Wenn organisierte Mobilfunkgegner inkompetent sind (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 28.09.2025, 16:23 (vor 16 Stunden, 35 Minuten)

Äußern sich organisierte Mobilfunkgegner öffentlich zum Risiko Mobilfunk, kommt in aller Regel nichts Gescheites dabei heraus. Das liegt daran, dass die Gemengenlage technisch kompliziert ist, die Leute nicht vom Fach und zudem häufig auch noch schlecht informiert sind. Dies gilt nicht nur für spontane Mitglieder von Bürgerinitiativen, sondern auch für diverse Wortführer der Szene, wie ein Beispiel mit den Frontleuten Sibylle Killinger (Rechtsanwältin), Eric Schilwat (Handwerksmeister) und Dr.-Ing. Hans Schmidt ("Elektrosensibler") zeigt. Das Trio erlaubte sich 2021 anlässlich eines öffentlichen Aufrufs einige grobe Schnitzer

Stellvertretend für die Bürgerinitiativen des Alpenvorlandes haben im Februar 2021 Sibylle Killinger, Eric Schilwat und Hans Schmidt einen Aufruf verfasst, in dem sie fordern, die Strahlenbelastung auf ein gesundheitlich unbedenkliches Maß zu reduzieren. Lesen kann man den Aufruf noch heute in diesem Auszug aus der Mitgliederzeitung der bayerischen Umweltinitiative Pfaffenwinkel.

Das BfS einfach zum "großen Bruder" erklärt

[image]◄ Organisierte Mobilfunkgegner schüren bevorzugt irrationale Ängste gegenüber Funkmasten.
Quelle: Copilot

Da öffentliche Aufrufe fachlicher Laien wenig Gewicht haben, bedienen sich die drei Autoren mit dem Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) eines fachlichen Schwergewichts, um das Interesse an ihrem Anliegen anzuheben. So starten die drei ihren Aufruf forsch mit der Einleitung ...

Das BfS warnt: In Tierversuchen zeigt sich schon bei geringfügiger Strahlenbelastung eine signifikant tumorfördernde Wirkung. Aus Gründen des Gesundheitsschutzes fordert es deshalb zur Gefahrenabwehr eine vorsorgliche Reduzierung der individuellen Strahlenexposition und eine umfassende Aufklärung der Bevölkerung. 5G solle erst nach einer Gesundheitsverträglichkeitsprüfung eingeführt werden. [...]

Der Laie staunt ob dieser Worte, der Fachmann wundert sich. Denn die angebliche Warnung hat es in der dargebotenen Form seitens BfS nie gegeben. Die Autoren haben die Warnung aus Textfragmenten von der BfS-Website zusammengebastelt und in den gewünschten Zusammenhang gebracht, in dem sie ursprünglich aber gar nicht standen. Der Einleitungstext des Aufrufs ist damit eine ethisch äußerst fragwürdige Zitatfälschung der drei Autoren. Sie legen aus Eigeninteresse dem BfS Worte in den Mund, die vom Amt im Zusammenhang zu keiner Zeit gesagt wurden.

Auch blinde Hühner finden ab und zu eine Rosine

Sich aus einem Gesamten selektiv das Herauszugreifen, was einem in den Kram passt und alles andere ignorieren, heißt im Volksmund treffend Rosinenpickerei. In der Anti-Mobilfunk-Szene ist dies ein besonders beliebter Sport, um völlig Unbedarfte mit vermeintlich schlagenden Argumenten zu überrumpeln. Ein deutscher Baubiologe hat diesen Sport mit seinen alarmierenden Zitatsammlungen über das Risiko Mobilfunk zur Blüte gebracht, sich allerdings auch nicht gescheut, unpassende Zitate vor Übernahme in seine Sammlung passend zurechtzubiegen (Beispiel).

