Leszczynski sieht in Demeter-Studie keinen Durchbruch (Elektrosensibilität)
Für den französischen Anti-Mobilfunk-Verein "Priartem" ist eine neue Studie zum Ursprung von "Elektrosensibilität" bahnbrechend. Diesen Hang zur Übertreibung kennen wir von deutschen Vereinen zur Genüge, er ist typisch für Laien, die glauben in der Liga der Wissenschaften mitspielen zu können. Tatsächlich ist die Bewertung der Studie durch den finnischen Wissenschaftler Dariusz Leszczynski ziemlich ernüchternd. Doch das war absehbar. Nicht absehbar ist hingegen der unerwartete Forschungstipp, den der US-Wissenschaftler Henry Lai auf Leszczynskis BRHP-Website gibt.
Die sogenannte Demeter-Studie untersuchte 26 "elektrosensible" Personen und fand zwei Zelltypen mit gestörter DNA-Reparatur: eine Gruppe mit erhöhtem Krebsrisiko, die andere mit beschleunigter Alterung. Die Ergebnisse deuten aus Sicht der Autoren auf einen Zusammenhang zwischen Elektrosensibilität und gestörten DNA-Reparaturmechanismen hin. Priartem vermittelte den Studienautoren die "Elektrosensiblen", die an der Studie teilnahmen.
Leszczynski begrüßt grundsätzlich molekularbiologische Studien wie Demeter, er sieht in der Suche nach molekularen Unterschieden in den Reaktionen von Menschen und aus Menschen gewonnenen Primärzelllinien auf EMF-Exposition den richtigen Weg, um herauszufinden, wie EMF-Exposition auf die Gesundheit von Menschen einwirkt. Seit vielen Jahren sage er daher in seinen Konferenzvorträgen und Veröffentlichungen, dass eine individuelle Empfindlichkeit (einschließlich EHS) gegenüber HF-EMF existiert, aber noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen wurde, da die Forschungsstudien fehlerhaft konzipiert seien.
Deshalb plädiere er dafür, die Reaktionen des menschlichen Körpers auf EMF-Exposition auf molekularer Ebene zu untersuchen, einschließlich der Suche nach Biomarkern für EHS, indem die Auswirkungen auf das Proteom erforscht werden ... Zugleich räumt der Wahlfinne ein, andere Wissenschaftler könnten durchaus andere molekulare Zielstrukturen im Blick haben.
Leszczynski vs. Sonzogni et al.
Seine Kritik an Sonzogni et al. beginnt Leszczynski mit der Feststellung, die Autoren würden in der Einleitung seine Meinung zu EHS falsch wiedergeben, wenn sie Referenz 33 zitieren. Und leider wäre nicht bekannt, ob die besagte Forschung für die Empfindlichkeit gegenüber elektromagnetischen Feldern, einschließlich EHS, überhaupt relevant sei. Denn es sei unklar, ob die EMF-Exposition eine der Erkrankungen kausal verursacht habe.
Leszczynski führt weiter aus: Kurz gesagt beantworteten die 26 freiwilligen Teilnehmer, die sich selbst als EHS-Betroffene bezeichneten, eine Reihe von Fragen zu ihren Symptomen und deren Ursachen. Anschließend wurden ihnen Hautbiopsien entnommen, Hautfibroblasten extrahiert, in vitro kultiviert und die Auswirkungen von Gammastrahlung und H2O2 (Wasserstoffperoxid) auf diese Fibroblasten wurden untersucht.
Die Studie befasste sich nicht mit der Empfindlichkeit gegenüber EMF oder mit EHS, da es nicht den geringsten wissenschaftlichen Beweis dafür gibt, dass EMF-Expositionen die von den selbsternannten EHS-Probanden angegebenen Symptome verursacht haben. Es handelt sich um dasselbe Problem wie bei allen bisher durchgeführten EHS-Studien – die Wissenschaftler wissen nicht, ob die Gruppe der Freiwilligen echte EHS-Betroffene umfasst oder ob die Symptome, die vermutlich durch EMF-Exposition verursacht werden, eine andere Ursache haben (siehe Nachteil Nr. 1 hier). Daher untersuchte die Studie nicht EMF-induzierte Elektrosensibilität, sondern die idiopathische Umweltintoleranz, die elektromagnetischen Feldern zugeschrieben wird (IEI-EMF).
