WHO systematische Review: HF-EMF und Karzinogenität bei Tieren (Forschung)
In der Review von Mevissen et al. geht es um die Frage, wie die Einwirkung von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern (HF-EMF) auf den menschlichen Körper bewertet wird. Die Autoren analysieren die bestehende Forschungslage, die Herausforderungen bei der Risikobewertung und werfen einen kritischen Blick auf die wissenschaftlichen Unsicherheiten, die mit der Einstufung dieser Felder als mögliche Gesundheitsgefahr verbunden sind. Eine tiefgehende und anspruchsvolle Lektüre für alle, die die komplexen Zusammenhänge der HF-EMF-Forschung besser verstehen wollen. Lesen Sie hier, wie ChatGPT die Review bewertet.
Die Übersicht mit dem Titel "Effects of radiofrequency electromagnetic field exposure on cancer in laboratory animal studies, a systematic review" (Volltext) umfasst 52 Tierstudien, die zwischen 1978 und 2020 veröffentlicht wurden. Die analysierten Arbeiten umfassen 20 chronische Bioassays (Langzeitstudien, die typischerweise über zwei Jahre laufen und eine direkte Beobachtung der Tumorentstehung und -entwicklung ermöglichen), 24 Initiations-(Ko-)Promotionsstudien (Untersuchungen, die die Effekte von HF-EMF auf die Entstehung und das Fortschreiten von Tumoren nach initialer Krebsinduktion oder Co-Faktoren evaluieren) und 18 Studien mit tumoranfälligen Tieren. Diese Studien decken ein breites Spektrum an Expositionen (100 kHz bis 300 GHz) und Tiermodellen (verschiedene Ratten- und Mauslinien) ab. Insgesamt wurden über 20'000 Tiere untersucht, wobei sowohl männliche als auch weibliche Tiere in verschiedenen Lebensstadien berücksichtigt wurden. Die Hauptfokusbereiche der Studien umfassten Gehirn, Herz, Leber, Lymphknoten, Lunge, Nebennieren und andere Organsysteme. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Dosis-Wirkungs-Analyse gewidmet, um die potenzielle Kanzerogenität von HF-EMF umfassend zu bewerten.
Wesentliche Resultate
Lymphome: 18 Studien, darunter sechs chronische Bioassays, untersuchten Lymphome. Die Ergebnisse waren inkonsistent, aber einige Studien berichteten über ein moderates Evidenzniveau für eine erhöhte Inzidenz, insbesondere bei weiblichen Mäusen (Evidenzskala: hoch – die Datenlage ist überzeugend und konsistent, moderat – die Datenlage ist begrenzt, aber plausibel, gering – die Datenlage ist schwach und oft inkonsistent, sehr gering – die Datenlage ist unzureichend).
Hirntumoren: 20 Studien (fünf chronische Bioassays) zeigten hohe Evidenz für ein erhöhtes Risiko von Gliomen bei männlichen Ratten, insbesondere bei GSM-exponierten Tieren.
Herztumoren: In vier chronischen Bioassays mit etwa 2'165 Ratten wurde eine hohe Evidenz für ein erhöhtes Risiko von malignen Schwannomen in männlichen Ratten festgestellt.
Leberneoplasmen: 16 Studien, darunter fünf chronische Bioassays, zeigten moderate Evidenz für ein erhöhtes Risiko von Hepatoblastomen.
Lungentumoren: Drei chronische Bioassays und acht Studien mit etwa 1'296 Ratten und 2'800 Mäusen ergaben moderate Evidenz für ein erhöhtes Risiko von Bronchoalveolarkarzinomen.
Nebennierentumoren: Zwölf Studien (fünf chronische Bioassays) identifizierten moderate Evidenz für ein erhöhtes Risiko von Phäochromozytomen.
Stärken der Review
Aktualität und Relevanz: Die Übersicht basiert auf etwa 40 Jahren Forschung und integriert Studien, die nach der IARC-Bewertung von 2011 veröffentlicht wurden, insbesondere mehrjährige Ratten-Bioassays, die als besonders aussagekräftig für die Bewertung der Karzinogenität gelten.
Umfassende Datenbasis: Berücksichtigt wurden 52 Studien, darunter 20 chronische Bioassays, 24 Initiations-(Ko-)Promotionsstudien und 18 Studien mit tumoranfälligen Tieren. Diese Vielfalt ermöglichte eine breite Beurteilung möglicher karzinogener Effekte.
Differenzierte Dosis-Wirkungs-Analyse: Bei Studien mit dosisabhängigen Effekten wurden 1 % Bayesian Average Benchmark Dosen (BMDs) berechnet, was die Bewertung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen präzisiert und zukünftige Risikobewertungen erleichtert.
Erweiterte Sensitivitätsanalyse: Die Autoren passten das RoC-Tool für die Bewertung der Sensitivität der Studien an, was eine ergänzende Analyse zur klassischen Risikoabschätzung ermöglichte.
Schwächen der Review
Heterogenität der Studien: Die erheblichen Unterschiede in Studiendesigns (Arten und Stämme, Studiendauer, Expositionsbedingungen) erschwerten konsistente Schlussfolgerungen und verhinderten eine quantitative Metaanalyse.
Begrenzte Übertragbarkeit auf den Menschen: Die Extrapolation von Tierdaten auf den Menschen ist besonders schwierig, da viele potenzielle Mechanismen der RF-EMF-Karzinogenese noch unklar sind und Unterschiede in der Gewebedurchdringung und SAR-Resonanz existieren.
Mögliche methodische Unschärfen: Einige Elemente des OHAT-RoB-Tools, die ursprünglich für klinische Humanstudien entwickelt wurden, erwiesen sich als weniger geeignet für Tierstudien, insbesondere hinsichtlich der Verblindung vor Studienbeginn.
Herausforderungen bei der Effektgrößenbewertung: Die Vergleichbarkeit der Effektstärke mit den relativen Risikoschätzungen epidemiologischer Studien bleibt eine Herausforderung.
Fazit
Die Review bietet eine umfassende und aktuelle Bewertung der potenziellen karzinogenen Effekte von HF-EMF in Tiermodellen, geht aber auch über die bisherigen Ergebnisse der NTP- und Falcioni-Studien hinaus. Sie bestätigt nicht nur die Hinweise auf Herz-Schwannome und Hirngliome, sondern identifiziert auch mögliche Effekte in anderen Organsystemen wie Leber, Lunge und Nebennieren, die in diesen früheren Studien nicht im Fokus standen. Gleichzeitig werden methodische Herausforderungen und Unsicherheiten bei der Übertragung der Ergebnisse auf den Menschen hervorgehoben. Besonders betont wird die Notwendigkeit, die Mechanismen der HF-EMF-Karzinogenese weiter zu erforschen, um die Übertragbarkeit der Tierbefunde auf den Menschen besser bewerten zu können.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –