Faktencheck: Mehr Sendemasten durch Vorsorgewerte? (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Samstag, 29.12.2018, 23:45 (vor 1946 Tagen)

Fakt: Die Mobilfunknetzbetreiber der Schweiz behaupten häufig, die im Vergleich zu anderen Ländern 10-mal tieferen Vorsorgewerte (bezogen auf die Feldstärke) kämen sie teuer zu stehen, denn sie müssten deutlich mehr Sendemasten errichten, als andere Netzbetreiber. Für diese Behauptung gibt es gute Gründe, sie könnte aber auch eine Schutzbehauptung sein, um die Schweizer Vorsorgewerte los zu werden. Dies wäre nachvollziehbar, denn am Ende unseres Faktenchecks zeigt eine Überschlagsrechnung: Gäbe es den Schweizer Vorsorgewert in Deutschland, er hätte deutsche Netzbetreiber bis Ende 2016 mindestens 17 Milliarden Euro gekostet!

Faktencheck

Der folgende Faktencheck beruht auf einem Vergleich zwischen der Senderdichte in Deutschland und der Schweiz. Dies ist wegen der topgrafischen Unterschiede beider Länder nicht ganz korrekt, die Schweiz ist wegen ihrer Lage in den Bergen schwieriger mit Mobilfunk zu versorgen. Immerhin hat auch Deutschland mit den Voralpen und den Mittelgebirgen ähnliche Regionen und auch die Bevölkerungsdichte ist ähnlich, ein grober Vergleich sollte daher zulässig sein. Da die Anzahl der Mobilfunksendemasten in beiden Ländern nicht kommuniziert wird, kommt ersatzweise die bekannte Anzahl der Mobilfunkstandorte zum Zuge.

Ausgangsdaten

Schweiz
Fläche: 41'285 km²
Anzahl Mobilfunkstandorte: 18'252 (Ende 2016)
Standortdichte: 0,442 Standort/km² (berechnet)
Bevölkerungsdichte: 205/km²

Deutschland
Fläche: 357'578 km²
Anzahl Mobilfunkstandorte: 74'155 (Ende 2016)
Standortdichte: 0,207 Standort/km² (berechnet)
Bevölkerungsdichte: 232/km²

Ergebnis

Wird die deutsche Standortdichte von 0,207 Standort/km² auf die Fläche der Schweiz angewendet, resultieren daraus 8'561 Mobilfunkstandorte. Tatsächlich hat die Schweiz jedoch gut doppelt so viele Standorte (18'252). Der Faktencheck bestätigt damit die Behauptung, tiefe Vorsorgewerte würden zu deutlich mehr Sendemasten führen.

Dreht man den Spieß um und wendet die schweizer Standortdichte von 0,442 Standort/km² auf Deutschland an, hätten wir hierzulande nicht 74'155 Mobilfunkstandorte, sondern 158'084. Nimmt man jetzt sehr konservativ an, dass ein Standort im Mittel 200'000 Euro Investitionskosten mit sich bringt, dann haben die deutschen Netzbetreiber durch den Verzicht Deutschlands auf einen Vorsorgewert 83'929 Mobilfunkstandorte nicht errichten müssen und dadurch 16,8 Mrd. Euro eingespart. Zu diesem stattlichen Betrag kommen noch die eingesparten jährlichen Mietkosten hinzu.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Faktencheck, Vergleich, Schutzbehauptung, Bevölkerungsdichte

Verzicht auf EMF-Vorsorgewerte bringt 2,6 Mrd. € mehr Gewinn

H. Lamarr @, München, Mittwoch, 02.01.2019, 21:57 (vor 1943 Tagen) @ H. Lamarr

Schweiz
Fläche: 41'285 km²
Anzahl Mobilfunkstandorte: 18'252 (Ende 2016)
Standortdichte: 0,442 Standort/km² (berechnet)
Bevölkerungsdichte: 205/km²
[...]

Ergebnis

[...]

Dreht man den Spieß um und wendet die schweizer Standortdichte von 0,442 Standort/km² auf Deutschland an, hätten wir hierzulande nicht 74'155 Mobilfunkstandorte, sondern 158'084. Nimmt man jetzt sehr konservativ an, dass ein Standort im Mittel 200'000 Euro Investitionskosten mit sich bringt, dann haben die deutschen Netzbetreiber durch den Verzicht Deutschlands auf einen Vorsorgewert 83'929 Mobilfunkstandorte nicht errichten müssen und dadurch 16,8 Mrd. Euro eingespart. Zu diesem stattlichen Betrag kommen noch die eingesparten jährlichen Mietkosten hinzu.

Wenn die deutschen Netzbetreiber überschlägig betrachtet rd. 17 Mrd. Euro eingespart haben, weil die deutsche Bundesregierung auf die verpflichtende Einführung von Anlagegrenzwerten nach schweizer Muster verzichtet hat, wie sieht es dann bei den Österreichern aus, die ebenfalls ohne Vorsorgewerte auskommen?

Kommt, schauen wir mal nach!

