Strengere EMF-Grenzwerte beruhigen Bevölkerung nicht (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 06.05.2022, 01:40 (vor 740 Tagen)

Die Europäische Bürgerinitiative (EBI) "Stop 5G" ermöglicht ungewollt Betrachtungen, die sonst nur eingeschränkt oder mit größerem Aufwand möglich wären. Beispielsweise die Betrachtung, ob in der EU die Unterstützungsbekundungen für die EBI "Stop 5G" in den EU-Ländern geringer ausfallen, in denen nicht die Icnirp-Grenzwerte gelten, sondern strengere Grenzwerte.

In Ländern mit politisch verordneten strengeren EMF-Vorsorgrenzwerten sind irrationale Ängste gegenüber 5G weniger stark verbreitet als in Ländern mit den wissenschaftlich begründeten jedoch höheren Icnirp-Gefährdungsgrenzwerten. Möchte man meinen ...

Dass an dieser Hypothese etwas nicht stimmen kann, zeigt die Schweiz. Dort gelten seit mehr als 20 Jahren "Anlagegrenzwerte", welche die Immission durch elektromagnetische HF-Felder z.B. in Wohnräumen und Arbeitszimmern auf zehn Prozent der Icnirp-Grenzwerte begrenzen (bezogen auf die Feldstärke). Diese Vorsorgewerte konnten die Mobilfunkdebatte in dem Alpenstaat jedoch nicht befrieden. Das Gegenteil trat ein. Die Eidgenossen sind in der Frage, ob von Funkwellen ein Gesundheitsrisiko ausgeht, mehr denn je zerstritten und protestieren energisch gegen geplante neue Funkmasten.

Mit der EBI "Stop 5G" ergibt sich jetzt die Gelegenheit, ohne großen Aufwand zu prüfen, ob die Schweiz in Europa ein Ausnahmefall ist, oder ob in anderen europäischen Ländern mit niedrigen EMF-Grenzwerten die Bevölkerung ebenfalls noch auffällig stark besorgt ist. Das Bild zeigt das Ergebnis dieser Schnellprüfung.

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In der EU-Landkarte haben die hellblau markierten Länder die Icnirp-Grenzwerte, die sechs Länder mit niedrigeren Grenzwerten sind gelb, orange und rot markiert. Die Karte habe ich dieser Studie aus dem Fundus der EU-Kommission entnommen (Chountala et al, 2021).

Die Tabelle rechts im Bild ist ein Eigengewächs des IZgMF, das den Zuspruch der Bevölkerung in den 27 EU-Staaten für die EBI "Stop 5G" wiedergibt. Je weiter oben ein Land in der Tabelle zu finden ist, desto größer ist in dem Land der Zuspruch für die Forderung der EBI nach einem 5G-Moratorium. Die Tabelle ist identisch mit der hier abgebildeten Tabelle 3 (Geordnet nach Prozentsatz), dort erfährt man auch, was es mit dem mysteriösen Prozentsatz auf sich hat. Zu beachten ist: Die Tabelle zeigt den Stand nach zwei von zwölf Monaten Laufzeit der EBI, also gegenwärtig noch nicht das Endergebnis der Sammlung von Unterschriften. Kommende monatlich dokumentierte Zwischenergebnisse über den weiteren Verlauf der EBI bis hin zum Endstand können jedoch von jedem selbst in Zusammenhang mit der abgebildeten EU-Landkarte gebracht werden.

Die sechs Länder mit strengeren Grenzwerten als Icnirp sind in der Tabelle gelb markiert, diese Farbgebung dient allein der Hervorhebung, mit den Farben der Landkarte hat sie nichts zu tun.

Ergebnis: Die sechs Länder mit strengeren Grenzwerten als Icnirp rangieren in der Tabelle nicht unten (wenig Zuspruch für die EBI), sondern oben (viel Zuspruch). Viel Zuspruch für die EBI deutet darauf hin, dass in der jeweiligen Bevölkerung irrationale Ängste gegenüber 5G stärker verbreitet sind als in Ländern mit schwachem Zuspruch. Wegen der oberen Platzierungen der sechs Länder darf daher die Behauptung, strengere EMF-Grenzwerte führen nicht zu einer Befriedung der Mobilfunkdebatte, unter Vorbehalt (Endergebnis abwarten) als gesichert gelten. Plakativ gestützt wird dieses Ergebnis von Nachbarländern mit unterschiedlichen Grenzwerten, wenn deren Platzierungen in der Tabelle weit auseinander liegen, wie dies bei Rumänien (obere Platzierung, strengerer Grenzwert) und Bulgarien (untere Platzierung, Icnirp-Grenzwert) der Fall ist (Nachtrag: Bitte Berichtigung im Folgeposting beachten!).

