Falsche Schlüsse (297): Klimaklage, grenzüberschreitende (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Sonntag, 29.06.2025, 12:12 (vor 16 Stunden, 52 Minuten) @ H. Lamarr

Etwa 10'000 km von Deutschland entfernt schmelzen auch in den peruanischen Anden die Gletscher. Oberhalb der Stadt Huaraz hat das Schmelzwasser einen See auf ein mehrfaches seiner ursprünglichen Größe anschwellen lassen. Brechen die Dämme oder stürzen Teile des Gletschers in den See, droht Huaraz eine Flutkatastrophe. Bergführer Saúl Luciano Lliuya sieht den deutschen Energiekonzern RWE für diese Gefahrenlage mitverantwortlich und klagt vor deutschen Gerichten auf eine angemessene Übernahme der Kosten für Schutzmaßnahmen. Ein schier aussichtsloses Unterfangen möchte man meinen ...

Mit dem Urteil im Fall Lliuya gegen RWE hat das Oberlandesgericht Hamm am 28. Mai 2025 ein bemerkenswertes Zeichen im internationalen Umweltrecht gesetzt. Zwar wies das Gericht die konkrete Klage ab, doch es öffnete erstmals in Deutschland grundsätzlich die Tür für zivilrechtliche Haftung bei grenzüberschreitenden Klimaschäden durch Treibhausgasemissionen.



Der peruanische Kläger hatte RWE auf anteilige Kostenbeteiligung an Schutzmaßnahmen gegen eine drohende Gletscherflut verklagt. Er argumentierte, der Konzern habe durch seine Emissionen zur globalen Erwärmung beigetragen und damit eine konkrete Gefährdung seines Eigentums in den Anden mitverursacht. Dass RWE nicht allein verantwortlich sei, hindere den Kläger nicht, nur gegen
RWE zu klagen.

In der Sache konnte Lliuya vor dem OLG Hamm nicht durchdringen: Sein Grundstück liege oberhalb der Gefahrenzone, eine unmittelbare Gefahr sei derzeit nicht nachweisbar. Doch die rechtlichen Aussagen des Gerichts sind weitreichend. So hält das OLG eine Haftung großer Emittenten für Klimaschäden im Ausland grundsätzlich für möglich – eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung anderer Obergerichte wie München oder Stuttgart.

Zwei Aspekte stehen im Zentrum: die Kausalität und die Rechtswidrigkeit. RWE habe durch seinen historischen Emissionsanteil (zwischen 0,24 % und 0,38 % der globalen Gesamtemissionen) einen relevanten Beitrag geleistet, so das Gericht. Zudem sei nicht die Rechtmäßigkeit der Emissionen entscheidend, sondern die Rechtswidrigkeit der Auswirkungen auf das Eigentum. Eine konkrete, drohende Eigentumsbeeinträchtigung müsse nicht hingenommen werden – auch nicht unter Berufung auf behördliche Genehmigungen oder Emissionsrechte.

Mit dieser Argumentation betont das OLG Hamm die Schutzfunktion des Eigentumsrechts gegenüber globalen Schadensfolgen und gibt der zivilrechtlichen Klimahaftung ein neues Fundament. Auch wenn die Revision nicht zugelassen wurde, könnten Folgeklagen – etwa von betroffenen Nachbarn – in künftigen Verfahren für eine höchstrichterliche Klärung sorgen. Unternehmen mit erheblichen Emissionen sowie deren Versicherer und Investoren werden sich mit dieser Entwicklung auseinandersetzen müssen.

Quelle: Haftung für globale Emissionen? Die Klimaklage gegen RWE

--
Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –

Tags:
Palcacocha, RWE, Lliuya, Gletschersee, Klimaklage, Huaraz


gesamter Thread:

 RSS-Feed dieser Diskussion

powered by my little forum