Mobilfunkdebatte: hedging hier, dramatisieren dort (Allgemein)

Gast, Donnerstag, 22.05.2025, 20:27 (vor 1 Tag, 1 Stunden, 2 Min.)

In der Sprachwissenschaft, besonders in der Diskursanalyse, bedeutet "Hedging", dass jemand abschwächende, einschränkende oder vorsichtige Formulierungen verwendet, um sich nicht eindeutig festzulegen oder um eine Aussage abzumildern. Auch in der Mobilfunkdebatte wird auf Teufel-komm-raus "gehedged", hat Michael Bender mit einer korpushermeneutischen Untersuchung herausgefunden.

Im vorliegenden Beitrag wurde eine Analyse des Gebrauchs der Wortformen von Vorsorge, Risiko, und Gefahr (inklusive Komposita) im Diskurs zu negativen Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung durchgeführt. [...] Im Mittelpunkt stand dabei das Phänomen des Hedgings im Sinne einer Abtönungs- bzw. Abschwächungspraktik bei der Thematisierung von negativen Auswirkungen der Mobilfunkstrahlung, die insbesondere im Zusammenhang mit dem Gebrauch von Wortformen von Vorsorge, Risiko und Gefahr gezeigt werden konnte. Konkret besteht diese Praktik in der gesonderten Markierung des Aspekts der Unsicherheit, ob Risiken oder Gefahren überhaupt bestehen – bspw. durch die Attribuierung mit mögliche oder potenziell. Diese Potenzialitätssemantik wurde im Beitrag im Zuge der Abgrenzung der drei zentralen Konzepte als Differenzierungsmerkmal vergleichend in einem Frame-Modell verortet, in Anlehnung an das risk frame-Modell nach Fillmore und Atkins (1992). Dies ist insbesondere bei Formen von Risiko auffällig und interessant, weil in der Semantik bzw. im Wissensrahmen von Risiko nicht nur ein Unsicherheitsaspekt enthalten und zentral ist, sondern auch ein möglicher positiver Ausgang Teil des Konzepts ist.

Die Untersuchung hat gezeigt, dass Risiko dennoch oft gehedged wird, um damit eine entwarnende, relativierend-erklärende Diskursposition zu unterstützen. Besonders häufig sind solche Hedging-Formulierungen im Rahmen der Zitation oder Reformulierung von Studien und Expertisen zum Thema zu finden, geprägt von Institutionen, die für die Thematik im Mobilfunkstrahlungs-Diskurs offiziell zuständig sind. Dieser Hintergrund spielt allerdings auch bei einigen Negationen von Risiken eine Rolle, wenn also bspw. als Ergebnis von Studien kein Risiko belegt werden konnte und nur dies formuliert wird ohne Thematisierung einer trotzdem bestehenden Möglichkeit negativer Folgen. Die Setzung des Bestehens eines Risikos ohne Hedging wird hingegen verwendet, um warnende und mobilfunkkritische Diskurspositionen zu stützen. Auch Gefahr wird der Untersuchung zufolge routinemäßig, z. B. als potenziell gehedged. Allerdings ist dies funktional oft stärker auf die einführende Thematisierung von Gefahr gerichtet, also dass die Möglichkeit der Gefahr besteht, weniger auf die Abtönung im Sinne von nur potenziell. Generell ist die Tendenz erkennbar, dass Gefahr eher für die warnende oder entwarnende (keine Gefahr) Diskursposition eingesetzt wird, weniger für eine abwägende, relativierende bzw. erklärende, für die die stärker fachsprachlich geprägte Verwendung von Risiko prädestiniert ist. Die Verwendung der Wortformen von Vorsorge lässt sich im Hinblick auf Hedging nicht direkt in eine Reihe mit Risiko und Gefahr stellen, auch wenn hier ebenfalls der Unsicherheitsaspekt eine semantische Komponente darstellt. Vorsorge wird in den Untersuchungstexten aber nicht selbst als Konzept gehedged, sondern selbst als eine Spielart des kontextuellen Hedgings von Risikothematisierungen verwendet.

Die Verwendungsweisen der drei Konzepte zeigen ein Spektrum verschiedener Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber der Mobilfunkstrahlungsthematik. Vor dem Hintergrund angstgetriebener Ablehnung und politisch-aktivistischer Gegnerschaft wird typischerweise kein Hedging praktiziert. Negative Auswirkungen werden tendenziell als gegeben markiert. Typisch für Hedging-Praktiken ist hingegen die Positionierung im Sinne der rationalen Relativierung möglicher Gefährdungen gegenüber anderen Risiken, dem Nutzen und damit verbundenen gesellschaftspolitischen Zielen. Hedging mit der Markierung, dass negative Auswirkungen nicht nachgewiesen sind, wird vor allem vor dem Hintergrund der Fokussierung des Fortschrittsdenkens und auch kommerzieller Interessen praktiziert. Relativ zu Diskurspositionen und Akteursrollen bilden diese sprachlichen Praktiken somit als Indikatoren grundlegende Konstellationen im Diskurs um Mobilfunkstrahlung ab, aber auch allgemeiner im Hinblick auf das Verhältnis Mensch zu Risikotechnologien.

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