Seriösität verströmen die Autoren, indem sie fünf Treffer ihrer Rosinensuche im Webauftritt des BfS mit Links dokumentieren. Aber: Auf Papier gedruckte Links sind keine Hyperlinks, die Autoren durften mit Fug und Recht annehmen, dass viele Leser ihres Aufrufs sich nicht die Mühe machten, die Links abzutippen. Damit blieb die Rosinenpickerei weitgehend unentdeckt.

Von den fünf Links führen heute noch drei ins Ziel (Zitate 2, 4 und 5) zwei (Zitate 1 und 3) sind tot. Die Prüfung auf Zitatverfälschungen zeigte bei den noch gültigen Links folge unspektakulären Ergebnisse:

Zitat 2

Zitat im Aufruf: Es gäbe noch Unsicherheiten hinsichtlich möglicher langfristiger Wirkung hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf den Menschen und insbesondere auf Kinder.

Zitat beim BfS heute: Allerdings gibt es weiterhin noch Unsicherheiten hinsichtlich möglicher langfristiger Wirkung hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf den Menschen.

Zitat beim BfS am 15.02.21: Allerdings gibt es weiterhin noch Unsicherheiten hinsichtlich möglicher langfristiger Wirkung hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf den Menschen und insbesondere auf Kinder.

Zitat 4

Zitat im Aufruf: Bis zur endgültigen Klärung der offenen Fragen fordert das BfS neben den bestehenden Vorschriften zur Gefahrenabwehr eine vorsorgliche Verringerung der individuellen (Strahlen-)Belastung und eine umfassende Information der Bevölkerung.

Zitat beim BfS heute: Bis zur endgültigen Klärung der offenen Fragen fordert das Bundesamt für Strahlenschutz weiterhin neben den bestehenden rechtlichen Regelungen mehr qualitativ hochwertige Forschung und eine umfassende Information der Bevölkerung, auch über Möglichkeiten der vorsorglichen Expositionsverringerung.

Zitat beim BfS am 15.02.21: Bis zur endgültigen Klärung der offenen Fragen fordert das Bundesamt für Strahlenschutz weiterhin neben den bestehenden Vorschriften zur Gefahrenabwehr eine vorsorgliche Verringerung der individuellen Belastung und eine umfassende Information der Bevölkerung.

Zitat 5

Zitat im Aufruf: Grundsätzlich fordert das BfS, dass wesentliche Parameter neuer Techniken so rechtzeitig bekanntgegeben werden, dass die Wissenschaft und der Strahlenschutz Gelegenheit haben, vor der Einführung der neuen Techniken deren Gesundheitsverträglichkeit zu überprüfen.

Zitat beim BfS heute: Grundsätzlich fordert das BfS, dass wesentliche Parameter neuer Techniken so rechtzeitig bekannt gegeben werden, dass die Wissenschaft und der Strahlenschutz Gelegenheit haben, vor der Einführung der neuen Techniken deren Gesundheitsverträglichkeit zu prüfen.

Mit tumorförderndem Effekt Panik schüren

Haben sich die drei Autoren mit Zitatverfälschungen stark zurückgehalten und sich aufs Rosinenpicken beschränkt, schlägt ihre Desinformation anlässlich der Tierversuche mit tumorfördernden Effekten geradezu Purzelbäume.

Zunächst verschweigen sie, dass die Mäuse in den fraglichen Tierversuchen keine gewöhnlichen Hausmäuse waren, sondern noch vor Geburt mit einem Karzinogen (krebsauslösender Stoff) behandelt wurden. Das Karzinogen war die chemische Substanz Ethyl-Nitroso-Harnstoff (ENU). Sie wurde den Müttern der Versuchstiere während der Schwangerschaft gespritzt, die Feten nahmen die Chemikalie über die Plazenta auf.

Für die richtige Bewertung des Studienresultats darf die Kontamination der Mäuse mit ENU nicht weggelassen werden. Wer es doch tut, will irrationale Ängste gegenüber Funkwellen mit unlauteren Mitteln schüren.

