung, indem statt der Fixierung auf die Psyche der Betroffenen der Arzt ein biopsychosoziales Gesamtverständnis für seine schwierigen Patienten aufbringt. So distanzierten sich moderne psychosomatische Konzepte ausdrücklich von der Idee, dass unklare Symptome ein Hilferuf der Seele sind. "Elektrosensible" werden den Artikel wahrscheinlich als Erlösung von der diskriminierenden "Psychoschiene" interpretieren, was jedoch nur teilweise zutrifft, denn so oder so bleibt das Hirn der Hauptverdächtige. Zwar erzählt der Autor von Diagnoseverzögerungen, die vermeintlich versponnene Patientinnen erst mit bis zu drei Jahren Verspätung mit der richtigen Diagnose Hirntumor rehabilitierten und so die Hoffnung aller "Elektrosensiblen" befeuern, dass sich für ihre unerwünschte Feldwahrnehmung irgendwann eben doch eine seltene körperliche Überempfindlichkeit herausstellt. Da die Medizin viel über uns weiß aber noch längst nicht alles, kann wissenschaftlicher Fortschritt tatsächlich unvermutet eine körperliche Erklärung für "Elektrosensibilität" hervorbringen. Die Entdeckung eines bislang unbekannten Feldwahrnehmungsorgans wird es aber wohl nicht sein, eher ein Defekt im Denkapparat der Betroffenen.

Diese Sichtweise vertritt Oberarzt Stoyan Popkirov, Psychosomatiker und Neurologe am Knappschaftskrankenhaus in Bochum. Unklare Krankheitssymptome wie Schmerzen oder Lähmungen sind für ihn nicht Ausdruck einer kranken Seele, sondern eines kranken Gehirns. Eine völlig neue Sichtweise in der Psychosomatik. "Jeder Gedanke, jede Wahrnehmung, die wir haben, die wir denken, die wir empfinden, spielt sich nun mal in einem Organ ab, in dem Gehirn und in allen anderen damit verbundenen Körpersystemen", erklärt er. "Man kann das manchmal ganz genau nachvollziehen: Wie eine körperliche Verletzung zum Beispiel nach einem Autounfall zu starken Schmerzzuständen führt und sich aus einer ganz reflektorischen, normalen Schonhaltung heraus im Verlauf eine funktionelle Lähmung entwickeln kann: jenseits der bewussten Kontrolle. Aber in solchen Fällen wäre es ein Irrweg, die unmittelbare Verbindung zu vorausgegangenen Kindheitstraumata oder Ähnlichem zu suchen."

[...] Dass es sich dabei nicht um einen Online-Zugriff handelt, sei keine Überraschung. Denn im Bericht der Arbeitsgruppe «Mobilfunk und Strahlung» vom 18. November 2019 fänden sich folgende Ausführungen dazu:

«Die NIS-Fachstellen haben keinen direkten Zugriff auf die internen QS-Datenbanken der Betreiber. Sie werden aber zweimonatlich schriftlich über alle Abweichungen und deren Behebung informiert. [...]

Hätte Gigaherz-Jakob den Bericht der Arbeitsgruppe «Mobilfunk und Strahlung» vom 18. November 2019 aufmerksam gelesen, er hätte am 31. März 2022 im Treffen mit dem Bafu nichts für ihn Neues über das QS-System erfahren. Der bayerische Komiker Karl Valentin hat Jakobs Versäumnis einmal so umschrieben: "Es ist alles gesagt worden, nur noch nicht von jedem." Zudem irrt der Ex-Elektriker zu seinem Nachteil, denn die Mobilfunknetzbetreiber geben gemäß Bafu nicht alle zwei Wochen rückwirkend Auskunft, welche ihrer Mobilfunksendeanlagen mit nicht genehmigter Senderichtung oder Sendeleistung vor sich hin gestrahlt haben, sondern alle zwei Monate! Hört sich schlimm an. Da derartige Fehlfunktionen in der Schweiz jedoch nicht die hohen Immissionsgrenzwerte betreffen, sondern die niedrigen Anlagegrenzwerte, dürften die Eidgenossen auch das längere Meldeintervall ganz und gar unbeschadet überstehen, zumal Fehler so oder so in maximal einer Arbeitswoche behoben sein müssen.

