Systematische Reviews für WHO: Alle Befunde auf einem Blick (Forschung)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 21.08.2025, 21:00 (vor 1 Tag, 2 Stunden, 46 Min.)

Die zuletzt im Auftrag der WHO entstandenen zehn systematischen Reviews haben einen Gesamtumfang von 366 Seiten. Viel Lesestoff für Leute, die sich beruflich mit dem "Risiko Mobilfunk" beschäftigen müssen. Zu viel für alle anderen. Doch gemach, das schweizerische Bundesamt für Umwelt (Bafu) hat das Kunststück fertiggebracht, die wichtigsten Ergebnisse der zehn Reviews geordnet nach Forschungsbereich in eine einzige überschaubare Tabelle zu quetschen.

Die Reviews haben die Zuverlässigkeit der wissenschaftlichen Evidenz – d. h. das Vertrauen in die Aussagekraft der Ergebnisse einer Studie – für die verschiedenen Auswirkungen nach dem Grade-Ansatz bewertet. Dieser Ansatz ordnet die Zuverlässigkeit der Evidenz in vier Klassen ein: hoch, moderat, niedrig oder sehr niedrig. Je höher die Zuverlässigkeit der Evidenz ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Auswirkung oder das Ausbleiben einer Auswirkung tatsächlich zutrifft. Zur Darstellung der Ergebnisse und zur Verbesserung der Lesbarkeit wurden die Kategorien «niedrig» und «sehr niedrig» in der Tabelle zu einer einzigen Kategorie «niedrig» zusammengefasst.

Die wichtigsten Ergebnisse nach Forschungsbereich

[image]Übersichtstabelle des Bafu. Aus technischen Gründen ist die Wiedergabequalität miserabel, doch wer auf die Tabelle klickt, bekommt sie gestochen scharf in einem PDF
Tabelle: Bafu

Die Reviews weisen darauf hin, dass hinsichtlich krebserzeugendem Potenzial für den Menschen keine Auswirkungen vorliegen, wobei die Zuverlässigkeit der Evidenz moderat ist. Dies ist der Fall bei bestimmten Arten von Hirntumoren, Leukämie, Lymphomen, Schilddrüsenkrebs und Mundhöhlenkrebs. Bei anderen Tumorarten war es nicht möglich, eine endgültige Schlussfolgerung zu ziehen (niedrige Zuverlässigkeit der Evidenz). Aus der Review, in der Tierstudien berücksichtigt wurden, geht jedoch hervor, dass Gliome und Herzschwannome als Auswirkungen auftreten, und zwar mit hoher bzw. moderater Zuverlässigkeit der Evidenz.

In Bezug auf die reproduktive Gesundheit sind die Ergebnisse der experimentellen Studien an Tieren und mit menschlichem Sperma im Allgemeinen nicht aussagekräftig (niedrige Zuverlässigkeit der Evidenz). Für gewisse Auswirkungen – insbesondere die Verringerung der Schwangerschaftsrate sowie das Gewicht und die Länge des Fötus – wurde in Tierstudien eine moderate Zuverlässigkeit der Evidenz festgestellt. Bei anderen Auswirkungen, wie der Anzahl Nachkommen oder dem Gehirngewicht, kamen die Reviews zum Schluss, dass keine Effekte auftraten, wobei die Zuverlässigkeit der Evidenz moderat bzw. hoch beurteilt wurde.

Gemäss den Studienergebnissen zeigen sich keine unspezifischen Symptome wie Tinnitus und Migräne, allerdings fällt die Zuverlässigkeit der Evidenz niedrig aus. Auch Kopfschmerzen, Schlafstörungen und die Wahrnehmung der Strahlung und von elektrosensiblen Personen berichtete Symptome werden nicht als Auswirkungen festgestellt; hierbei ist die Zuverlässigkeit der Evidenz hingegen moderat.

Bei den anderen untersuchten Auswirkungen, vornehmlich oxidativem Stress und Effekten auf die kognitiven Funktionen, wurde die Zuverlässigkeit der Evidenz als niedrig eingestuft.

