Baubiologe Jörn Gutbier: "Das BfS lügt" (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 11.07.2021, 13:21 (vor 1037 Tagen) @ KlaKla

Gleich zu Anfang wird klargestellt, mit wem man es zu tun hat. Ein freier Architekt, der eine Weiterbildung zum Baubiologen IBN gemacht hat.

Naja, ob die private "Weiterbildung" zum sogenannten Baubiologen die beruflichen Qualifikationen Gutbiers erweitert haben, sei mal dahingestellt. Denn auch 2021 ist "Baubiologe" noch immer kein anerkannter Ausbildungsberuf, sondern eher kommerziell motivierter Zeitvertreib für Quereinsteiger.

Anfangs eher brav und friedlich wagt sich der Diagnose-Funker seit ein paar Jahren angriffslustig zunehmend weiter vor. In dem oben verlinkten Interview mit der taz behauptet er z.B. 2019 frech wie Oskar, "Das BfS lügt". Was bezweckt Gutbier mit seinem knalligen Vorwurf?

In seinem Essay "Bullshit" schildert der US-amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt eine ähnliche Begebenheit, die bei der Deutung hilft:

[...] Man denke etwa an einen Redner, der sich am Nationalfeiertag in bombastischen Worten über »unser großartiges und gesegnetes Land« ergeht, »dessen Gründerväter unter Gottes Führung eine neue Ära für die Menschheit eingeläutet haben«. Das ist natürlich Humbug. Wie sich aus Blacks Darstellung ergibt, kann man nicht behaupten, der Redner lüge. Er würde nur dann lügen, wenn er die Zuhörer etwas glauben machen wollte, das er selbst nicht glaubt: daß unser Land groß und gesegnet sei, daß die Gründerväter unter göttlicher Führung gehandelt hätten oder daß ihnen ein Neuanfang für die Menschheit zu verdanken sei. Doch dem Redner ist es nicht wirklich wichtig, was seine Zuhörer über die Gründerväter, über die Rolle Gottes in der Geschichte unseres Landes und dergleichen denken. Zumindest wird seine Rede nicht dadurch motiviert, was irgend jemand über diese Dinge denkt oder nicht denkt.

Natürlich ist die Ansprache zum 4. Juli nicht maßgeblich deshalb Humbug, weil der Redner seine Behauptungen für falsch hielte. Wie sich aus Blacks Darstellung ergibt, möchte der Redner mit diesen Behauptungen einen bestimmten Eindruck von sich selbst erwecken. Er versucht nicht, seine Zuhörer hinsichtlich der amerikanischen Geschichte zu täuschen. Ihm geht es vielmehr darum, was die Menschen über ihn denken. Er möchte, daß sie ihn für einen Patrioten halten, für jemanden, der tiefgründige Gedanken und Gefühle über den Ursprung und die »Mission« unseres Landes hegt, der die bedeutende Rolle der Religion würdigt und empfänglich für die großartigen Momente unserer Geschichte ist [...].

Folgt man Frankfurt, ist also Gutbiers Drang zur Selbstdarstellung sein Motiv, den Humbug oder Bullshit zu verbreiten, mit dem er glaubt, in der Anti-Mobilfunk-Szene Eindruck zu machen und als Wortführer anerkannt zu werden. Das in der Szene äußerst beliebte Kampfmittel des "Offenen Briefes" an irgendwelche staatlichen oder institutionelle Autoritäten passt nahtlos zu dieser Deutung. Auch hier geht es den Autoren nicht um Inhalte (die aus meiner Sicht ohnehin ausnahmslos eine grotesk alarmistische Wahrnehmungsverzerrung dokumentieren), sondern um die Aufwertung der eigenen Person als tatkräftigen Aktivisten, die sich nicht scheut, "denen da oben" mutig die Meinung zu sagen. Das Musterbeispiel eines solchen Zwergs, der in der Abendsonne lange Schatten wirft, ist hier kurz beschrieben.

Gutbier genügen beispielsweise schon drei Buchstaben, um sich als mächtig zu präsentieren. Auf einen Einwand des Interviewers, Fiorella Belpoggio habe "allerdings nur mit Ratten geforscht", antwortet er:

Ja, mit 2.000 Ratten. Wir können ja schlecht Menschen bestrahlen.

Mit dem unscheinbaren Personalpronomen "wir" reiht Gutbier sich klammheimlich in die Gilde der Wissenschaftler ein, die experimentelle Forschung mit Funkfeldern betreiben. Klar, das ist nur eine beiläufig freigesetzte Schaumflocke penetranter Selbstdarstellung, denn Gutbier hat mit Wissenschaft so viel zu tun wie eine Kuh mit einer Fruchtfliege (siehe Screenshot).

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Wer im Glashaus sitzt, so heißt es, sollte nicht mit Steinen werfen. Dass das BfS ihm seine Steine zurückwirft, muss Gutbier indes nicht fürchten. Denn das Amt nimmt Anwürfe wie die des Diagnose-Funkers mit der stoischen Gelassenheit eines Bären hin, in dessen Fell sich eine Laus eingenistet hat. Nein, Glashausbewohner Gutbier muss sich selbst fürchten, denn mindestens einen Stein warf er senkrecht hoch, als er im Zusammenhang mit der NTP-Studie behauptete:

[...] Umgehend hat die Mobilfunkindustrie versucht diese Ergebnisse wieder einzufangen. Die Studie ist dann von einem 14-köpfigen Experten-Panel überprüft und als den wissenschaftlichen Standards entsprechend bestätigt worden. Jetzt wird weiterhin die Aussagekraft bestritten, weil die benutzten Leistungen zu hoch gewesen wären. Bloß hatte gleichzeitig eine italienische Studie des Istituto Ramazzini mit sehr niedrigen Frequenzen gearbeitet, und die gleichen Ergebnisse geliefert: Mobilfunkstrahlung ist in der Lage Krebs auszulösen. [...]

Den herabstürzenden Stein überlesen? Nun, im Zusammenhang mit Ramazzini verwechselt Gutbier die einwirkende Exposition (elektrische Feldstärke) mit "niedriger Frequenz". Sollte er dies tatsächlich so gesagt haben, ist dies ein böser Schnitzer, der auf flüchtig angelesene Scheinkompetenz hindeutet, wie sie bei selbst ernannten Experten häufig anzutreffen ist. Schade, dass der Interviewer Gutbiers Fehler anscheinend nicht bemerkte und nach hakte. Immerhin erklärt der Ausrutscher schlüssig, warum das BfS Gutbiers Angriffe weder fürchtet noch beachtet, sondern kommentarlos über sich ergehen lässt.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Gutbier, Bullshit, Scheinriese, Kompetenzgefälle, Ramazzini, Belpoggi, Plurv, Pseudo-Experte


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