EMP-Victims: Sieben EHS proben den Aufstand (Elektrosensibilität)
Die Blütezeit der großen Unterschriftensammlungen von Mobilfunkgegnern endete vor etwa zehn Jahren. Zuletzt wurde 2022 EU-weit gegen 5G gesammelt, mit bescheidenem Erfolg. Treibende Kraft hinter vielen Sammlungen waren mehr oder weniger sichtbar Personen, die sich für elektrosensibel halten (EHS). Im Februar 2025 starteten sieben "Elektrosensible" aus Frankreich und Belgien einen neuen Anlauf, um die Anerkennung von "Elektrosensibilität" öffentlich voranzubringen. Doch das Projekt hat aus Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt und wird deshalb scheitern.
◄ Drohung von EMP-Opfern: Wir stehen auf, um unsere Rechte einzufordern
Bilder: empvictims.org
Die neue französisch-belgische Bewegung sieht sich als Opfer elektromagnetischer Verseuchung der Umwelt und nennt sich deshalb EMP Victims (EMP steht für electromagnetic pollution). Kopf der Bewegung ist ein Kollektiv bestehend aus sieben EHS, fünf Frauen und zwei Männer. Sie wollen "Elektrosensible" weltweit aus der Versenkung holen und zum lang ersehnten Erfolg führen. Mittel zum Zweck ist einmal mehr eine Mitte Februar 2025 gestartete Unterschriftensammlung, deren Zählerstand mittlerweile bei rd. 3800 angekommen ist. Deutsche, österreichische und schweizerische "Elektrosensible" oder Mobilfunkgegner spielen bei der Aktion auf der Lenkungsebene nicht mit, wenn überhaupt haben sie bestenfalls eine Nebenrolle als Statisten.
Forderungen des Kollektivs
Im Namen verschiedener ethischer, rechtlicher und gesundheitspolitischer Verpflichtungen fordert das Kollektiv, dass besonders stark von EHS betroffene Menschen umgehend in sogenannte "weiße Zonen" umgesiedelt werden, also in Gebiete ohne künstliche elektromagnetische Felder. Auf Grundlage des Vorsorgeprinzips soll ein sofortiges Moratorium für den Ausbau bestehender sowie für die Inbetriebnahme neuer Mobilfunksendeanlagen verhängt werden, einschließlich des Rechts auf Abschaltung von "Kommunikationszählern" womit mutmaßlich Smart Meter gemeint sind. Darüber hinaus müsse der Schutz bereits bestehender weißer Zonen im Sinne des Grundrechts auf Wohnen höchste Priorität genießen. Schließlich wird im Einklang mit der staatlichen Verantwortung in Behindertenfragen die Umsetzung umfassender "Zugänglichkeitsprogramme" gefordert, um Menschen mit EHS wieder gleichberechtigten Zugang zu Einrichtungen des öffentlichen Lebens – wie Pflege, Verkehr, Verwaltung, Bildung, Kultur und Freizeit – zu ermöglichen.
Sammeln online und offline
Mit Unterschriften von Beipflichtern soll den Forderungen des Kollektivs Nachdruck verliehen werden. Deshalb wird online und offline gesammelt. Wer seine Unterstützung online bekunden möchte, kann dies auf der Leitseite des Webauftritts mit einem Online-Formular tun. Für Unterstützer mit starkem Mitteilungsdrang steht dort ein Kommentarfeld zur Verfügung und es lässt sich steuern, ob die abgegebene Stimme mit vollem Namen oder nur mit den Initialen des Unterstützers angezeigt wird.
Für Offline-Unterstützer wird ein doppelseitiges PDF mit Unterschriftenfeld angeboten. Auf der Doppelseite sind die Forderungen aufgelistet und kleingedruckt wie Allgemeine Geschäftsbedingungen, die Quellen, auf welche sich das Kollektiv beruft. Das PDF kann dem Kollektiv wahlweise per E-Mail oder per Postweg zugestellt werden.
Website der EMP-Opfer
Die Website des Projekts ist klar strukturiert und steht unter dem Motto: Klotzen, nicht Kleckern. Dort finden sich in der Navigation unter "The EHS Call" die Forderungen und die Sammelaufrufe (derzeit in Französisch, Englisch, Deutsch, Niederländisch, Italienisch, Esperanto, Norwegisch, Spanisch) und unter "Signatures and Messages" lassen sich in 1000er-Portionen bereits geleistete Unterschriften nebst Kommentare einsehen sowie Bildtafeln mit zuweilen befremdlichen Zitaten Betroffener aufrufen. So lautet dort das Zitat eines L. J. aus Dänemark (in deutscher Übersetzung): Ich bin durch EHS schwer behindert und alle Insekten auf meinem Land sind ausgestorben. Alle? Auch die Fliegen?
"Testimonials" zeigt kurze Videobotschaften von "Elektrosensiblen" aus aller Welt (bevorzugt jedoch aus Frankreich) in deren Muttersprache mit englischen Untertiteln. Mit dabei ist eine einzige, mir nicht bekannte Deutsche. Unter "More" steht, wer hätte es gedacht, ein wenig mehr und unter "Contact" kann man dem Kollektiv per Webformular eine Nachricht zukommen lassen. Ein Impressum suchte ich auf der Site heute vergeblich.