Noch viel gravierender als das Weglassen des Karzinogens ist die Desinformation, die in folgender Textpassage des Aufrufs steckt:

[...] Eine tumorfördernde Wirkung wurde also schon bei einem SAR-Wert von 0,04 W/kg festgestellt, dem geringsten untersuchten SAR-Wert. Bei einem Telefonat mit dem Handy treten üblicherweise SAR-Werte von 0,2 bis 1,2 auf. Der zulässige Richtwert liegt sogar bei 2, also einem 50-mal höheren Wert als der, der das Krebswachstum nachweislich signifikant begünstigt. Dieselbe Problematik besteht auch bei der von Mobilfunkmasten ausgehenden Strahlung. [...]

Die drei Autoren erwecken mit dieser Textpassage den völlig falschen Eindruck, Menschen müssten bei einer starken aber regulatorisch zulässigen elektromagnetischen Energieaufnahme von 0,04 W/kg mit Krebs rechnen, sie würden aber schon beim Gebrauch ihrer Mobiltelefone bis zu 50-mal stärker verstrahlt.

Übertreiben auf Teufel komm raus

Killinger, Schilwat und Schmidt vermischen bei ihrer Darstellung die beiden grundsätzlich unterschiedlichen Expositionsformen der Ganzkörper- und Teilkörperexposition.

Bei Ganzkörperexposition ist der gesamte Körper (genauer: Körperquerschnitt) gleichmäßig einem Funkfeld ausgesetzt und entzieht diesem durch Absorption Energie. Da der gesamte Körper beteiligt ist, ist der maximal zulässige Grenzwert für diese Form der Energieaufnahme mit durchschnittlich 0,08 W/kg gemittelt über alle Körperregionen niedrig. Ganzkörperexposition erfährt, wer sich z.B. im Fernfeld einer Mobilfunkbasisstation aufhält. Auch die Mäuse der besagten Tierstudien erhielten Ganzkörperbefeldung.

Im Gegensatz dazu ist bei Teilkörperexposition nur ein Teil des Körpers dem Funkfeld ausgesetzt, z.B. der Kopf und der übrige Körper wird nicht oder vernachlässigbar schwach bestrahlt. In diesem Fall (Kopf) darf der maximal zulässige Grenzwert für diese begrenzte Form der Energieaufnahme mit 2,0 W/kg deutlich höher sein als bei Ganzkörperexposition. Ein anderer Teilkörpergrenzwert von 4,0 W/kg gilt für den Rumpf und die Gliedmaßen.

Alle genannten Grenzwerte gelten für Privatpersonen, für beruflich exponierte Personen sind während der Arbeitszeit höhere Grenzwerte zulässig.

Das Rechenexempel des Autorentrios, das Telefonaten mit Mobiltelefonen ein enorm hohes Krebsrisiko zuweist, ist unqualifiziert, weil es Äpfel (Teilkörpergrenzwert) mit Birnen vergleicht (Ganzkörpergrenzwert). Qualifiziert gewesen wäre der Vergleich des Trios, hätten sie statt dem Faktor 50 den Faktor 2 propagiert. Dieser ergibt sich aus dem Studienresultat (Krebsbefunde bei 0,04 W/kg) und dem Ganzkörpergrenzwert von 0,08 W/kg. Dass sich die Autoren für den plakativeren aber falschen Faktor 50 entschieden haben, dafür fallen mir eine handvoll Erklärungen ein, keine davon gereicht ihnen jedoch zur Ehre.

Müssen wir uns vor 0,04 W/kg wirklich fürchten?