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Schweizer Regierung bestätigt Existenz athermischer Wirkungen

H. Lamarr @, München, Sonntag, 15.01.2023, 00:35 (vor 470 Tagen) @ H. Lamarr

Mobilfunkkritiker und Mobilfunkgegner haben eine stark ausgeprägte selektive Risikowahrnehmung. Dies führt in der Anti-Mobilfunk-Szene häufig zu dramatisierten Meldungen, die bei Fachleuten Kopfschütteln auslösen Laien hingegen beunruhigen können. [...]

Auch Diagnose-Funk hat ein Dauerabo auf dramatisierte Meldungen, mit denen sich der Stuttgarter Verein ein übers andere Mal lächerlich macht. Derweil dies aber vorerst nur eine unbelegte Behauptung ist, füllen wir das Vakuum exemplarisch mit Fakten. Dabei stellte sich zu meiner eigenen Überraschung heraus: Der analysierte lange Beitrag der schwäbischen Mobilfunkgegner ist nicht nur wertlos, sondern von A bis Z sinnlos. Weil er auf einer Behauptung aufbaut, die sich als falsch herausstellt. Dieses Kunststück schaffen nur wenige.

Am 30. Juli 2021 klotzte Diagnose-Funk in großen Lettern:

Schweizer Regierung bestätigt Existenz nicht-thermischer Wirkungen der Strahlung.
Das Grenzwert-Dogma wackelt!

Das Schweizer Bundesamt für Umwelt (BaFu) bestätigt auf seiner Homepage athermische Wirkungen der Mobilfunkstrahlung. Damit stellt das BaFu die Schutzfunktion der geltenden Grenzwerte in Frage.

(Hinweis: nicht-thermisch und athermisch sind bedeutungsgleich.)

Wer immer auch diese albernen Zeilen auf dem Gewissen hat, er war mMn gedankenfaul, zu bequem zum Recherchieren oder borniert und deshalb aus Sicht dieser beiden Expertinnen dumm.

Was also gibt es an dem unqualifizierten Aufmacher aus Stuttgart konkret zu bemängeln?

Fangen wir mit der Schweizer Regierung an (Bundesrat). Diese bestand im Juli 2021 aus folgenden sieben Personen. Ausbildungsberuf oder Studienfach sind in Klammern gesetzt:

Viola Amherd (Jura)
Alain Berset (Politik-/Wirtschaftswissenschaften)
Ignazio Cassis (Medizin)
Karin Keller-Sutter (Dolmetscherin/Pädagogik)
Ueli Maurer (Buchhalter)
Guy Parmelin (Landwirt/Winzer)
Simonetta Sommaruga (Pianistin/Literatur)

Die Liste macht ersichtlich, da ist weit und breit niemand, der die Existenz nicht-thermischer Wirkungen von Funkstrahlung aufgrund eigener fachlicher Expertise bestätigen könnte. Dies ist auch nicht Aufgabe von Regierungsmitgliedern. Und weil dies jedem auf Anhieb einleuchtet, bis auf einen Dummkopf in Stuttgart, hat sich, wie wir gleich sehen werden, auch keiner der sieben Politiker dazu aufgeschwungen zu tun, was der Dummkopf behauptet.

Warum aber bezieht sich der Autor der Aufmacherzeilen dennoch auf die Schweizer Regierung? Meine Deutung: Dramatisieren mit fremden Autoritäten, hier mit der obersten Instanz der Exekutive eines souveränen europäischen Staates. Üblicherweise bedienen sich Populisten derartiger Tricks, um ihr Publikum zu beeindrucken (Beispiel: Titelzeile "Wir sind Papst"). Auch Diagnose-Funk arbeitet geradezu zwanghaft gerne mit dem Stilmittel der Übertreibung, bläht Lauwarmes zu Hot-Storys auf und muss es daher ertragen, schimpfe ich Sprecher des Vereins bei Vorkommnissen "Blähboys".

