Science Update kommentiert 3 (Allgemein)

Dr. Ratto, Dienstag, 09.12.2014, 14:00 (vor 3398 Tagen) @ charles

13. Sorahan et al.: Es wurde eine Kohortenstudie zur Sterblichkeit an neurodegenerativen Erkrankungen an beschäftigten britischer Elektrizitätswerke durchgeführt. Diese hatte den Vorteil, dass sie recht groß war (ca. 70.000 Personen), die Beschäftigten über einen langen Zeitraum verfolgt wurden (Einschluss in die Kohorte 1952 – 1983, Sterbefälle 1972 – 2010), und eine möglichst gründliche Abschätzung der Exposition durchgeführt wurde. Analysiert wurde die Sterblichkeit an der Alzheimer Demenz (AD), der Parkinson Krankheit, und der Degeneration von Motoneuronen (MDD). In allen drei Fällen zeigte sich kein Zusammenhang mit der Exposition. Dies ist im Widerspruch zu älteren Studien und Meta-Analysen, die einen Zusammenhang für AD und MDD zeigten. Allerdings müsste sich die Qualität der Daten mit der verbesserten Expositionsbestimmung und dem längeren Zeitraum verbessern. Eine aktuelle Meta-Analyse (Vergara et al. 2013) zeigt zwar für AD und MDD einen Zusammenhang, dieser ist aber weniger ausgeprägt als in einer älteren Meta-Analyse (Garcia et al. 2008). Auch eine aktuelle Auswertung der dänischen Geburtskohorte (Frei et al. 2013) zu AD und Starkstromleitungen hat die Ergebnisse einer vergleichbaren Studie aus der Schweiz (Huss et al. 2009) nicht bestätig. Es kann also sein, dass sich der Verdacht auf die Begünstigung von neurodegenerativen Krankheiten durch niederfrequente Magnetfelder in den kommenden Jahren auflöst, womit sich auch die Suche nach Wirkmechanismen erübrigen würde.

14. Seifirad et al.: Untersucht wurde der Einfluss niederfrequenter Magnetfelder auf die Blutfette. Ratten wurden einem 0,5mT Magnetfeld unterschiedlich lang (4 Stunden/2 Wochen) ausgesetzt und entweder sofort oder 72 Stunden nach Ende der Exposition untersucht. Gefunden wurden Veränderungen in oxidativen Prozessen und im Fettstoffwechsel im Blutserum. Dabei schien es so, als ob der Einfluss nach einer kurzen Exposition reversibel wäre, nach einer langen aber nicht. Außerdem gingen die Veränderungen nach kurzer und langer Exposition in entgegensetzte Richtungen. Das Problem der Studie ist, dass es nur eine scheinexponierte Gruppe gab und es aus der Studie nicht ersichtlich ist, zu welcher der exponierten Gruppen sie parallel geführt wurde bzw. wie lange sie scheinexponiert wurde und wann die Blutuntersuchung stattfand. Es könnte sich also ganz einfach um einen Zeitverlauf und nicht um den Einfluss der Exposition handeln.

15. Zhu et al.: Es handelt wieder um eine Zellkulturstudie, diesmal an menschlichen embryonalen Zellen der Sklera (harte weiße Augenhaut). Die Zellkultur wurde mit Magnetfeldern von 0,2 – 1 mT mehrere Stunden exponiert oder scheinexponiert. Es zeigte sich ein verlangsamter Zellwachstum, Änderungen der Zellmorphologie, und Änderungen in der Expression von Genen und Proteinen, die mit dem verlangsamten Wachstum einhergingen (z.B. weniger Kollagen). Die Autoren sind der Meinung, dass eine Magnetfeldexposition zu Anomalien in der Kollagenbildung führen könnte. Aus Tierstudien sind solche Anomalien aber nicht bekannt. Powerwatch nutzt die Studie um erneut die zu hohen Grenzwerte anzusprechen, schließlich gab es Effekte bereits ab 0,2 mT. Es wird immer wieder vergessen, dass Grenzwerte vor einer Schädigung der Gesundheit schützen sollen, nicht vor biologischen Effekten.

16. Vila et al.: Hier handelt es sich nicht um eine publizierte Studie, sondern um einen Tagungsabstract. Beschrieben ist die Methode, wie für die INTEROCC-Studie (6) die berufliche Exposition berechnet wurde. Powerwatch übt Kritik, es ist eigentlich unklar warum, sie wissen es wohl selber nicht ("We have not seen the database contents yet, but it should be treated with caution…"). Eine retrospektive Expositionsbestimmung ist immer Fehlerbehaftet, anscheinend ist aber das hier das Beste was es gibt, also muss es reichen.

17. Isaac Aleman et a.: Was diese Studie in dieser Liste bedeuten soll ist mir völlig schleierhaft, denn es handelt sich um Wachstumsförderung von Kaffee-Pflanzen durch niederfrequente Magnetfelder. Solcher Studien gibt es jede Menge, nur von der genannten Arbeitsgruppe zwei in diesem Jahr (Übersicht s. Maffei 2014). Das Magnetfelder tatsächlich einen Einfluss auf Pflanzenwachstum haben könnten ist möglich. Pflanzen erzeugen die für das Wachstum benötigte Energie aus dem Sonnenlicht mittels Photosynthese. Dass ist eine chemische Reaktion an der der grüne Farbstoff Chlorophyll beteiligt ist. Unter anderem entstehen im Laufe dieser Reaktion freie Radikalpaare. Solche Reaktionen können durch Magnetfelder beeinflusst sein, ein bekanntes Beispiel ist die Orientierung von Vögeln. Dort ist der Blaulichtrezeptor Cryptochrom beteiligt; auch Pflanzen enthalten Cryptochrome, die an der Wachstumsregulation beteiligt sind, auch hier könnten Magnetfelder wirken. Abschließend untersucht ist es bei Pflanzen nicht. Warum powerwatch diese Studie zur Grenzwertdiskussion nutzten will verstehe ich nicht. Wir sind keine grünen Marsmännchen und enthalten kein Chlorophyll, für die menschliche Gesundheit ist der Artikel irrelevant. Höchstens Kaffeeproduktion und Konsum könnte er steigern – aber so gravierend war der Einfluss nicht.

18. Jung et al.:Wieder eine Zellkulturstudie, an derselben Linie einer neuronalen Krebszelle wie unter 12. Diesmal ging es aber nicht um eine potentielle Schädigung, die Autoren wollen niederfrequente Magnetfelder zur Therapie von neurodegenerativen Erkrankungen nutzen, obwohl diese im Verdacht stehen diese Krankheiten zu begünstigen. Andererseits ist es bekannt, dass Magnetfelder ausreichender Intensität auf Zellwachstum und Orientierung einen positiven Einfluss haben können, z.B. bei der Wund- und Knochenheilung oder bei Verletzungen von Nervensträngen. Untersucht wurde hier das Auswachsen von Nervenfortsätzen und die Ausdifferenzierung von Nervenzellen. Magnetfelder von 1 mT/50 Hz hatten einen positiven Einfluss. Einige Proteine, die an den genannten Prozessen beteiligt sind, waren dementsprechend hoch- oder runterreguliert.

Tags:
Alzheimer, Exposition, NF, Magnetfeld, Parkinson, Wirkmechanismus, Huss, Zhu, Orientierung, Kollagen, Kaffeepflanzen, Zellwachtum, Powerwatch


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