Selbst mit dem Faktor 2 ließen sich noch immer irrationale Ängste vor Funkwellen schüren. Angst vor Mobilfunkbasisstationen muss dennoch niemand haben. Denn wie oben dargelegt, waren alle Versuchstiere (Verumgruppe) mit einem starken Karzinogen vorbehandelt, was bei Menschen nicht der Fall ist. Hinzu kommt, dass sich Tierversuche nicht 1:1 auf Menschen übertragen lassen. Die Gründe dafür sind vielfältig, einer ist auch für Laien einleuchtend. Wegen der kleinen Körpergröße von Mäusen erreichen Funkwellen innere Organe schon nach einigen Millimetern. Abhängig von der Körperfülle können es bei Menschen hingegen etliche Zentimeter sein, auf denen das Funkfeld durch Absorption fortlaufend an Intensität verliert. Und nicht zuletzt wird weltweit kein Mensch lebenslang mit 0,04 W/kg befeldet, was übertragen auf die abgeleiteten Referenzwerte eine enorm starke Exposition von 5 W/m² bedeutet. Üblicherweise werden Menschen von Basisstationen mindestens tausendmal schwächer befeldet (5 mW/m²).

Hintergrund
Fußabdrücke im IZgMF-Forum von ...
Sibylle Killinger
Eric Schilwat
Hans Schmidt

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Sibylle Killinger, Eric Schilwat, Hans Schmidt

Wenn Mobilfunkgegner wider besseren Wissens desinformieren

H. Lamarr @, München, Sonntag, 28.09.2025, 17:23 (vor 15 Stunden, 36 Minuten) @ H. Lamarr

Sich aus einem Gesamten selektiv das Herauszugreifen, was einem in den Kram passt und alles andere ignorieren, heißt im Volksmund treffend Rosinenpickerei. In der Anti-Mobilfunk-Szene ist dies ein besonders beliebter Sport, um völlig Unbedarfte mit vermeintlich schlagenden Argumenten zu überrumpeln.

Das Autorentrio Killinger, Schilwat und Schmidt schenkt uns mit seinem Aufruf ein sehr schönes Beispiel, wie Rosinenpickerei funktioniert.

Die farbigen Textpassagen unten zeigt einen Textabschnitt von der BfS-Webseite, aus welchem die drei für ihren Aufruf das Zitat 4 entnommen haben. Der Textabschnitt ist identisch mit dem, den die drei Autoren 2021 bei ihrer Rosinensuche angetroffen hatten (heute sieht er im Original geringfügig anders aus).

Rot formatiert ist die Textpassage, die von den drei Helden der Szene dazu auserkoren wurde, in ihren Aufruf übernommen zu werden. Keine grün formatierte Textpassage wurde übernommen. Wer die grünen Textpassagen liest, wird um ein Schmunzeln nicht umhinkommen. Denn es wird schnell sonnenklar, warum das Trio diese Passagen nicht als Rosinen identifizierte, mit denen sich das BfS als der große Warner vor schrecklichen Gefahren des Mobilfunks etikettieren ließ.

► Nach Einschätzung der IARC gibt es nach gegenwärtigem Kenntnisstand begrenzte Hinweise auf eine krebserregende Wirkung hochfrequenter elektromagnetischer Felder auf den Menschen.
► Die Hinweise konnten in den vom BfS im Rahmen seines Deutschen Mobilfunk Forschungsprogramms und danach initiierten Studien nicht bestätigt werden.
► Das BfS hat daher festgestellt, dass nach dem wissenschaftlichen Kenntnisstand keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch hochfrequente Felder – etwa aus dem Mobilfunk – zu erwarten sind, wenn die Grenzwerte eingehalten werden.

► Bis zur endgültigen Klärung der offenen Fragen fordert das Bundesamt für Strahlenschutz weiterhin neben den bestehenden Vorschriften zur Gefahrenabwehr eine vorsorgliche Verringerung der individuellen Belastung und eine umfassende Information der Bevölkerung.

Kommentar: Das Verhältnis von 3:1 zugunsten entwarnender Botschaften hätte aus meiner unmaßgeblichen Sicht das Trio durchaus davon abhalten können, das BfS mit konsequenter Rosinenpickerei wider besseres Wissen als den "großen warnenden Bruder" auszugeben. Dass dies nicht geschah, lässt mMn Rückschlüsse auf die Integrität der Truppe zu.

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