Nachdem der Autor des Diagnose-Funk-Beitrags in der Titelzeile seinen Drang zum Dramatisieren auf Kosten der Schweizer Regierung befriedigte hat, zaubert er im Vorspann mit dem Schweizer Bundesamt für Umwelt (Bafu) plötzlich denjenigen aus dem Hut, der sich im Gegensatz zur Regierung mit athermischen Wirkungen der Mobilfunkstrahlung tatsächlich auskennt. Da das Amt aber nur eines von vielen in der Schweiz ist, stufte es der Autor als untergeordnet ein. Ergo musste das Amt in der Titelzeile der Regierung weichen, obwohl die sieben Bundesräte mit alledem nichts am Hut haben. Unser Autor hielt es auch nicht für nötig, den unvermittelten Tausch der Regierung gegen das Amt irgendwie zu erklären. Dies werte ich als Respektlosigkeit gegenüber den Lesern, die anscheinend den Text konsumieren, nicht aber denken sollen.

Es ist also das Schweizer Bundesamt für Umwelt, das aus Sicht von Diagnose-Funk auf seiner Homepage athermische Wirkungen der Mobilfunkstrahlung bestätigt und so die Schutzfunktion der geltenden Grenzwerte in Frage stellt. Der Verein begründet seine Sichtweise mit nur zwei Absätzen aus dem umfangreichen Bafu-Beitrag. Auch heute noch sind sie im Original wortgleich zu lesen, selbstverständlich ohne die einleitenden Worte von Diagnose-Funk:

Das thermische Dogma rechtfertigt den Netzausbau

Doch das thermische Dogma wackelt. Das Schweizer Bundesamt für Umwelt (BaFu) bestätigt nun auf seiner Homepage athermische Wirkungen:

► Die thermischen Wirkungen (Wärmewirkungen wie bei Fieber) sind wissenschaftlich gut untersucht. Sie treten erst ab einer gewissen Stärke (Intensität) der Strahlung auf - ab einer Stärke, wie sie in der Umwelt normalerweise nicht vorkommt.

Aber auch unterhalb dieser Schwelle werden biologische Wirkungen beobachtet. Man bezeichnet sie manchmal als nicht-thermische Wirkungen. Wie diese ausgelöst werden und ob sie schädlich sind, wird weiterhin erforscht
[...]
► Verschiedene Studien weisen auf biologische Effekte hin, die durch Strahlung mit einer Intensität deutlich unterhalb der internationalen Grenzwerte ausgelöst werden. Derartige Effekte werden auch als nicht-thermische Wirkungen bezeichnet.

Mehr Begründung liefern die Stuttgarter nicht. Dies überrascht, denn die beiden Absätze sind unspektakulär und etablierter Stand des Wissens. Diagnose-Funk aber erweckt den Anschein, das Bafu habe bislang die Existenz athermischer Wirkungen von EMF bestritten und räume deren Existenz "nun" erst ein. Die beiden Absätze aber stützen diesen Anschein in keiner Weise.

Der Rest des langen Diagnose-Funk-Beitrags ist belangloses Geschwalle, hat mit der dramatischen Aufmachung im Beitragskopf überhaupt nichts mehr zu tun. Sinn und Zweck des Füllstoffs aus der Mottenkiste organisierter Mobilfunkgegner ist die Ablenkung der Leser von den reißerischen Behauptungen, mit denen der Autor sie zum Lesen seines spröden Beitrags verleitet hat. Wer darauf hereinfällt und in der Hoffnung auf mehr Information zum Thema weiterliest, muss sich durch ein unerträgliches Sammelsurium von vermeintlich belastenden Zitaten, Fehlinterpretation, Unterstellungen, Themaverfehlungen und selbstgefälligen Quellenangaben kämpfen – und geht am Ende doch leer aus.

