WIK zur Neubewertung der EMF-Grenzwerte in den Niederlanden (Forschung)

Gast, Samstag, 03.12.2011, 11:00 (vor 4546 Tagen) @ Doris

Wieso kümmern sich die Niederländer bei der Frage nach der SAR in Kinderhirnen um den Ganzkörper-SAR-Wert und nicht - wie ich es erwartet hätte - um den Teilköper-SAR-Wert?

Wie kann es sein, dass bei 0,08 W/kg (und ein bisschen mehr) Ganzkörperbefeldung durch eine Basisstation das Hirn eines Kindes in Gefahr ist, nicht aber bei der Teilkörperbelfeldung mit 2 W/kg durch ein Handy?

Ich glaube nicht, dass es darum geht, dass das Hirn eines Kindes durch eine Basisstation in Gefahr sein könnte, sondern um nicht korrekte Referenzwerte für kleine Lebewesen, die in worst-case Situationen überschritten werden und deshalb angepasst werden sollen.

Und was sagt WIK dazu, eigentlicher Urheber der Meldung über die neue Empfehlung des niederländischen Gesundheitsrates? Meine Anfrage ging an den Biologen Dr. Frank Gollnick, wissenschaftlicher Berater in der WIK-Arbeitsgruppe EMF und Umwelt. Er antwortet:

Ich sehe es wie "Doris": Es ging den Holländern offenbar um "nicht korrekte Referenzwerte für kleine Lebewesen [Anm.: die in diesem Land, im Gegensatz zu unserem, ja bekanntlich einen besonders hohen Stellenwert genießen], die in worst-case Situationen überschritten werden und deshalb angepasst werden sollen". Es handelte sich wahrscheinlich um einen Kompromiss: Man wollte für Kinder keine Extraregelung schaffen (und damit etwa ein Zeichen setzen), weil man die Grenzwerte eigentlich für ausreichend hält, da diese ja obendrein (u.a. für besonders empfindliche Gruppen, wie z.B. Kinder, Alte und Kranke) mit einem 50-fachen "Sicherheitsfaktor" versehen sind.

Unser Originaltext hierzu:

"Das Komitee sieht mit Hinweis auf den 50-fachen Sicherheitsfaktor, den die geltenden Grenzwerte für die Bevölkerung hinsichtlich möglicher körperlicher Wirkungen durch die Feldexposition bieten keinen Anlass, für Kinder schärfere Grenzwerte einzuführen als für Erwachsene. Der möglichen höheren Empfindlichkeit von Kindern und anderen schutzbedürftigen Bevölkerungsgruppen werde durch diesen Sicherheitsfaktor ausreichend Rechnung getragen."

Um den Hinweisen aus der Literatur (u.a. Dimbylow & Bolch, 2007) aber trotzdem Rechnung zu tragen, hat man sich entschlossen, die vorher in Holland relativ hoch liegenden Referenzwerte oberhalb von 400 MHz vorsorglich etwa um die Hälfte zu senken. Der Schlüssel zu dieser Entscheidung ist die Abbildung ganz hinten auf Seite 91 in dem Advisory Report des Gezondheidsraads (HCN = Health Council NL = Gesundheitsrat).

[image]

Hier sieht man sehr schön die alten und neuen holländischen Referenzwerte zusammen mit der ICNIRP-Grenzwertempfehlung, und dazu eingetragen die elektrischen Feldstärken, die nach Kalkulationen von Dimbylow und Kollegen (hier aus Dimbylow & Bolch, 2007) bei bestimmten Szenarien (es wurden u.a. durch "Morphing" der Körperphantome verschiedene Körperhaltungen, Sitzpositionen, etc. der Kinder modelliert) für ein 9 Monate ("9 mo") und ein 4 Jahre ("4 yr") altes Kind mit dem maximal zulässigen Ganzkörper-SAR von 0,08 W/kg korrelieren. Man erkennt, dass es in diesen Kalkulationen etwa ab 900 MHz zu einer Überschreitung des alten holländischen Referenzwerts kommt und um 2 GHz herum auch zu einer Überschreitung der ICNIRP-Referenzwerte. Man ist jetzt in Holland also auf "Nummer sicher" gegangen und hat die Referenzwerte daraufhin gleich bis 4 GHz unten bei 28 V/m gelassen und fährt sie dann erst auf einer Rampe hoch (Dimbylow & Bolch hatten in der betreffenden Studie zwischen 50 MHz und 4 GHz modelliert). Man hat aufgrund dieser Worst-case-Abschätzung also keinen Extra-Referenzwert für Kinder eingeführt, sondern die Grenzwerte gleich für die ganze Normalbevölkerung abgesenkt und damit indirekt der besonderen Empfindlichkeit kleiner Kinder (vor allem aufgrund ihrer Körpergröße) Rechnung getragen.

Unser Originaltext hierzu, der natürlich nicht so sehr aufs Detail eingehen kann:

"Dennoch sieht sich der Gesundheitsrat zu der Empfehlung veranlasst, die Referenzwerte in den Niederlanden allgemein für Funkfrequenzen über 400 MHz um etwa die Hälfte auf 28 Volt pro Meter (V/m) zu senken. ... Zur Begründung der Referenzwertsenkung gibt das Komitee neuere Forschungsergebnisse (z.B. Dimbylow & Bolch, 2007) an, nach denen im Frequenzbereich der Drahtloskommunikation um 2 GHz "für junge Kinder (und daher auch für kleine Individuen) an den Referenzwerten ein SAR-Wert über dem maximal erlaubten Wert ermittelt wurde". Dies trifft sowohl für die ICNIRP-Referenzwerte als auch für die bislang höheren niederländischen Werte für die Ganzkörperexposition unter Fernfeld-Bedingungen zu."

Die Entscheidung hat meiner Meinung nach nichts mit dem Teilkörpergrenzwert und in dem Fall auch nicht speziell etwas mit dem Hirn des Kindes zu tun (wobei der Titel des Reports dem zugegebenermaßen etwas entgegen steht). Hier gehen auch die Holländer nach wie vor davon aus, dass dieser Grenzwert für Kinder und Erwachsene sicher ist und dass die Nahfeld-Exposition ja außerdem selbst (bzw. bei Kindern durch die Eltern) gesteuert werden kann. Man sieht also in Bezug auf die Teilkörperexposition (vor allem die des Kopfes) allenfalls Grund für Vorsorgeempfehlungen (wie auch durch unser BfS gegeben) und nicht für Grenzwertanpassungen. Man bezieht sich bei der Entscheidung zur Referenzwertabsenkung weitgehen auf die Resultate aus der Dimbylow-Gruppe, die sich auf den Ganzkörper-SAR beziehen. Alles Weitere zur Begründung ist in der Tat, wie "Doris" schon angemerkt hat, im ausführlichen Text des Gezondheidsraad-Reports zu finden. Um noch weiter einzusteigen, müsste man jetzt noch Details aus den Dimbylow-Publikationen genau wiedergeben, was ich mir an dieser Stelle ersparen möchte.

Tags:
Kinder, Gollnick, Vorsorgeempfehlung, SAR-Wert, Niederlande, Gesundheitsrat, Ganzkörper-SAR


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