Der Review: Ein Outing, das niemanden interessiert (Allgemein)

H. Lamarr @, München, Donnerstag, 16.05.2024, 14:01 (vor 31 Tagen)

Was jetzt?! Heißt es richtig "der Review" oder eher "die Review"? Die weltbewegende Frage ist in der Wissenschaft längst entschieden. Doch stets auf Krawall gebürstet, setze ich mich über diese stillschweigend getroffene Vereinbarung hinweg. Und sie ist nicht die Einzige. Was fällt mir ein?!

Nachkriegsspaßvogel Heinz Erhardt titelte eines seiner Gedichte "Der Maus", was grammatikalisch wehtut. Trug er das Gedicht vor Publikum vor, legte er nach dem Titel eine Kunstpause ein, damit auch schmerzunempfindliche Zuhörer sich unter dem Gelächter Sensiblerer der soeben vernommenen Geschlechtsumwandlung gewahr werden konnten. Dann startet Erhardt durch:

Der Maus ihr Gatte wurd geschnappt
von einer Mausefalle,
nun war – verdammt und zugeklappt! –
er mausetot für alle.
Die Trauerreden für ’n Gemahl,
sie gipfelten im Satze:
»Viel schneller ging’s auf jeden Fall
mit Falle – als mit Katze!«

(Quelle)

In der Fachliteratur ist "Review" in aller Regel maskulin, bekommt dort also das Genus "der". Mir tut das weh. Wahrscheinlich weil Review im Deutschen eine Übersichtsarbeit ist, also feminin. Da auch Duden "die Review" zulässt, ich niemanden verpflichtet bin und mir kokettieren mit "Wissenschaftssprache" nicht so wichtig ist, habe ich mich entgegen der Konvention für "die Review" entschieden. So, jetzt isses raus.

Auch mit W-Lan (statt WLAN) setze ich mich bewusst über Konventionen hinweg, denn, so habe ich's gelernt, mit Großbuchstaben (Versalinen) signalisiert ein Autor seinen Lesern, dass ein Wort buchstabiert werden soll. Typische Beispiele dafür sind ARD, ZDF oder das alte US-TV-System NTSC. Das alte deutsche TV-System "Pal" (phase alternating line) wird hingegen nicht buchstabiert, sondern als Wort gesprochen und deshalb nicht mit Großbuchstaben geschrieben. Pal-Erfinder Walter Bruch fand das gar nicht gut. Als er uns einmal in der Funkschau-Redaktion besuchte, beklagte er, das zierliche "Pal" wäre gegenüber dem wuchtigen NTSC unterrepräsentiert und er wünschte sich, wir sollten PAL schreiben. Unser Chefredakteur zeigte Rückgrat, – es blieb bei Pal.

Also: Wer W-Lan liest und keine Ahnung hat, was das ist, weiß trotzdem auf Anhieb, wie er es richtig auszusprechen hat. Bei WLAN ist dies nicht der Fall. Die diskrete Lesehilfe verhindert z.B. auch, dass aus dem UN-Sicherheitsrat verbal ein Unsicherheitsrat wird. Sogar bei fremd klingenden Namen wie K'naan oder Mbappé funktioniert das halbwegs.

Das beliebte DECT (Schnurlostelefon) buchstabiert gewöhnlich kein Mensch, ergo müsste es Dect geschrieben werden. Erkennt man es dann aber noch auf Anhieb? Da auf die Missachtung der diskreten Lesehilfe keine Geld- oder Prügelstrafe droht, ist dies eine Ermessensfrage, die jeder für sich entscheiden darf.

Hintergrund
Autor Süskind wäre mMn gut beraten gewesen, in seinem Roman "Das Parfüm" den Namen der Hauptfigur "Grenouille" zu Beginn einmal in Lautschrift zu zeigen. Des Französischen nicht mächtig kämpfte ich mich einst im Urlaub durch das Buch und gefühlt 1000-mal mit dem verflixten Namen, den mein Teutonenhirn kurzerhand aber doch gequält auf "Genullie" vereinfachte. Immerhin, mit seiner Rücksichtslosikeit sensibilisierte Süskind mich für die Problematik der Aussprache geschriebener Wörter.

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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –


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