Das Bafu aber hat in besagtem Beitrag deutlich mehr zu sagen, als Diagnose-Funk an seine Leser weiter gibt. Statt mit Geschwalle Meinungsmache zu betreiben redet es Klartext und straft mit folgendem Absatz die Behauptungen des Stuttgarter Vereins über das Amt Lügen:

[...] Dass es nicht-thermische Wirkungen gibt, ist also unbestritten. Wie solche Effekte zustande kommen, ist jedoch nicht bekannt. Ebenso wenig lässt sich beim heutigen Kenntnisstand sagen, ob und unter welchen Bedingungen sie zu einem Gesundheitsrisiko werden. Es ist auch unklar, wie sich die Ergebnisse aus den Rattenstudien auf den Menschen übertragen lassen. Für die Bewertung erschwerend ist, dass sich die Experimente zum Teil nicht wiederholen liessen oder dass widersprüchliche Ergebnisse vorliegen. Die Auswirkungen schwacher Hochfrequenz-Strahlung auf den Menschen müssen deshalb weiter wissenschaftlich untersucht werden. [...]

Das lassen wir uns jetzt noch einmal auf der Zunge zergehen. Diagnose-Funk erweckt den Eindruck einer spektakulären Wendung in der Schweiz. Die dortige Regierung hätte die Existenz nicht-thermischer EMF-Wirkungen bestätigt. Diese Behauptung ergibt nur einen Sinn, wenn die Regierung die Existenz nicht-thermischer EMF-Wirkungen zuvor bestritten hätte. Hat sie aber nicht! Weiter behauptet Diagnose-Funk, wegen der in der Schweiz "nun" bestätigten Existenz nicht-thermischer EMF-Wirkungen würde das "thermische Dogma" wackeln. Da aber weder der Bundesrat noch das Bafu die Existenz nicht-thermischer EMF-Wirkungen "nun" bestätigen konnten, eben weil diese Wirkungen schon seit eh und je unbestritten sind, kann das thermische Dogma nicht wackeln.

Wie es aussieht versucht Diagnose-Funk mit einer erfundenen Behauptung den Insassen seiner Echokammer weis zu machen, das "thermische Dogma" sei erschüttert. Der Begriff "thermisches Dogma" besagt, gesundheitlich relevante Wirkungen einer HF-EMF-Exposition könnten allein durch die Wärmewirkung von Funkfeldern entstehen. Google spuckt dazu gegenwärtig 33 Treffer aus, von Rang und Namen oder gar Wissenschaftliches ist nicht dabei. Dies liegt daran, dass die Vokabel nahezu ausschließlich in den Echokammern der Anti-Mobilfunk-Szene kursiert.

Jetzt fehlen zum Abschluss nur noch Belege für meine Behauptung, nicht-thermische EMF-Wirkungen seien schon seit eh und je unbestritten. Einen Beleg liefert Michael Repacholi, der Icnirp-Ehrenvorsitzende und ehemalige EMF-Forschungskoordinator der WHO. Ihn fragte 2013 Alexander Lerchl fürs IZgMF: "Seit eh und je wird Icnirp von Mobilfunkgegnern vorgeworfen, sie leugne athermische Effekte. Was meinen Sie dazu, leugnet Icnirp oder wird sie nur missverstanden?" Repacholi antwortete: "Icnirp leugnet keine gesundheitsschädlichen athermischen Effekte, sondern ist überzeugt, dass es keine derartigen Effekte gibt." Ähnliche Äußerungen gibt es viele. Entscheidend ist: Nicht athermische Effekte werden abgestritten, sondern athermische Effekte mit nachweislich gesundheitlichen Wirkungen. Mobilfunkgegner lassen diese Differenzierung in aller Regel weg und behaupten gerne, ihre Gegenspieler würden athermische Effekte samt und sonders leugnen. Ob diese Verkürzung aus Unkenntnis geschieht oder mit voller Absicht bleibt im Dunkeln.

Der älteste Beleg für meine Behauptung stammt aus dem Jahr 1979. Damals publizierte Jürgen Bernhardt (der von 1992 bis 2004 Icnirp-Mitglied war mit einer Amtsperiode als Vorsitzender) in der Zeitschrift für Naturforschung (34c, 616-627) seinen Artikel "Biologische Wirkungen elektromagnetischer Felder". Kapitel IV. Nichtthermische Wirkungen beginnt er mit den Worten:

Von den nichtthermischen Effekten sind felderzeugte Kräfte und felderzeugte Potentialdifferenzen am besten untersucht worden. Auf diese beiden Phänomene wird in diesem Kapitel ausführlicher eingegangen.