◄ Dramatischer Aufruf: Im Gegensatz dazu findet die anerkannte Wissenschaft trotz intensiver Suche keine Belege, EHS könnte körperlichen Ursprungs sein
Kritik an dem Appell
Ich habe von Mobilfunkgegnern schon schlechtere Aktionen als die jetzige erlebt, gleichwohl wird aus meiner Sicht auch das Kollektiv Schiffbruch erleiden, denn dessen Auftritt ist alles andere als überzeugend. Was mMn schiefläuft, habe ich unten stichpunktartig ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit aufgelistet.
► Das Kollektiv macht sich lächerlich, wenn es so tut, als sei EHS im Verlauf von 40 Jahren von mehr als Tausend "unanfechtbaren wissenschaftlichen Studien" zweifelsfrei nachgewiesen worden. Wer solche grobe Verdrehungen auffährt, um Laien Unterschriften abzugewinnen, dem verweigere ich wegen Verbreitung von Desinformation den Respekt. Der gesamte Unterbau der Aktion steht offensichtlich auf Sand und lebt ausschließlich von den Überzeugungen der Betroffenen. Allein das rechtfertigt schon die Einschätzung: Auch diese Aktion wird wie alle ihre Vorgänger wegen gravierender Realitätsferne scheitern.
► Der Appell der EMP-Opfer inkl. Webauftritt lässt jeglichen innovativen Ansatz vermissen, der auf bessere Erfolgsaussichten hindeuten könnte. Zum Beispiel das gewohnte Jammern und Fordern aufzugeben und stattdessen eine kraftvolle Handreichung Richtung Wissenschaft zu leisten, um frischen Wind in die mittlerweile auf Sparflamme köchelnde EHS-Forschung zu bringen. Bei der Gelegenheit könnten sich Betroffene auch endlich einmal offen eingestehen, dass ein Ergebnis neuer Forschungsprojekte mit neuen Methoden (z.B. Finden von EHS-Biomarkern) möglicherweise auch lauten kann: Game over, es gibt für EHS keine körperbezogene Erklärung.
► In der deutschen Version des Appells heißt es: "Die Interessenkonflikte der Internationalen Kommission zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP), einer privaten Organisation, die im Jahr 2002 ohne jede wissenschaftliche Begründung die Standards diktierte, von denen sich die Grenzwerte bis heute ableiten (9), wurden im Europäischen Parlament klar angeprangert (10)."
Für so wenig Text stecken darin erstaunlich viele Fehler:
- Icnirp ist ein in München (Registergericht) eingetragener Verein und gilt als solcher in Deutschland grundsätzlich als private Organisation.
- Die Icnirp-Richtlinien wurden erstmals nicht 2002, sondern 1998 publiziert in Health Physics 74 (4):494-522; 1998.
- Wie sich jeder selbst überzeugen kann, enthalten die Richtlinien sehr wohl wissenschaftliche Begründungen, erkennbar an sieben Seiten Quellenangaben zu wissenschaftlicher Literatur.
- Die genannte Quelle (10) aus Seite 2 des Appells ist wirr, sie benennt weder das Europäische Parlament (EP) noch sinnvoll eine andere Quelle. Mutmaßlich bezieht sich das Kollektiv an dieser Stelle auf den Buchner-Rivasi-Bericht, eine Auftragsarbeit, die Anschuldigungen gegen Icnirp fein säuberlich gesammelt hat, ohne jedoch Beweise beizubringen. Im EP war der Bericht zu keiner Zeit Thema einer Sitzung.
► Völlig Unklar ist, was die EMP-Opfer mit den gesammelten Unterschriften anfangen möchten. Weder im Appell noch auf der Website konnte ich dazu konkrete Angaben finden. Nur vage lassen sich Politiker und Ärzte als Zielgruppen ausmachen. Eine derart ziellose Unterschriftensammlung gab es mit dem Freiburger Appell schon einmal. Am Ende wurden dessen Unterschriften zwischen Mobilfunkgegnern wie sauer Bier hin und her geschoben, bis sie schließlich in Form einer CD in einem Lagerraum der WHO in Genf landeten.
► Wer sich in dem deutschsprachigen Appell die Forderung nach Umsiedlung stark unter EMF leidender Personen in funkfreie "weiße Zonen" durchliest, könnte Erinnerungen aus dunklen Zeiten bekommen. Denn die Forderung ist so schwammig formuliert, dass sie die Zwangsumsiedelung von EHS umfasst. Doch auch "Schwerstbetroffene" wie die hier im Forum gut bekannte Eva W. (85) aus O. in M. hängen trotz nahem Funkmast an ihrem Zuhause. Eigenen Angaben zufolge lebt sie dort seit rd. 20 Jahren unter Lebensgefahr im eigenen Haus. Der Leidensdruck reicht aber nicht aus, ihr Geburtshaus für eine funkärmere Bleibe aufzugeben.
► Datenschutz scheint den EMP-Opfern nicht sehr wichtig zu sein. In der Online-Version des Appells heißt es: "Ihre Daten werden zur Validierung Ihrer Unterschrift gespeichert. Eine Weitergabe an Dritte zu anderen Zwecken erfolgt nicht." Was aber, wenn schon der Zweite Schindluder mit den Daten treibt? Bei der Offline-Version des Appells fehlt jegliche Angabe zum Datenschutz.
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Jedes komplexe Problem hat eine Lösung, die einfach, naheliegend, plausibel – und falsch ist.
– Frei nach Henry Louis Mencken (1880–1956) –