Österreich
Fläche: 83'879 km²
Anzahl Mobilfunkstandorte: 11'000 (Ende 2016; Ergebnis einer Anfrage beim FMK)
Standortdichte: 0,131 Standort/km² (berechnet)
Bevölkerungsdichte: 105/km²

Mit der schweizer Standortdichte von 0,442 Standort/km² gerechnet, gäbe es in Österreich nicht rd. 11'000 Mobilfunkstandorte, sondern rd. 37'000. Den Netzbetreibern Österreichs blieb also der Bau von 26'000 Mobilfunkstandorten erspart. Da aber die Bevölkerungsdichte in Österreich nur rd. halb so groß ist wie in der Schweiz, berücksichtigen wir dies mit dem Reduzierungsfaktor von 1/2=0,5 für die Anzahl der eingesparten Standorte. Denn bei weniger potenziellen Teilnehmern pro Funkzelle gerät eine Zelle weniger schnell an ihre Kapazitätsgrenze (weniger Handlungsdruck für Einrichtung einer Entlastungsfunkzelle). Bleiben immerhin noch 26'000 x 0,5 = 13'000 eingesparte Standorte übrig. Mit der konservativen Annahme, ein Standort koste einen Netzbetreiber im Mittel 200'000 Euro, lässt sich die Einsparung durch den Verzicht auf Vorsorgewerte in Österreich auf mindestens 2,6 Mrd. Euro beziffern.

Weil Zahlenwerte gerne eine vermeintlich hohe Beweiskraft ausstrahlen, hier noch einmal explizit der Hinweis, dass es sich bei der genannten Einsparung nur um eine überschlägige Berechnung mit unbekanntem Fehlerausmaß handelt!

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Faktencheck: Spottbillige UMTS-Lizenzen für Schweizer

H. Lamarr @, München, Montag, 14.01.2019, 22:31 (vor 1931 Tagen) @ H. Lamarr

Wird die deutsche Standortdichte von 0,207 Standort/km² auf die Fläche der Schweiz angewendet, resultieren daraus 8'561 Mobilfunkstandorte. Tatsächlich hat die Schweiz jedoch gut doppelt so viele Standorte (18'252). Der Faktencheck bestätigt damit die Behauptung, tiefe Vorsorgewerte würden zu deutlich mehr Sendemasten führen.

Die hohe Standortdichte in der Schweiz beschert den dortigen Netzbetreibern regelmäßig die Spitzenplätze für die Netzqualität in den D-A-CH-Ländern. Doch wie konnten sich die Netzbetreiber in der Schweiz die gegenüber Deutschland doppelt so hohe Standortdichte für Mobilfunksender finanziell leisten?

Eine Erklärung geben die Lizenzen für UMTS, die um 2000 herum in Europa versteigert wurden. Seinerzeit gab es von Land zu Land gravierende Unterschiede, wie tief die Netzbetreiber in die Tasche greifen mussten. Die Schweizer kamen damals im Vergleich zu Deutschland und Österreich äußerst günstig davon:

UMTS-Lizenzkosten pro Einwohner (Quelle)
Spanien: 13 Euro
Schweiz: 18 Euro
Polen: 50 Euro
Österreich: 102 Euro
Italien: 239 Euro
Deutschland: 619 Euro
Großbritannien: 654 Euro

Die Schweiz und Österreich haben je etwa 8 Mio. Einwohner, Deutschland 10-mal mehr. Deutsche Netzbetreiber mussten rd. 34-mal mehr (rd. 50 Mrd. Euro) für die Lizenzen zahlen als die Schweizer (144 Mio. Euro) und immerhin noch rd. 6-mal mehr als die Österreicher (816 Mio. Euro), die ihrerseits rd. 5,6-mal mehr hinblättern mussten als die Schweizer.

Die im Vergleich zu Deutschland spottbillig erworbenen UMTS-Lizenzen hielten den Schweizern den Rücken frei, die wegen der EMF-Vorsorgewerte höhere Standortdichte im Alpenstaat zu finanzieren. Deutschen Netzbetreibern kamen die UMTS-Lizenzen 34-mal teurer zu stehen, dafür kommen sie wegen des Verzichts auf schweizer EMF-Vorsorgewerte mit der halben Standortdichte aus.

Den größten Reibach aber machten die Netzbetreiber in Spanien: Obwohl dort, von einigen Provinzen mit Faktor 1,5 niedrigeren Grenzwerten abgesehen, die ICNIRP-Grenzwerte der EU-Ratsempfehlung gelten, mussten sie dennoch nur 13 Euro pro Einwohner für die UMTS-Lizenzen berappen.

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Tags:
Vergleich, Lizenz

Andere Quelle spricht von 28'000 zusätzlichen Standorten

H. Lamarr @, München, Montag, 11.02.2019, 12:54 (vor 1903 Tagen) @ H. Lamarr

Dreht man den Spieß um und wendet die schweizer Standortdichte von 0,442 Standort/km² auf Deutschland an, hätten wir hierzulande nicht 74'155 Mobilfunkstandorte, sondern 158'084.

Der Verband der Anbieter von Telekommunikations und Mehrwertdiensten e. V., Berlin, kam 2013 zu einer erheblich niedrigeren Anzahl zusätzlicher Standorte in Deutschland, würden auch hierzulande die schweizer Vorsorgewerte gelten:

Überträgt man diese Ergebnisse [Anm. spatenpauli: Eine Untersuchung, wie sich eine Grenzwertsenkung auf 1/10 in Brüssel auswirken würde] auf die Gesamtzahl der Mobilfunkstandorte in Deutschland, so würde dies bei einer Zahl von etwa 69'500 Mobilfunkstandorten (Quelle: BNetzA, Stand: Mai 2011) fast 28'000 neue Standorte bedeuten.

Leider ist die hier verlinkte Quelle versiegt, eine schnelle Klärung der Differenz dadurch nicht möglich.

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