Die Entnahme von Hautfibroblasten und die Untersuchung ihrer Reaktionen auf Gammastrahlung und H2O2 könnte interessant sein, um Unterschiede zwischen Nicht-EHS- und EHS-Personen zu ermitteln. In diesem Fall hätten wir jedoch keine Ahnung, ob die Physiologie der aus den selbst deklarierten EHS-Probanden isolierten Fibroblasten durch EMF-Expositionen beeinträchtigt war. Daher kann ein pathologisches Verhalten von Fibroblasten nicht direkt mit EMF-Expositionen in Verbindung gebracht werden. Darüber hinaus stellten die Autoren in ihren Schlussfolgerungen fest (Hervorhebung Leszczynski):
Bei Bestrahlung mit Röntgenstrahlen zeigten alle DEMETER-Zelllinien (26/26) ein verzögertes strahlungsinduziertes ATM-Nukleoshuttling (RIANS). Es muss jedoch betont werden, dass ein Patient, der ein verzögertes RIANS aufweist, nicht unbedingt an EHS leidet.
[Ein "verzögertes RIANS" bedeutet, dass ein zentraler Schritt im zellulären DNA-Reparaturprozess langsamer als normal abläuft; Anm. Postingautor]
Deshalb bleibt offen, ob das Verhalten der Fibroblasten und ihre Reaktionen auf Röntgenstrahlen in irgendeiner Weise auf die EMF-Exposition der selbst als EHS-betroffen deklarierten Personen zurückzuführen sind oder durch etwas anderes verursacht wurden.
Wir müssen auf eine besser konzipierte Studie warten, die die Auswirkungen von EMF untersucht, meint der finnische Wissenschaftler abschließend.
Henry Lai auf Konfrontationskurs
Leszczynskis Manöverkritik an der vermeintlich bahnbrechenden französischen Studie lockte mit Henry Lai einen ebenso betagten wie bekannten US-Wissenschaftler an. Das Gespann Lai & Singh zeigte 1995 erstmals, dass nicht-thermische HF-EMF (2,45 GHz, typisch für WLAN/Mikrowellen) bei Ratten Einzel- und Doppelstrangbrüche in der DNA von Gehirnzellen verursachen können. Verwendet wurde die Comet-Assay-Methode zur Visualisierung von DNA-Brüchen. Diese Studie ist eine der meistzitierten Arbeiten zur möglichen genotoxischen Wirkung von Mobilfunkstrahlung und hat erheblich zur öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte beigetragen. Bei organisierten Mobilfunkgegnern in aller Welt hat Lai den Verehrungsstatus einer heiligen Kuh. Inzwischen 80 Jahre alt und emeritiert, mischt Lai noch immer in der Debatte aufseiten der Kritiker mit. Umso überraschender ist mMn sein schnörkelloser Kommentar zu Leszczynskis Kritik an "Demeter":
EHS is a psychological syndrome- look for the answer in the nervous system.
[EHS ist ein psychologisches Syndrom - suchen Sie die Antwort im Nervensystem.]
Mit seiner Einschätzung teilt Lai nicht Leszczynskis Standpunkt, sondern den der WHO und der Mehrheit der anerkannten Wissenschaft. Allerdings darf die Äußerung nicht überbewertet werden, denn es gibt keine Gewähr dafür, dass der Eintrag tatsächlich von Lai verfasst wurde. Er könnte auch von einem Spaßkommentator stammen, der unter Lais Namen Verwirrung stiften möchte. Das ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –