Offener gefühlsbetonter Brief: Suzanne ist wieder da! (Elektrosensibilität)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 03.10.2013, 22:14 (vor 3862 Tagen)

Viele Jahre hat Suzanne S. (geb. 1959), bekannt als die Kampftablette unter den überzeugten Elektrosensiblen, geschwiegen. Doch jetzt meldet sie sich wieder zu Wort. Auslöser ist, was sonst, der "Zeit"-Artikel "Verstrahlt - Der unsichtbare Feind". Die Wortergreifung gibt es in einer 24-Seitigen Langfassung (PDF), für den eiligen Leser hält Gigaherz eine Kurzfassung parat.

Warum sie jetzt wieder in die Diskussion eingreift, erklärt die überzeugte EHS in dem PDF mit den Worten: "Die nachfolgenden Anmerkungen mögen dazu anregen, den Mut zum Zweifeln aufzubringen".

Doch die Zweifel werden bei der unvoreingenommenen Leserschaft ausbleiben, so diese von dem PDF überhaupt jemals Notiz nimmt. Schlimmer: Leser werden sehr wohl Zweifel bekommen, aber nicht an der Unbedenklichkeit schwacher EMF, sondern an dem, was ihnen da von einer "Betroffenen" vorgesetzt wird. Denn Frau S. hat in ihrer Karenzzeit leider nichts dazu gelernt. Mit schön geschwungenen Sätzen und gewohnt zahllos zwischen Anführungszeichen dargebotenen Andeutungen schlendert sie wie ehedem durch ihren Leidensweg, schildert das, was ihr an dem "Zeit"-Artikel nicht passt, keilt mal nach links, mal nach rechts gegenüber irgendwelchen Widersachern aus, und beschreibt treffend, welche Empfindungen der Artikel in ihr ausgelöst hat.

Nun ist es aber so, dass das www von subjektiven Fallschilderungen dieser Art überläuft, Bedarf an weiteren Episoden, auch wenn sie in gepflegtem Deutsch vorgebracht werden, ist nicht erkennbar. Die Wortergreifung von S. geht am tatsächlichen Bedarf der E-Smog-Szene weit vorbei.

Frau S. greift routiniert auf den bewährten Trick überzeugter EHS zurück, den ersten entscheidenden Schritt zu überspringen und mit dem zweiten zu beginnen. Heißt im Klartext: Wie immer tut sie so, als sei Elektrosensibilität nicht das, worauf alles hindeutet, nämlich eine Phobie, sondern eine objektiv beschreibbare physische Erkrankung infolge HF-Immission - worüber nicht weiter nachgegrübelt werden müsse. Doch was nützt der schönste polemische Fallbericht, wenn ihm jede grundlegende Glaubwürdigkeit fehlt? Frau S. unternimmt in ihrer Wortmeldung nichts, um die altbekannten Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit zu zerstreuen, eher festigt sie diese Zweifel noch.

Dazu ein Beispiel. In dem PDF behauptet sie: "Die Entwicklung dieser Katastrophe hätte verhindert werden können, wenn ich rechtzeitig adäquate Hilfe seitens fachkundiger Ärzte erhalten hätte!"

Mit Katastrophe meint sie die Erlangung ihre "Elektrosensibilität". Und völlig überraschend behauptet sie (ohne Erklärung), wäre sie nur ab 1997 in fachkundige Behandlung gekommen, dann wäre alles anders gelaufen.

Eine kühne Behauptung, denn heute, 16 Jahre später, gibt es noch immer keinerlei wissenschaftlich ernst genommene Anhaltspunkte, wie das Gespenst "Elektrosensibilität" überhaupt festgenagelt (diagnostiziert) werden könnte, geschweige denn behandelt. Selbst der EHS-Säulenheilige Dr. Lebrecht von Klitzing formuliert vor objektivem Publikum vorsichtig nur im Konjunktiv, sobald es um Methoden zur EHS-Diagnose geht.

Weiter schreibt Suzanne: "Es erfolgte eine jahrelange Odyssee durch alle diagnostischen und therapeutischen Instanzen (einschließlich Neurologen und Psychologen), bis ich endlich in fachkundige ärztliche Behandlung kam, wo ich erstmals konkrete und wirksame Hilfe erhielt."

Wie diese konkrete Hilfe aussah, gab 2007 Frau Dr. Waldmann-Selsam anlässlich des Mobilfunksyposiums in Mainz preis. Dort präsentierte die Bamberger Ärztin und EHS-Versteherin eine "fachärztliche Bescheinigung zur Vorlage bei der Technikerkrankenkasse" (PDF ab Seite 21), ausgestellt 2003 für Frau S. von dem Oberammergauer Facharzt Dr. Wolfgang Laubert. Der Mediziner bescheinigt darin, die Beschwerden von S. würden durch "Hochfrequenz-Exposition elektromagnetischer Strahlung verursacht". Jeder HF-Techniker erkennt an dieser verkorksten Formulierung, dass HF für Dr. Laubert eher ein böhmisches Dorf ist denn Noxe. Als weitere Zeugen benennt Waldmann-Selsam den Hausarzt von S. in Oberammergau und den inzwischen verstorbenen Münchener Holistiker Dr. med. Hans-C. Scheiner.

Die Sache hat nur einige Haken: Dr. Laubert ist Facharzt für Orthopädie, also Vertreter einer Fachrichtung, die für die Diagnose von "Elektrosensibilität" bislang nicht mit besonderer Berufung aufgefallen ist.

Dr. Scheiner muss Frau S. derart beeindruckt haben, dass sie umgehend in dessen Partei "Aufbruch" eintrat und 2003 als Abgeordnete für den Bayerischen Landtag kandidierte. Damals ergatterte sie in ihrem Wahlkreis Schwaben 0 Erststimmen und 214 Zweitstimmen, auch ihr Gefährte Werner Funk trat als "Aufbruch"-Kandidat an und erhielt im Wahlkreis Oberbayern 39 Zweitstimmen.

Und dass ausgerechnet ein Hausarzt in Oberammergau mit Laborbefunden das Gespenst "Elektrosensibilität" hat diagnostizieren können, das glaubt vermutlich Suzanne selber nicht.

Nicht zuletzt sei auf den Widerspruch hingewiesen, dass S. behauptet, von nicht näher genannter fachkundig-ärztlicher Stelle "konkrete und wirksame Hilfe" bekommen zu haben, sie aber dennoch unverändert über ihr Leiden klagt und angeblich noch immer abseits der Zivilisation - selbst bei -25 °C - als Camperin in einem Wohnmobil leben muss.

Gigaherz-Präsident Jakob hat übrigens wieder einmal seine Probleme mit Zahlen ausgelebt, der Dyskalkuliker klaut der armen Suzanne in seinem Bildtext - und recht viel mehr hat er selbst nicht geschrieben - einfach mal zehn der in der Langfassung genannten 25 Minusgrade.

Hintergrund
So weit die Füße tragen

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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