Die Angst der Gemeinderäte vor Mobilfunksendemasten (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Freitag, 11.01.2019, 21:02 (vor 1934 Tagen)

Die Angst des Torwarts vorm Elfmeter ist hinlänglich bekannt, nicht aber die Angst des Gemeinderats vorm Mobilfunksendemast. Ein Torwart hat keine Wahl, er muss hechten. Gemeinderäte müssen nicht hechten, sie können sich drücken und die Antwort auf die Gretchenfrage "Sendemast: Ja oder Nein?" dem Souverän aufhalsen. Aus meiner Sicht eine schlechte Idee, denn was Hans nicht kann, kann Hänschen erst recht nicht.

Zuletzt häuften sich in den Medien wieder Meldungen (Beispiele), denen zufolge Gemeinden ihren geschätzten Bürgern die Aufgabe zuschanzen, in Bürgerentscheiden oder Ähnlichem darüber zu befinden, ob ein Sendemast an einem geplanten Standort errichtet werden soll – oder eben nicht. Aus Sicht des IZgMF krankt diese Spielart der "Basisdemokratie" an mehreren Leiden und ist deshalb nicht das, was das Land braucht. Das Land braucht selbstbewusste kompetente Gemeinderäte, die auch den Mut zu unpopulären aber richtigen Entscheidungen haben.

Das kommunale Elektrosmog-Stück wird regelmäßig in einer von zwei Varianten in wechselnder Besetzung aufgeführt, im Süden der Republik häufiger, im Norden seltener. Die folgenden Variantenbeschreibungen sind gegenüber der Realität vereinfacht und überspitzt, nur um das Wesentliche besser sichtbar zu machen:

Variante 1: Ein Mobilfunknetzbetreiber informiert eine Gemeinde, er wolle innerhalb eines benannten Suchkreises einen Mobilfunksendemast errichten. Die Gemeinde hat mehrheitlich vernünftige Bürger, einen starken Gemeinderat und im Idealfall im Suchkreis eine Liegenschaft, für die sie dem Netzbetreiber Nutzungsrechte gegen Bezahlung einräumt. Dann haben alle in der Gemeinde etwas von den Mieteinnahmen. Anderenfalls muss der Netzbetreiber versuchen, einen privaten Standortvermieter im Suchkreis zu finden. Weil die Bürger mehrheitlich vernünftig sind, geht es so oder so ohne Gezeter ab, der Standort wird errichtet und nimmt den Betrieb auf. Sollten einige Bürger dennoch einen Aufstand wagen, werden sie vom starken Gemeinderat frei nach Dieter Nuhr schnell in die Schranken verwiesen. Bundesverkehrsminister Scheuer ist diese Variante des Stücks am liebsten, es flutscht alles wie geschmiert und die Netzverdichtung schreitet zügig voran.

Variante 2: Wie Variante 1 mit dem einzigen Unterschied, dass in der Gemeinde unvernünftige Bürger die Oberhand haben und der Gemeinderat schwach ist. Dann beginnt zur großen Freude lokaler Medien ein meist lang andauerndes Gewürge um den Standort. Eine rasch gegründete Bürgerwehr googelt sich zuerst im ergiebigen Internet wahllos auch dumme Argumente gegen einen Sendemasten zusammen. Dann organisiert sie eine sogenannte Informationsveranstaltung mit Referenten aus einschlägig bekannten Anti-Mobilfunk-Kreisen, die geübt Elektrosmog-Ängste schüren. Der Gemeinderat zeigt sich von dem Widerstand beeindruckt. Bestenfalls bringt er noch eine zweite Informationsveranstaltung mit fachlich kompetenten Referenten auf den Weg. Doch dieser Rettungsversuch ist meist vergebens, denn Menschen treffen Entscheidungen bevorzugt mit dem Bauch, weniger mit Hirn. Die Situation wäre durch ein unpopuläres Machtwort des Gemeinderates zu retten, doch der Rat ist schwach, will wieder gewählt werden. Ablehnen will er den Standort auf Gemeindegrund aber auch nicht, ein mutiger privater Vermieter würde nur noch mehr Unfrieden ins Dorf bringen. Die vermeintliche Lösung: Verlagern des Problems vom Rat auf die Bürger. Eine Bürgerbefragung, ein Bürgerbegehren oder ein Bürgerentscheid nimmt dem Rat die Last der Verantwortung. Bundesverkehrsminister Scheuer ist diese Variante ein Graus, erst kürzlich ermahnte er die Gemeinden, beim Netzausbau nicht den Bremsklotz zu geben.

Ich halte es für eine ausgemachte Schnapsidee, wenn Bürgervertretungen die Entscheidungsfindung über einen Mobilfunkstandort an die Bürger abtreten. Sind Gemeinderäte mit Entscheidungen zum sperrigen Thema Mobilfunk zuweilen schon hoffnungslos überfordert, sind es Bürger noch mehr. Die folgende Liste nennt Gedanken, die mir zu kommunalen Entscheidungsfindungen spontan eingefallen sind:

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Verantwortung, Bürgerentscheid, Bürgerbegehren, Gemeinde, Gemeinderat, Suchkreis, Basisdemokratie, Vorsorgeplanung, Verhinderungspolitik


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