Unbeantwortet bleibt die Frage, warum Vorsorgegrenzwerte die Bevölkerung eher beunruhigen als beruhigen. Mein Verdacht: In "Informationsgesellschaften" können mit Hilfe des Internets auch kleine Interessengruppen mit materiellen/immateriellen Motiven große Wirkung erzielen, wenn es ihnen gelingt, irrationale Ängste zu schüren. Der Verdacht würde zur Gewissheit, ließe sich objektiv ermitteln, ob z.B. in Rumänien solche Interessengruppen aktiver sind als in Bulgarien. Möglicherweise wären Soziologen dafür die richtigen Leute.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Grenzwerte, Moratorium, Europäische Bürgerinitiative, Fornea, Anlagegrenzwerte, Rumänien

Berichtigung: Bulgarien und Rumänien vertauscht

H. Lamarr @, München, Freitag, 06.05.2022, 13:22 (vor 740 Tagen) @ H. Lamarr

Plakativ gestützt wird dieses Ergebnis von Nachbarländern mit unterschiedlichen Grenzwerten, wenn deren Platzierungen in der Tabelle weit auseinander liegen, wie dies bei Rumänien (obere Platzierung, strengerer Grenzwert) und Bulgarien (untere Platzierung, Icnirp-Grenzwert) der Fall ist.

Ein aufmerksamer Forum-Besucher hat es entdeckt: In der Tabelle habe ich Rumänien gelb markiert und damit fälschlich zu einem Land mit strengeren EMF-Grenzwerten erklärt. Richtig muss in der Tabelle aber nicht Rumänien gelb markiert sein, sondern das südliche Nachbarland Bulgarien (in der Karte rot markiert). Wegen dieses Fehlers ist auch die oben zitierte Textpassage unzutreffend und damit hinfällig.

Von den sechs Ländern mit strengen EMF-Grenzwerten ist Bulgarien damit das einzige Land, das die eingangs formulierte Hypothese bestätigt, wonach strengere Grenzwerte die Bevölkerung beruhigen. Ob dies auch noch zutrifft, wenn das Endergebnis der EBI "Stop 5G" vorliegt, werden wir in zehn Monaten erfahren.

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– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Grenzwerte, Rumänien, Bulgarien

Strengere EMF-Grenzwerte beruhigen Bevölkerung nicht (II)

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 08.06.2022, 01:13 (vor 707 Tagen) @ H. Lamarr

Ergebnis: Die sechs Länder mit strengeren Grenzwerten als Icnirp rangieren in der Tabelle nicht unten (wenig Zuspruch für die EBI), sondern oben (viel Zuspruch). Viel Zuspruch für die EBI deutet darauf hin, dass in der jeweiligen Bevölkerung irrationale Ängste gegenüber 5G stärker verbreitet sind als in Ländern mit schwachem Zuspruch. Wegen der oberen Platzierungen der sechs Länder darf daher die Behauptung, strengere EMF-Grenzwerte führen nicht zu einer Befriedung der Mobilfunkdebatte, unter Vorbehalt (Endergebnis abwarten) als gesichert gelten.

[image]Nach drei (von zwölf) Monaten Laufzeit der EBI "Stop 5G" habe ich wieder die sechs Länder mit strengeren Grenzwerten als Icnirp in der Tabelle der Schwellenwerterreichung gelb markiert. Diesmal richtig. Zusätzlich habe ich den Median der momentanen Schwellenwerterreichung (3,69 Prozent) rot markiert. Vier der Länder liegen über dem Median (Bevölkerung eher besorgt wegen EMF), zwei darunter (Bevölkerung eher unbesorgt).

Die schwache Resonanz der EBI "Stop 5G" in Italien passt nicht ins Bild, das das Land in Bezug auf irrationale EMF-Ängste abgibt. Vor rd. einem Jahr plante die italienische Regierung eine Lockerung der strengen EMF-Grenzwerte, was im Land organisierte Empörung auslöste. Seither ist der Plan wieder vom Tisch. An einem Stopp von 5G scheinen die Italiener jedoch bislang unerwartet wenig Interesse zu haben. Aber: Wie hier in Bild 4 zu sehen ist, leidet die stetig steigende Zuwachskurve der Italiener nur unter kurzen Stagnationsphasen, so dass anzunehmen ist, Italien wird bis zum 1. März 2023 in der Tabelle über den Median hinaus klettern und die Erwartung "Bevölkerung eher besorgt wegen EMF" noch erfüllen, wenn auch nicht auf einem der vorderen Plätze. Bulgarien hingegen wird mit Sicherheit unter dem Median bleiben.
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