Fazit des Bafu und des BAG (Bundesamt für Gesundheit)

Grundsätzlich sind die von der WHO in Auftrag gegebenen systematischen Reviews der wissenschaftlichen Literatur ein wichtiges Instrument zur Bewertung der Zuverlässigkeit der Evidenz. Sie folgen einer strengen und standardisierten Methodik, die einen Überblick über die potenziellen Auswirkungen hochfrequenter elektromagnetischer Felder ermöglicht. Insgesamt wird die Zuverlässigkeit der Evidenz der untersuchten Auswirkungen als moderat oder niedrig bewertet. In Tierstudien wurde eine hohe Zuverlässigkeit der Evidenz für Kanzerogenität beobachtet. Diese Ergebnisse sind jedoch nicht ausreichend fundiert, um daraus eine direkte Auswirkung auf die menschliche Gesundheit abzuleiten.

Die Ergebnisse der Reviews werden im Bericht der WHO, der Ende 2025 veröffentlicht werden soll, ausführlich dargestellt und bewertet. Dieser Bericht wird dazu beitragen, die Resultate der Reviews besser einzuordnen.

Angesichts dieser ersten Ergebnisse bleibt das vom Bund angewandte Schutzkonzept weiterhin massgebend. Letzteres stützt sich auf das Umweltschutzgesetz und ist in der Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung geregelt. Dabei spielt insbesondere die Anwendung des Vorsorgeprinzips eine zentrale Rolle.

Der Grade-Ansatz

Grade (Grading of Recommendations Assessment, Development, and Evaluation) ist ein systematisches Verfahren, mit dem die Zuverlässigkeit der Evidenz (Qualität wissenschaftlicher Daten) bewertet und Empfehlungen im Gesundheitswesen formuliert werden können. Ziel von Grade ist es, Transparenz, Einheitlichkeit und methodische Genauigkeit bei der Bewertung von Evidenz zu verbessern und so das Treffen verlässlicher evidenzbasierter Entscheidungen zu erleichtern.

In den Reviews wurde der Evidenzgrad – d. h. das Vertrauen in die Aussagekraft der Ergebnisse einer Studie – für die verschiedenen Auswirkungen nach dem Grade-Ansatz bewertet. Dieses Verfahren ordnet den Evidenzgrad in vier Klassen ein: hoch, moderat, niedrig und sehr niedrig. In dieser Analyse werden die Grade-Kategorien im Sinne der Verlässlichkeit der Evidenz interpretiert:

«Hoch» = sehr verlässliche Evidenz. Die Schätzungen stammen aus sorgfältig durchgeführten Studien mit konsistenten Ergebnissen und nur geringem Risiko für Bias. Es ist unwahrscheinlich, dass künftige Forschung zu einer wesentlichen Anpassung dieser Schätzungen führen wird.

«Moderat» = grundsätzlich verlässliche Evidenz. Die Anhaltspunkte für eine Auswirkung reichen aus, um eine Schlussfolgerung zu ziehen, jedoch könnte künftige Forschung die Verlässlichkeit der Schätzung beeinflussen. Die Studien weisen Grenzen, Inkonsistenzen oder Risiken für Bias auf. Die beobachteten Auswirkungen entsprechen vermutlich weitgehend den tatsächlichen Auswirkungen, aber erhebliche Abweichungen können nicht ausgeschlossen werden.

«Niedrig/Sehr niedrig» = nur eingeschränkt verlässliche Evidenz. Es gibt nur schwache Hinweise auf eine Auswirkung, und die tatsächliche Auswirkung kann deutlich von der Schätzung abweichen. Die Studien weisen erhebliche methodische Mängel, widersprüchliche oder ungenaue Ergebnisse oder ein hohes Risiko für Bias auf. Man spricht in diesem Fall auch von einer nicht konklusiven Beurteilung. Künftige Forschungsarbeiten werden wahrscheinlich einen massgeblichen Einfluss auf die Verlässlichkeit der Schätzung haben.

Die Bewertung bezieht sich auf die Sicherheit der Daten, unabhängig von der Stärke der beobachteten Wirkung. Je höher die Zuverlässigkeit, desto wahrscheinlicher ist es, dass eine Auswirkung tatsächlich besteht oder verlässlich ausgeschlossen werden kann.

Quelle: Mitteilung des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) vom 19.08.2025

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

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