Wie Wissenschaft manipuliert wird (Allgemein)

MK, Mittwoch, 28.04.2004, 12:18 (vor 7326 Tagen) @ MK

- Fortsetzung


Einerseits verweist die pharmazeutische Industrie mit Recht darauf, dass ohne Geheimnisschutz Innovationen für den Patienten ausbleiben. Andererseits aber verhindert dieser Schutz wissenschaftliche Erkenntnis zum Nutzen der Patienten und macht es diesen schwer, sich über aktuelle Studien zu informieren. Unterdessen arbeiten weltweit Ärzte ahnungslos an bereits erforschten Therapieansätzen, weil sie nirgends erfahren können, dass die entsprechende Kur woanders längst gescheitert ist.

In anderen Ländern werden die Patientenrechte höher geachtet. Unter www.clinicaltrials.gov sind in den USA zumindest alle öffentlich geförderten Projekte einsehbar. Dort können Ärzte und Patienten ihre Fragen eintippen. Auf die Stichwörter "lung cancer, New York" wirft das System dann 71 Studien aus, für die noch Versuchspatienten gesucht werden. Auch kommerzielle Institutionen nutzen nämlich die Vorteile der Transparenz - denn sie eröffnet ihnen die Möglichkeit, für ihre Studien zu werben. In Großbritannien empfahl der Verband der Arzneimittelindustrie seinen Mitgliedern, die Web-Seite
Aus einem zentralen Register wird vorerst nichts. Anfang April beschloss der Bundestag die Umsetzung der EU-Direktive in deutsches Recht mit der 12. Novelle des Arzneimittelrechts. Anfang Juni geht das Gesetz durch den Bundesrat. Von einem öffentlich zugänglichen Registerteil steht darin nichts.

Ohnehin decken das Arzneimittelrecht und Eudract nur einen Teilbereich ab. Sie zielen auf klinische Studien mit Medikamenten. Ein erheblicher Teil der medizinischen Wissenschaften beschäftigt sich jedoch mit neuen Operationen, Blutanalysen und medizinischen Hilfsmitteln. Eigentlich sind all diese Aktivitäten aktenkundig. Jedes Experiment am Menschen oder mit menschlichen Geweben muss bei den 54 Ethik-Kommissionen in Deutschland begutachtet und registriert werden.

Dort also lagern die Informationen, nach denen der Patient fahndet. Bloß: Auch sie sind unerreichbar. "Es gibt kaum so etwas Geheimes wie die Archive von Ethik-Kommissionen", sagt Hansjörg Just, Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen. Könnten nicht die Kommissionen ihr Votum an eine Publikationspflicht koppeln? Das ist geplant, doch soll es den Forschern überlassen bleiben, wo sie ihre Projekte registrieren. Im Prinzip befürworten die Kommissionen ein zentrales Register. In der Praxis aber sind sie sich noch uneinig. Schon jetzt sei die Arbeitsbelastung hoch und das Geld knapp.

Ethiker Just hat bereits konkrete Vorstellungen: "Die Informationen müssen die öffentlich-rechtlichen Ethik-Kommissionen liefern." Die Daten, schlägt er vor, sollten an einer medizinischen Hochschule gesammelt werden, in Kooperation mit dem Cochrane-Zentrum.

Im Prinzip könnte sogar die Finanzierung geklärt sein: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), sagt Just, sei in der Pflicht, die Finanzierung von jährlich schätzungsweise 160.000 Euro zu übernehmen. Das BMBF verkündet selbst, eine Registrierung klinischer Studien sei "aus ethischen und wissenschaftlichen Gründen von hoher Bedeutung und dringend erforderlich". Das Ministerium unterstützt sogar Initiativen in dieser Richtung. Denn grundsätzlich sei man zur initialen Unterstützung eines nationalen Studienregisters bereit, heißt es. Einzig zur dauerhaften Finanzierung mag man sich im Ministerium nicht durchringen. Die Politiker haben das Problem erkannt. Aber ernst genug nehmen sie es noch nicht.

(c) DIE ZEIT 22.04.2004 Nr.18

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Tags:
Wissenschaft, Ethik-Kommission, Ethikrat


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