Ja, auch wenn es für die meisten Mobilfunkgegner unbegreiflich ist, athermische EMF-Wirkungen, treten nicht nur unterhalb der von Icnirp empfohlenen Referenzwerte auf, sondern auch oberhalb (Kraftwirkungen). Aber das ist wieder eine andere Geschichte ...

Hintergrund
Das angebliche Bestreiten athermischer Effekte (2009, nur für registrierte Teilnehmer erreichbar)
Athermische Effekte: Was ist das eigentlich? (2009)
Enders über athermische Effekte: Es gibt wichtigere Risiken (2021)
Es gibt keine athermischen Effekte von Mobilfunk ... (2020)
Athermische Effekte: WHO bereitet Befreiungsschlag vor (2022)
Rodney Croft widerspricht "Schwarmwissen" über Icnirp (2022)
Wie Mobilfunkgegner mit Erwin Schliephake Ängste schüren (2019)
Viele athermische Effekte sind nur vermeintlich athermisch (2014)
mehr ...

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Dummheit, Leugner, Gerücht, Dogma, Illusion, Wahrheitsgehalt, Echokammer, Blähboy, Konditionierung, Athermisch

Münchhausen: Icnirp ist keine Unterorganisation der WHO

H. Lamarr @, München, Montag, 16.01.2023, 21:45 (vor 468 Tagen) @ H. Lamarr

Das lassen wir uns jetzt noch einmal auf der Zunge zergehen. Diagnose-Funk erweckt den Eindruck einer spektakulären Wendung in der Schweiz. Die dortige Regierung hätte die Existenz nicht-thermischer EMF-Wirkungen bestätigt. Diese Behauptung ergibt nur einen Sinn, wenn die Regierung die Existenz nicht-thermischer EMF-Wirkungen zuvor bestritten hätte. Hat sie aber nicht! Weiter behauptet Diagnose-Funk, wegen der in der Schweiz "nun" bestätigten Existenz nicht-thermischer EMF-Wirkungen würde das "thermische Dogma" wackeln. Da aber weder der Bundesrat noch das Bafu die Existenz nicht-thermischer EMF-Wirkungen "nun" bestätigen konnten, eben weil diese Wirkungen schon seit eh und je unbestritten sind, kann das thermische Dogma nicht wackeln.

Wie es aussieht versucht Diagnose-Funk mit einer erfundenen Behauptung den Insassen seiner Echokammer weis zu machen, das "thermische Dogma" sei erschüttert.

Der Autor des Diagnose-Funk-Beitrags ist nicht der erste Mobilfunkgegner, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen will. Gigaherz-Präsident Jakob landete schon zur Jahrtausendwende einen ähnlichen Coup, indem er völlig belegfrei öffentlich behaupte, Icnirp gebe sich als "Unterorganisation der WHO" aus und dann bei dem damaligen Uno-Generalsekretär Kofi Annan nachfragte, ob dies stimme. Jakobs Anfrage wurde dann zuständigkeitshalber von einem Sachbearbeiter der WHO beantwortet, der ihm mitteilte, Icnirp sei keine Unterorganisation der WHO. Jakob überschlug sich damals geradezu, diese Auskunft in der Szene als Sensationsmeldung zu verbreiten. Dass er einem selbst fabrizierten Zirkelschluss aufgesessen ist und die WHO gar nicht anders konnte, als seine Unterstellung zu verneinen, kapierte der Ex-Elektriker nicht. Erzählt habe ich diese kuriose Geschichte erstmals hier. Ich habe seinerzeit aufwendig recherchiert und u.a. Auskünfte von Icnirp zu Jakobs Vorwürfen bekommen. Eine Auskunft war z.B., dass Icnirp nie und nirgends Genf als Sitz des Vereins genannt hat, wie von Jakob behauptet. Die Prüfung alter Icnirp-Auftritte im Web-Archiv bestätigte diese Auskunft ausnahmslos. Aus Zeitmangel lagern diese und weitere Details leider noch immer unausgewertet im IZgMF-Archiv.

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